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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Moder nimmt, -- daß sie nichts als eine ver-
kleidete Verwesung ist?

Du hast eine schreckliche Fähigkeit, allenthal-
ben unter den lachendsten Farben ein trübes
Bild zu finden.

Balder. Nimm mir jenes Grauen aus
der Natur hinweg, das mir allenthalben durch
ihre Freuden entgegengrinst, und ich will fröh-
lich seyn.

Es liegt nur in deiner Seele, Balder, dei-
ne Augen sind finster und die ganze Welt er-
scheint dir schwarz. -- Ueberlaß dich der Hei-
terkeit, daß dein Blut schneller durch die Adern
fließt, daß deine Lebensgeister wieder lebendiger
werden, -- dann wird der Flor niederfallen und
du wirst die Welt in ihrer ursprünglichen Ge-
stalt erblicken.

Balder. Das heißt, ich werde sie sehn,
so wie Du sie siehst, -- aber auch wirklich in
ihrer wahren ursprünglichen Gestalt? -- Jeder
sieht mit seinen Augen und jeder glaubt recht
zu sehn, und am Ende werden wir alle be-
trogen.

Mag es seyn, aber so laß uns doch wenig-

Moder nimmt, — daß ſie nichts als eine ver-
kleidete Verweſung iſt?

Du haſt eine ſchreckliche Faͤhigkeit, allenthal-
ben unter den lachendſten Farben ein truͤbes
Bild zu finden.

Balder. Nimm mir jenes Grauen aus
der Natur hinweg, das mir allenthalben durch
ihre Freuden entgegengrinſt, und ich will froͤh-
lich ſeyn.

Es liegt nur in deiner Seele, Balder, dei-
ne Augen ſind finſter und die ganze Welt er-
ſcheint dir ſchwarz. — Ueberlaß dich der Hei-
terkeit, daß dein Blut ſchneller durch die Adern
fließt, daß deine Lebensgeiſter wieder lebendiger
werden, — dann wird der Flor niederfallen und
du wirſt die Welt in ihrer urſpruͤnglichen Ge-
ſtalt erblicken.

Balder. Das heißt, ich werde ſie ſehn,
ſo wie Du ſie ſiehſt, — aber auch wirklich in
ihrer wahren urſpruͤnglichen Geſtalt? — Jeder
ſieht mit ſeinen Augen und jeder glaubt recht
zu ſehn, und am Ende werden wir alle be-
trogen.

Mag es ſeyn, aber ſo laß uns doch wenig-

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[265[263]/0273] Moder nimmt, — daß ſie nichts als eine ver- kleidete Verweſung iſt? Du haſt eine ſchreckliche Faͤhigkeit, allenthal- ben unter den lachendſten Farben ein truͤbes Bild zu finden. Balder. Nimm mir jenes Grauen aus der Natur hinweg, das mir allenthalben durch ihre Freuden entgegengrinſt, und ich will froͤh- lich ſeyn. Es liegt nur in deiner Seele, Balder, dei- ne Augen ſind finſter und die ganze Welt er- ſcheint dir ſchwarz. — Ueberlaß dich der Hei- terkeit, daß dein Blut ſchneller durch die Adern fließt, daß deine Lebensgeiſter wieder lebendiger werden, — dann wird der Flor niederfallen und du wirſt die Welt in ihrer urſpruͤnglichen Ge- ſtalt erblicken. Balder. Das heißt, ich werde ſie ſehn, ſo wie Du ſie ſiehſt, — aber auch wirklich in ihrer wahren urſpruͤnglichen Geſtalt? — Jeder ſieht mit ſeinen Augen und jeder glaubt recht zu ſehn, und am Ende werden wir alle be- trogen. Mag es ſeyn, aber ſo laß uns doch wenig-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 265[263]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/273>, abgerufen am 10.05.2024.