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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa eine auffallende Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den Augen und der Stirn den Krieg ankündigen wollte, die wirklich häßlichen Verzerrungen der Wangen und Lippen ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen konnte, weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder und trug dem Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun schien aber guter Rath theuer und eine Auskunft kaum möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter Rafael, eine dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, nach welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, mir die Nase beim Auflehnen hin zu drehen: und dabei sind wir denn auch stehen geblieben, und diese Nothwendigkeit hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich mich instinktartig bilden muhte, hat mir diese Falten eingegraben, und tiefes Forschen und Denken, flammende Begeisterung und glühende Liebe zum Guten und Besten haben endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben.

Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch. Eulenböck aber rief: O ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, die ich euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen, kann auch ein so unedler, manierirter,

Ich bemerkte nach zwölf Wochen etwa eine auffallende Veränderung in meiner Physiognomie. Die Nase stieg und bäumte sich so auffallend nach oben, als wenn sie den Augen und der Stirn den Krieg ankündigen wollte, die wirklich häßlichen Verzerrungen der Wangen und Lippen ungerechnet, die ich aber schon nicht mehr lassen konnte, weil ich sie wie ein Andenken von meinem Freunde empfangen hatte. Ich drückte die aufstrebende Nase wieder nieder und trug dem Edeln meine Wünsche noch einmal vor. Nun schien aber guter Rath theuer und eine Auskunft kaum möglich. Doch entschloß er sich, ein zweiter Rafael, eine dritte, untadelige Manier anzunehmen, und nach einigen Kämpfen gelang es ihm, indem er vorher bedächtig auskundschaftete, nach welcher Seite es am vortheilhaftesten sei, mir die Nase beim Auflehnen hin zu drehen: und dabei sind wir denn auch stehen geblieben, und diese Nothwendigkeit hat sie mir gebogen; das wahre Gesicht, nach dem ich mich instinktartig bilden muhte, hat mir diese Falten eingegraben, und tiefes Forschen und Denken, flammende Begeisterung und glühende Liebe zum Guten und Besten haben endlich diesen rothen Teppich über das Ganze gewoben.

Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch. Eulenböck aber rief: O ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, die ich euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen, kann auch ein so unedler, manierirter,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/118>, abgerufen am 18.05.2024.