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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nämlich mit seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß mein Freund von jeher eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimassiren, und liebäugelte mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwidern und in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkürlich nachahmen mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus schmerzlicher Theilnahme und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich aus: stelle dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar nicht, du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, dein Liebreiz in diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiderung. Seht, so grinsten wir uns denn wie die Affen minutenlang an.

nämlich mit seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß mein Freund von jeher eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimassiren, und liebäugelte mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwidern und in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkürlich nachahmen mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus schmerzlicher Theilnahme und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich aus: stelle dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar nicht, du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, dein Liebreiz in diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiderung. Seht, so grinsten wir uns denn wie die Affen minutenlang an.

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[0117] nämlich mit seinen Fingern meine Nase, was ihm den Vortheil gewährte, sich stützen und viel länger auf sie lehnen zu können, und zog sie gewaltsam in die Höhe, vorzüglich, indem er die Oberlippe barbirte, und so beschauten wir uns Auge in Auge, ein Herz dem andern nahe, und das Scheermesser arbeitete in besonnener und sicherer Thätigkeit. Es traf sich aber, daß mein Freund von jeher eins der auffallendsten Gesichter an sich trug, die der gemeine Haufe abscheulich, verzerrt und garstig zu nennen pflegt; dabei hatte er die Gewohnheit, zu grimassiren, und liebäugelte mir so herzlich entgegen, daß ich es in jeder Sitzung ihm erwidern und in dieser Nähe auch seine übrigen Fratzen unwillkürlich nachahmen mußte. Riß er die Nase unbillig hinauf, so zerrte er dafür, um mit seiner Kunst in die Mundwinkel zu gelangen, die Lippen und den Mund zu gewaltsam in die Breite. Hatte er auf diese mechanische Weise in meinem Antlitz ein scheinbares Lächeln erzwungen, so kam mir sein Lachen so liebreich, freundlich, herzinnig und rührend entgegen, daß mir oft aus schmerzlicher Theilnahme und um nur ein boshaftes Lachen zu verbeißen die Thränen in die Augen traten. Mensch! barbirender Freund! rief ich aus: stelle dein menschenfreundliches Anlachen ein, ich lächle ja gar nicht, du ziehst mir ja nur die Mundwinkel wie einen Schwamm aus einander. Thut nichts, antwortete die redliche Seele, dein Liebreiz in diesem Lächeln zwingt mich zur Erwiderung. Seht, so grinsten wir uns denn wie die Affen minutenlang an.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/117>, abgerufen am 18.05.2024.