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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken.

Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.

Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man damit hantiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am Besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleinen Leidenschaften, Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch sein, wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit nach hin und her rennend, conserviren sich in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie unser krokodillischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus falscher Scham etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst erklärt. Aber die Nase, die

Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken.

Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.

Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man damit hantiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am Besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleinen Leidenschaften, Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch sein, wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit nach hin und her rennend, conserviren sich in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie unser krokodillischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus falscher Scham etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst erklärt. Aber die Nase, die

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[0115] Meint das dumme Volk denn, daß nicht auch das Kleinste sich als Ring an die Nothwendigkeit ewiger Gesetze fügt? Meine Nase, wie sie da ist, habe ich meinem Barbier zu verdanken. Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute. Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man damit hantiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am Besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleinen Leidenschaften, Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch sein, wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit nach hin und her rennend, conserviren sich in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie unser krokodillischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus falscher Scham etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst erklärt. Aber die Nase, die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/115>, abgerufen am 05.12.2024.