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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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bedeutende Schuld gerathen, um welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, der oft verdorbenen Essig erhielt und sich doch nicht beschweren durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer als Alle bezahlen und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein Gewerbe versäumt ward und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte, was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst Diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern, Diesen verachten und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen.

Sei still, Sohn, rief Eulenböck, du hast auch mancher armen Familie Gutes gethan.

Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah ohne Sinn, so wie ich ohne

bedeutende Schuld gerathen, um welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, der oft verdorbenen Essig erhielt und sich doch nicht beschweren durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer als Alle bezahlen und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein Gewerbe versäumt ward und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte, was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst Diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern, Diesen verachten und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen.

Sei still, Sohn, rief Eulenböck, du hast auch mancher armen Familie Gutes gethan.

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[0105] bedeutende Schuld gerathen, um welche man mich mit grober Zudringlichkeit mahnte. Noch schlimmer ging es einem armen Lumpen, einem täglichen Gast, auf den man fast nie hörte, der oft verdorbenen Essig erhielt und sich doch nicht beschweren durfte; er war die Zielscheibe des witzigen Gesindes, der Gegenstand des Hohns und Mitleids der übrigen Fremden, so wie seiner eignen furchtsamen Verachtung. Und so schlecht man ihn behandelte, mußte er doch theurer als Alle bezahlen und ward betrogen, ohne klagen zu dürfen, indeß sein Gewerbe versäumt ward und Frau und Kinder zu Hause schmachteten. In diesem Spiegel sah ich nun mein eignes Elend, und als einmal ein redlicher Handwerker von unbescholtenem Wandel dort zufällig einkehrte und von Allen als eine seltene Erscheinung mit Hochachtung begrüßt wurde, erwachte ich endlich aus dem Schlummer meiner Ohnmacht, bezahlte, was nur meine Trägheit versäumt hatte, und suchte auch jenen Elenden zu retten, daß er nicht ganz versank. Aber so ist es, daß selbst Diejenigen, die sich vom Leichtsinnigen und Taugenichts bereichern, Diesen verachten und dem Würdigen, der ihnen aus dem Wege geht, ihre Ehrfurcht nicht versagen können. So habe ich meine Zeit und mein Vermögen unwürdig verschleudert, um Verachtung einzukaufen. Sei still, Sohn, rief Eulenböck, du hast auch mancher armen Familie Gutes gethan. Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah ohne Sinn, so wie ich ohne

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/105>, abgerufen am 18.05.2024.