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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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jeder Einsicht den Rücken kehren und schon vor der begangenen That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß eine tiefgewurzelte Verderbniß in der menschlichen Natur sein, die sich auch nie ganz zum Edeln erziehn, oder durch Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt.

So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt Nichts, er ist gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.

Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern und immer wieder zu bejammern. Die Thränen stoßen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.

Als du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin, wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr beachtete und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine Nachlässigkeit war ich schon in eine

jeder Einsicht den Rücken kehren und schon vor der begangenen That von unserm Gewissen gequält werden? Es muß eine tiefgewurzelte Verderbniß in der menschlichen Natur sein, die sich auch nie ganz zum Edeln erziehn, oder durch Pfropfreiser der Tugend umwandeln läßt.

So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt Nichts, er ist gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.

Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern und immer wieder zu bejammern. Die Thränen stoßen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.

Als du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin, wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr beachtete und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine Nachlässigkeit war ich schon in eine

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/104>, abgerufen am 18.05.2024.