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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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Da erschien dem eingeschlummerten Dorf-
pfarr jener große Verfolger des Pabsts, der
herzhafte Doctor Martinus -- lebhaft er-
schien er ihm, wie ihn für alle künftige Zei-
ten Lucas von Kranach gemahlt hat. Sein
alter getreuer Mantel, wie ihn die Schloß-
kirche zu Wittenberg sehen läßt, hieng ihm
über die Schultern -- er aber floß ihm nicht
mehr wie ehmals ehrwürdig am Rücken her-
ab; denn der Aberglaube hatte davon mehr
Stücken gerissen, als die alles verderbende
Zeit und die Zähne der Motten. Und noch
vor kurzem raubte ein unternehmender Schul-
meister den halben Kragen des Mantels;
Jn enthusiastischem Hochmuthe glaubt er schon
die Kräfte seiner Eroberung, den Zuwachs
neuer Verdienste und den Antheil an Luthers
unerschrocknem Geiste zu fühlen -- Freudig
und dumm geht er zurück in das Dorf,
schimpft ungerochen den Pabst, und nun ver-
sucht er es auch zuversichtlich an seinem Ge-

richts-
B 2

Da erſchien dem eingeſchlummerten Dorf-
pfarr jener große Verfolger des Pabſts, der
herzhafte Doctor Martinus — lebhaft er-
ſchien er ihm, wie ihn fuͤr alle kuͤnftige Zei-
ten Lucas von Kranach gemahlt hat. Sein
alter getreuer Mantel, wie ihn die Schloß-
kirche zu Wittenberg ſehen laͤßt, hieng ihm
uͤber die Schultern — er aber floß ihm nicht
mehr wie ehmals ehrwuͤrdig am Ruͤcken her-
ab; denn der Aberglaube hatte davon mehr
Stuͤcken geriſſen, als die alles verderbende
Zeit und die Zaͤhne der Motten. Und noch
vor kurzem raubte ein unternehmender Schul-
meiſter den halben Kragen des Mantels;
Jn enthuſiaſtiſchem Hochmuthe glaubt er ſchon
die Kraͤfte ſeiner Eroberung, den Zuwachs
neuer Verdienſte und den Antheil an Luthers
unerſchrocknem Geiſte zu fuͤhlen — Freudig
und dumm geht er zuruͤck in das Dorf,
ſchimpft ungerochen den Pabſt, und nun ver-
ſucht er es auch zuverſichtlich an ſeinem Ge-

richts-
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[19/0023] Da erſchien dem eingeſchlummerten Dorf- pfarr jener große Verfolger des Pabſts, der herzhafte Doctor Martinus — lebhaft er- ſchien er ihm, wie ihn fuͤr alle kuͤnftige Zei- ten Lucas von Kranach gemahlt hat. Sein alter getreuer Mantel, wie ihn die Schloß- kirche zu Wittenberg ſehen laͤßt, hieng ihm uͤber die Schultern — er aber floß ihm nicht mehr wie ehmals ehrwuͤrdig am Ruͤcken her- ab; denn der Aberglaube hatte davon mehr Stuͤcken geriſſen, als die alles verderbende Zeit und die Zaͤhne der Motten. Und noch vor kurzem raubte ein unternehmender Schul- meiſter den halben Kragen des Mantels; Jn enthuſiaſtiſchem Hochmuthe glaubt er ſchon die Kraͤfte ſeiner Eroberung, den Zuwachs neuer Verdienſte und den Antheil an Luthers unerſchrocknem Geiſte zu fuͤhlen — Freudig und dumm geht er zuruͤck in das Dorf, ſchimpft ungerochen den Pabſt, und nun ver- ſucht er es auch zuverſichtlich an ſeinem Ge- richts- B 2

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/23>, abgerufen am 24.11.2024.