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Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723.

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factum; ist nun das jus ohne dem certum, so ist es thöricht, daß ich dem Richter, der ohne dem das Recht wissen soll, mit Hinschmierung gemeiniglich bekanter Dinge, und die niemand leugnet, auffhalte, und denselben verdrießlich mache: ist aber das jus non ita vulgare, & indubium, oder wohl gar incertum und dem von vielen contradicirt wird, so weiß ein gescheider Advocat schon, daß sein Gegentheil (oder auch der Richter) durch Ausschreibung gantzer Plätze sich nicht werde bekehren lassen, sondern nur dadurch Gelegenheit nehmen, eine olla putrida aus denen Dissentientibus Ihme wieder anzurichten und zu verschlingen zu geben, oder doch seinen Caevallos auffzusuchen, und nach zuschlagen, wer es etwa mit seiner Meinung halte. Bey der applicatione juris ad factum aber ist es vernünfftigen Richtern nicht unangenehm, daß man in Disputir-Gesetzen oder Defensionen die Worte der Zeugen, durch die man was probiren will, der Defension einverleibet. Denn entweder der Richter ist so faul und nachläßig, daß er die gantzen Acten und praeparatoria processus Inquisitorii, oder in civilibus den Beweiß und Gegen-Beweiß nicht debite gelesen, sondern nur fugitivo oculo dieselben obenhin durchblättert, oder aber er hat Sie mit Attention durchgelesen. Ist das erste geschehen, so wird der faule referente noch vielweniger die schlechten allegationes der Zeugen Aussagen auffsuchen, sondern er wird ohne Auffsuchen das glauben, was der Defension Führer affirmiret, und zu dessen Bekräfftigung er sich auf die Zeugen berufft. Ist aber das letzte geschehen, so hat der Richter gemeiniglich allbereit in Durchlesung der Acten schon selbst eine Meinung gefast, nach der er das Urtheil einzurichten gedenckt, ehe er noch die Defensiones oder Disputir Gesetze lieset. Bey dieser Bewandnüß aber ist es ihm vielmehr angenehm, wenn er in Anführung der Special-Worte der Zeugen diejenigen loca wieder antrifft, die bey Ihm eine gleiche Meinung allbereit erwecket, oder auch solche Oerter findet, die Ihm in seiner Meinung bestärcken, ob er schon vielleicht auff selbige vorher bey eigner Durchlesung nicht reflectiret hatte; oder auch, wenn er die in denen Actis hier und dar zerstreueten Aussagen der Zeugen, die doch ad eandem circumstantiam gehören, in der Vereinigung beysammen lieset. Findet er aber etwas, das in der That der von Ihm gefaßten Meinung zu wieder ist, und doch dieselbe beweiset, so kriegt er alsdann Gelegenheit, die Acta nach zusuchen, und den Defension-Führer zu ertappen, wenn er die Worte verdrehet, oder aber die antecedentia & consequentia zu betrachten, und also nach beschaffenen Umbständen entweder das Ihm gemachte dubium zu heben, oder auch wohl eine vorherige Meinung, wenn er das

factum; ist nun das jus ohne dem certum, so ist es thöricht, daß ich dem Richter, der ohne dem das Recht wissen soll, mit Hinschmierung gemeiniglich bekanter Dinge, und die niemand leugnet, auffhalte, und denselben verdrießlich mache: ist aber das jus non ita vulgare, & indubium, oder wohl gar incertum und dem von vielen contradicirt wird, so weiß ein gescheider Advocat schon, daß sein Gegentheil (oder auch der Richter) durch Ausschreibung gantzer Plätze sich nicht werde bekehren lassen, sondern nur dadurch Gelegenheit nehmen, eine olla putrida aus denen Dissentientibus Ihme wieder anzurichten und zu verschlingen zu geben, oder doch seinen Caevallos auffzusuchen, und nach zuschlagen, wer es etwa mit seiner Meinung halte. Bey der applicatione juris ad factum aber ist es vernünfftigen Richtern nicht unangenehm, daß man in Disputir-Gesetzen oder Defensionen die Worte der Zeugen, durch die man was probiren will, der Defension einverleibet. Denn entweder der Richter ist so faul und nachläßig, daß er die gantzen Acten und praeparatoria processus Inquisitorii, oder in civilibus den Beweiß und Gegen-Beweiß nicht debite gelesen, sondern nur fugitivo oculo dieselben obenhin durchblättert, oder aber er hat Sie mit Attention durchgelesen. Ist das erste geschehen, so wird der faule referente noch vielweniger die schlechten allegationes der Zeugen Aussagen auffsuchen, sondern er wird ohne Auffsuchen das glauben, was der Defension Führer affirmiret, und zu dessen Bekräfftigung er sich auf die Zeugen berufft. Ist aber das letzte geschehen, so hat der Richter gemeiniglich allbereit in Durchlesung der Acten schon selbst eine Meinung gefast, nach der er das Urtheil einzurichten gedenckt, ehe er noch die Defensiones oder Disputir Gesetze lieset. Bey dieser Bewandnüß aber ist es ihm vielmehr angenehm, wenn er in Anführung der Special-Worte der Zeugen diejenigen loca wieder antrifft, die bey Ihm eine gleiche Meinung allbereit erwecket, oder auch solche Oerter findet, die Ihm in seiner Meinung bestärcken, ob er schon vielleicht auff selbige vorher bey eigner Durchlesung nicht reflectiret hatte; oder auch, wenn er die in denen Actis hier und dar zerstreueten Aussagen der Zeugen, die doch ad eandem circumstantiam gehören, in der Vereinigung beysammen lieset. Findet er aber etwas, das in der That der von Ihm gefaßten Meinung zu wieder ist, und doch dieselbe beweiset, so kriegt er alsdann Gelegenheit, die Acta nach zusuchen, und den Defension-Führer zu ertappen, wenn er die Worte verdrehet, oder aber die antecedentia & consequentia zu betrachten, und also nach beschaffenen Umbständen entweder das Ihm gemachte dubium zu heben, oder auch wohl eine vorherige Meinung, wenn er das

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[80/0096] factum; ist nun das jus ohne dem certum, so ist es thöricht, daß ich dem Richter, der ohne dem das Recht wissen soll, mit Hinschmierung gemeiniglich bekanter Dinge, und die niemand leugnet, auffhalte, und denselben verdrießlich mache: ist aber das jus non ita vulgare, & indubium, oder wohl gar incertum und dem von vielen contradicirt wird, so weiß ein gescheider Advocat schon, daß sein Gegentheil (oder auch der Richter) durch Ausschreibung gantzer Plätze sich nicht werde bekehren lassen, sondern nur dadurch Gelegenheit nehmen, eine olla putrida aus denen Dissentientibus Ihme wieder anzurichten und zu verschlingen zu geben, oder doch seinen Caevallos auffzusuchen, und nach zuschlagen, wer es etwa mit seiner Meinung halte. Bey der applicatione juris ad factum aber ist es vernünfftigen Richtern nicht unangenehm, daß man in Disputir-Gesetzen oder Defensionen die Worte der Zeugen, durch die man was probiren will, der Defension einverleibet. Denn entweder der Richter ist so faul und nachläßig, daß er die gantzen Acten und praeparatoria processus Inquisitorii, oder in civilibus den Beweiß und Gegen-Beweiß nicht debite gelesen, sondern nur fugitivo oculo dieselben obenhin durchblättert, oder aber er hat Sie mit Attention durchgelesen. Ist das erste geschehen, so wird der faule referente noch vielweniger die schlechten allegationes der Zeugen Aussagen auffsuchen, sondern er wird ohne Auffsuchen das glauben, was der Defension Führer affirmiret, und zu dessen Bekräfftigung er sich auf die Zeugen berufft. Ist aber das letzte geschehen, so hat der Richter gemeiniglich allbereit in Durchlesung der Acten schon selbst eine Meinung gefast, nach der er das Urtheil einzurichten gedenckt, ehe er noch die Defensiones oder Disputir Gesetze lieset. Bey dieser Bewandnüß aber ist es ihm vielmehr angenehm, wenn er in Anführung der Special-Worte der Zeugen diejenigen loca wieder antrifft, die bey Ihm eine gleiche Meinung allbereit erwecket, oder auch solche Oerter findet, die Ihm in seiner Meinung bestärcken, ob er schon vielleicht auff selbige vorher bey eigner Durchlesung nicht reflectiret hatte; oder auch, wenn er die in denen Actis hier und dar zerstreueten Aussagen der Zeugen, die doch ad eandem circumstantiam gehören, in der Vereinigung beysammen lieset. Findet er aber etwas, das in der That der von Ihm gefaßten Meinung zu wieder ist, und doch dieselbe beweiset, so kriegt er alsdann Gelegenheit, die Acta nach zusuchen, und den Defension-Führer zu ertappen, wenn er die Worte verdrehet, oder aber die antecedentia & consequentia zu betrachten, und also nach beschaffenen Umbständen entweder das Ihm gemachte dubium zu heben, oder auch wohl eine vorherige Meinung, wenn er das

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte01_1723/96>, abgerufen am 23.04.2024.