Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723.mit seinen Vorwissen sich auf die Seite gemacht; ja Er selbst wäre gewarnet worden, nicht so sicher zu seyn, zumahlen die Rede ginge, als wenn bey der Besichtigung an dem Kinde viele Wunden gefunden worden wären, daher dann das gemeine Geschrey entstünde, als wenn seine Ehefrau oder die Tochter das Kind umgebracht hätten, und er Hr. Hanß Heinrich Wissenschafft davon gehabt hätte. Ob nun wohl Er nicht allein sich selbst unschuldig zu seyn wüste, sondern ihn auch feine Frau und Tochter ihre Unschuld versicherten, so brauchte er doch eines klugen Raths gar sehr, wie er sich in diesen verdrießlichen Handel verhalten solte, zumahlen da der Amtmann, dem die Commission aufgetragen worden, sein heimlicher Feind wäre, und hätte für andern sein Vertrauen zu mir etc. Ich fragte den Advocaten, der dieses bey mir anbrachte, warum er nicht selbst in dieser Sache bedient seyn wolte, worauf Er mir aber zur Antwort gab, daß Er dieserwegen bedenckliche Ursachen hätte, und seinen gegenwärtigen Schwager um deswillen mich vorgeschlagen hätte, weil er Zeit meines bisherigen practicirens gewahr worden, daß ich keine Person scheuete, und die Sachen nicht unnöthig auffzuhalten gewohnet wäre, §. II. Nun waren wohl die Ursachen, warum derselbe Advocat nicht selbst bedienet seyn wolte, mir leichtlich zu errathen, indem er von Jugend auf bey einem berühmten Practico zwar ware erzogen worden, aber in theoria juris nicht gar zu viel mochte gethan haben, auch derjenige, so Ihn aufferzogen hatte, mehr in civilibus als criminalibus berühmt gewesen ware; Alleine ich war meines Orts noch jung und mangelte es mir in criminalibus auch noch an der Experienz. Zudem so schiene zwar der liebe Hr. Hanß Heinrich, nachdem ich mit selben ins besondere geredet hatte, ein ehrlicher Mann zu seyn, der mir wohl keine Lügen vorbrachte; aber ob dessen Ehefrau und Tochter auch so unschuldig wären, als Sie vorgeben, hatte ich einige Ursachen zu zweiffeln, zumahlen da man gemeldet hatte, daß bey der Besichtigung des Cörpers etliche Stiche an des Kindes Leibe solten seyn gefunden worden; und mir bewust war, was für harte Verordnung die Ordinatio Criminalis Carolina wider die Weibespersonen, die ihre Schwangerschafft verleugnen, gegeben hatte. Indem drunge der Mann sehr drauf, daß der Commissarius sein feind wäre, und es ware doch sehr schwer oder zum wenigsten sehr langweilig, diese Feindschafft zu bescheinigen und vermittelst dieser Bescheinigung einen andern Commissarium auszubitten. Zu geschweigen, da der Mann etliche Nachbarn hatte, die von guten alten Adel waren und in der Regierung, die die Commission angeordnet, gute Freunde und Verwandten hatten, daß dadurch die Erhaltung eines andern Com- mit seinen Vorwissen sich auf die Seite gemacht; ja Er selbst wäre gewarnet worden, nicht so sicher zu seyn, zumahlen die Rede ginge, als wenn bey der Besichtigung an dem Kinde viele Wunden gefunden worden wären, daher dann das gemeine Geschrey entstünde, als wenn seine Ehefrau oder die Tochter das Kind umgebracht hätten, und er Hr. Hanß Heinrich Wissenschafft davon gehabt hätte. Ob nun wohl Er nicht allein sich selbst unschuldig zu seyn wüste, sondern ihn auch feine Frau und Tochter ihre Unschuld versicherten, so brauchte er doch eines klugen Raths gar sehr, wie er sich in diesen verdrießlichen Handel verhalten solte, zumahlen da der Amtmann, dem die Commission aufgetragen worden, sein heimlicher Feind wäre, und hätte für andern sein Vertrauen zu mir etc. Ich fragte den Advocaten, der dieses bey mir anbrachte, warum er nicht selbst in dieser Sache bedient seyn wolte, worauf Er mir aber zur Antwort gab, daß Er dieserwegen bedenckliche Ursachen hätte, und seinen gegenwärtigen Schwager um deswillen mich vorgeschlagen hätte, weil er Zeit meines bisherigen practicirens gewahr worden, daß ich keine Person scheuete, und die Sachen nicht unnöthig auffzuhalten gewohnet wäre, §. II. Nun waren wohl die Ursachen, warum derselbe Advocat nicht selbst bedienet seyn wolte, mir leichtlich zu errathen, indem er von Jugend auf bey einem berühmten Practico zwar ware erzogen worden, aber in theoria juris nicht gar zu viel mochte gethan haben, auch derjenige, so Ihn aufferzogen hatte, mehr in civilibus als criminalibus berühmt gewesen ware; Alleine ich war meines Orts noch jung und mangelte es mir in criminalibus auch noch an der Experienz. Zudem so schiene zwar der liebe Hr. Hanß Heinrich, nachdem ich mit selben ins besondere geredet hatte, ein ehrlicher Mann zu seyn, der mir wohl keine Lügen vorbrachte; aber ob dessen Ehefrau und Tochter auch so unschuldig wären, als Sie vorgeben, hatte ich einige Ursachen zu zweiffeln, zumahlen da man gemeldet hatte, daß bey der Besichtigung des Cörpers etliche Stiche an des Kindes Leibe solten seyn gefunden worden; und mir bewust war, was für harte Verordnung die Ordinatio Criminalis Carolina wider die Weibespersonen, die ihre Schwangerschafft verleugnen, gegeben hatte. Indem drunge der Mann sehr drauf, daß der Commissarius sein feind wäre, und es ware doch sehr schwer oder zum wenigsten sehr langweilig, diese Feindschafft zu bescheinigen und vermittelst dieser Bescheinigung einen andern Commissarium auszubitten. Zu geschweigen, da der Mann etliche Nachbarn hatte, die von guten alten Adel waren und in der Regierung, die die Commission angeordnet, gute Freunde und Verwandten hatten, daß dadurch die Erhaltung eines andern Com- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0018"/> mit seinen Vorwissen sich auf die Seite gemacht; ja Er selbst wäre gewarnet worden, nicht so sicher zu seyn, zumahlen die Rede ginge, als wenn bey der Besichtigung an dem Kinde viele Wunden gefunden worden wären, daher dann das gemeine Geschrey entstünde, als wenn seine Ehefrau oder die Tochter das Kind umgebracht hätten, und er Hr. Hanß Heinrich Wissenschafft davon gehabt hätte. Ob nun wohl Er nicht allein sich selbst unschuldig zu seyn wüste, sondern ihn auch feine Frau und Tochter ihre Unschuld versicherten, so brauchte er doch eines klugen Raths gar sehr, wie er sich in diesen verdrießlichen Handel verhalten solte, zumahlen da der Amtmann, dem die Commission aufgetragen worden, sein heimlicher Feind wäre, und hätte für andern sein Vertrauen zu mir etc. Ich fragte den Advocaten, der dieses bey mir anbrachte, warum er nicht selbst in dieser Sache bedient seyn wolte, worauf Er mir aber zur Antwort gab, daß Er dieserwegen bedenckliche Ursachen hätte, und seinen gegenwärtigen Schwager um deswillen mich vorgeschlagen hätte, weil er Zeit meines bisherigen practicirens gewahr worden, daß ich keine Person scheuete, und die Sachen nicht unnöthig auffzuhalten gewohnet wäre,</p> <note place="left"><hi rendition="#i">Praeliminar</hi>-Bedencken und Uberlegung des <hi rendition="#i">defensoris</hi>.</note> <p>§. II. Nun waren wohl die Ursachen, warum derselbe Advocat nicht selbst bedienet seyn wolte, mir leichtlich zu errathen, indem er von Jugend auf bey einem berühmten Practico zwar ware erzogen worden, aber in theoria juris nicht gar zu viel mochte gethan haben, auch derjenige, so Ihn aufferzogen hatte, mehr in civilibus als criminalibus berühmt gewesen ware; Alleine ich war meines Orts noch jung und mangelte es mir in criminalibus auch noch an der Experienz. Zudem so schiene zwar der liebe Hr. Hanß Heinrich, nachdem ich mit selben ins besondere geredet hatte, ein ehrlicher Mann zu seyn, der mir wohl keine Lügen vorbrachte; aber ob dessen Ehefrau und Tochter auch so unschuldig wären, als Sie vorgeben, hatte ich einige Ursachen zu zweiffeln, zumahlen da man gemeldet hatte, daß bey der Besichtigung des Cörpers etliche Stiche an des Kindes Leibe solten seyn gefunden worden; und mir bewust war, was für harte Verordnung die Ordinatio Criminalis Carolina wider die Weibespersonen, die ihre Schwangerschafft verleugnen, gegeben hatte. Indem drunge der Mann sehr drauf, daß der Commissarius sein feind wäre, und es ware doch sehr schwer oder zum wenigsten sehr langweilig, diese Feindschafft zu bescheinigen und vermittelst dieser Bescheinigung einen andern Commissarium auszubitten. Zu geschweigen, da der Mann etliche Nachbarn hatte, die von guten alten Adel waren und in der Regierung, die die Commission angeordnet, gute Freunde und Verwandten hatten, daß dadurch die Erhaltung eines andern Com- </p> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
mit seinen Vorwissen sich auf die Seite gemacht; ja Er selbst wäre gewarnet worden, nicht so sicher zu seyn, zumahlen die Rede ginge, als wenn bey der Besichtigung an dem Kinde viele Wunden gefunden worden wären, daher dann das gemeine Geschrey entstünde, als wenn seine Ehefrau oder die Tochter das Kind umgebracht hätten, und er Hr. Hanß Heinrich Wissenschafft davon gehabt hätte. Ob nun wohl Er nicht allein sich selbst unschuldig zu seyn wüste, sondern ihn auch feine Frau und Tochter ihre Unschuld versicherten, so brauchte er doch eines klugen Raths gar sehr, wie er sich in diesen verdrießlichen Handel verhalten solte, zumahlen da der Amtmann, dem die Commission aufgetragen worden, sein heimlicher Feind wäre, und hätte für andern sein Vertrauen zu mir etc. Ich fragte den Advocaten, der dieses bey mir anbrachte, warum er nicht selbst in dieser Sache bedient seyn wolte, worauf Er mir aber zur Antwort gab, daß Er dieserwegen bedenckliche Ursachen hätte, und seinen gegenwärtigen Schwager um deswillen mich vorgeschlagen hätte, weil er Zeit meines bisherigen practicirens gewahr worden, daß ich keine Person scheuete, und die Sachen nicht unnöthig auffzuhalten gewohnet wäre,
§. II. Nun waren wohl die Ursachen, warum derselbe Advocat nicht selbst bedienet seyn wolte, mir leichtlich zu errathen, indem er von Jugend auf bey einem berühmten Practico zwar ware erzogen worden, aber in theoria juris nicht gar zu viel mochte gethan haben, auch derjenige, so Ihn aufferzogen hatte, mehr in civilibus als criminalibus berühmt gewesen ware; Alleine ich war meines Orts noch jung und mangelte es mir in criminalibus auch noch an der Experienz. Zudem so schiene zwar der liebe Hr. Hanß Heinrich, nachdem ich mit selben ins besondere geredet hatte, ein ehrlicher Mann zu seyn, der mir wohl keine Lügen vorbrachte; aber ob dessen Ehefrau und Tochter auch so unschuldig wären, als Sie vorgeben, hatte ich einige Ursachen zu zweiffeln, zumahlen da man gemeldet hatte, daß bey der Besichtigung des Cörpers etliche Stiche an des Kindes Leibe solten seyn gefunden worden; und mir bewust war, was für harte Verordnung die Ordinatio Criminalis Carolina wider die Weibespersonen, die ihre Schwangerschafft verleugnen, gegeben hatte. Indem drunge der Mann sehr drauf, daß der Commissarius sein feind wäre, und es ware doch sehr schwer oder zum wenigsten sehr langweilig, diese Feindschafft zu bescheinigen und vermittelst dieser Bescheinigung einen andern Commissarium auszubitten. Zu geschweigen, da der Mann etliche Nachbarn hatte, die von guten alten Adel waren und in der Regierung, die die Commission angeordnet, gute Freunde und Verwandten hatten, daß dadurch die Erhaltung eines andern Com-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte01_1723/18>, abgerufen am 04.07.2024. |