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Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691.

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Das 13. Hauptstück von denen
fallibel, ja gar für Glaubens-Articulhal-
ten solten; und ist nichts neues/ daß man unter
uns wohl gar des vierdten Geboths hierzu
mißbrauchet.

28. Dieses ist nun der Zustand der Kinder in
Ansehen der Erkäntniß der Warheit/ so ferne
ihnen dieselbige von andern Menschen bey-
gebracht wird/. Wir müssen aber auch ein
wenig noch erwegen/ auff was Art die Kinder
für sich selbst die Warheit zu erforschen be-
gierig sind/ und zu diesem Ende raisoniren;
Denn ob gleich/ wie obgedacht/ die Seele der
Kinder noch nicht fähig ist/ von selbst das wahre
und falsche zu entscheiden; so läst sich doch auch
in der Jugend eine grosse Begierde unbe-
kandte Dinge zu wissen/
und theils vermit-
telst der Sinnligkeit/ theils auch vermittelst
eigenen Nachdenckens darhinter zu kommen
spühren. Und gewiß die kleinen Kinder sind
in diesem Stück noch curieuser als erwachsene
Menschen.

29. Denn sie haben mehr Zeit darzu als
erwachsene Menschen einer Sache nachzuden-
cken/ indem sie mit keinen Geschäfften über-
häufft sind/ und die natürliche Lust/ die ein ie-
der Mensch bey sich empfindet/ wenn er etwas

bißher

Das 13. Hauptſtuͤck von denen
fallibel, ja gar fuͤr Glaubens-Articulhal-
ten ſolten; und iſt nichts neues/ daß man unter
uns wohl gar des vierdten Geboths hierzu
mißbrauchet.

28. Dieſes iſt nun der Zuſtand der Kinder in
Anſehen der Erkaͤntniß der Warheit/ ſo ferne
ihnen dieſelbige von andern Menſchen bey-
gebracht wird/. Wir muͤſſen aber auch ein
wenig noch erwegen/ auff was Art die Kinder
fuͤr ſich ſelbſt die Warheit zu erforſchen be-
gierig ſind/ und zu dieſem Ende raiſoniren;
Denn ob gleich/ wie obgedacht/ die Seele der
Kinder noch nicht faͤhig iſt/ von ſelbſt das wahre
und falſche zu entſcheiden; ſo laͤſt ſich doch auch
in der Jugend eine groſſe Begierde unbe-
kandte Dinge zu wiſſen/
und theils vermit-
telſt der Sinnligkeit/ theils auch vermittelſt
eigenen Nachdenckens darhinter zu kommen
ſpuͤhren. Und gewiß die kleinen Kinder ſind
in dieſem Stuͤck noch curieuſer als erwachſene
Menſchen.

29. Denn ſie haben mehr Zeit darzu als
erwachſene Menſchen einer Sache nachzuden-
cken/ indem ſie mit keinen Geſchaͤfften uͤber-
haͤufft ſind/ und die natuͤrliche Luſt/ die ein ie-
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[330[300]/0318] Das 13. Hauptſtuͤck von denen fallibel, ja gar fuͤr Glaubens-Articulhal- ten ſolten; und iſt nichts neues/ daß man unter uns wohl gar des vierdten Geboths hierzu mißbrauchet. 28. Dieſes iſt nun der Zuſtand der Kinder in Anſehen der Erkaͤntniß der Warheit/ ſo ferne ihnen dieſelbige von andern Menſchen bey- gebracht wird/. Wir muͤſſen aber auch ein wenig noch erwegen/ auff was Art die Kinder fuͤr ſich ſelbſt die Warheit zu erforſchen be- gierig ſind/ und zu dieſem Ende raiſoniren; Denn ob gleich/ wie obgedacht/ die Seele der Kinder noch nicht faͤhig iſt/ von ſelbſt das wahre und falſche zu entſcheiden; ſo laͤſt ſich doch auch in der Jugend eine groſſe Begierde unbe- kandte Dinge zu wiſſen/ und theils vermit- telſt der Sinnligkeit/ theils auch vermittelſt eigenen Nachdenckens darhinter zu kommen ſpuͤhren. Und gewiß die kleinen Kinder ſind in dieſem Stuͤck noch curieuſer als erwachſene Menſchen. 29. Denn ſie haben mehr Zeit darzu als erwachſene Menſchen einer Sache nachzuden- cken/ indem ſie mit keinen Geſchaͤfften uͤber- haͤufft ſind/ und die natuͤrliche Luſt/ die ein ie- der Menſch bey ſich empfindet/ wenn er etwas bißher

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691, S. 330[300]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungvernufftlehre_1691/318>, abgerufen am 24.11.2024.