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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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andere zu verstehen.
es kein Zweiffel/ daß man die Auslegung so
dann nicht unmöglich halten/ sondern viel-
mehr beyde Auslegungen/ wenn man keine
Muthmassung finden kan/ welche der andern
fürzuziehen sey/ annehmen solle.

131. Z. e. Wenn ein Autor geschrieben hät-
te: Daß man einem sehenden Zeugen mehr
glauben müsse als einem hörenden:
kan
der hörende Zeuge (wenn diese Regel in ge-
nere
gesetzt wäre/ oder die Umstände auff bey-
de Fälle könten appliciret werden) genom-
men werden für einem/ der etwas selbst ange-
höret/ oder der es von hören sagen hat. Wenn
man spricht: Die Welt werde durch wie-
drige und unterschiedene Meinungen
re-
gir
et/ kan man nach Gelegenheit unter dem
Wort Meinungen nicht alleine Wahrschein-
ligkeiten/ sondern auch handgreiffliche Jrr-
thümer verstehen.

132. Jch sehe wohl zuvor/ du werdest spre-
chen/ wie das seyn könne/ daß eine Rede
zweyerley Verstand haben könne/
weil
wir öffters erwehnet/ daß die Reden Anzei-
gungen der Gedancken wären/ und daß wir
damit dieselbigen andern zuverstehen geben
solten. Nun ist es aber unmöglich/ daß ein

Mensch
O 5

andere zu verſtehen.
es kein Zweiffel/ daß man die Auslegung ſo
dann nicht unmoͤglich halten/ ſondern viel-
mehr beyde Auslegungen/ wenn man keine
Muthmaſſung finden kan/ welche der andern
fuͤrzuziehen ſey/ annehmen ſolle.

131. Z. e. Wenn ein Autor geſchrieben haͤt-
te: Daß man einem ſehenden Zeugen mehr
glauben muͤſſe als einem hoͤrenden:
kan
der hoͤrende Zeuge (wenn dieſe Regel in ge-
nere
geſetzt waͤre/ oder die Umſtaͤnde auff bey-
de Faͤlle koͤnten appliciret werden) genom-
men werden fuͤr einem/ der etwas ſelbſt ange-
hoͤret/ oder der es von hoͤren ſagen hat. Wenn
man ſpricht: Die Welt werde durch wie-
drige und unterſchiedene Meinungen
re-
gir
et/ kan man nach Gelegenheit unter dem
Wort Meinungen nicht alleine Wahrſchein-
ligkeiten/ ſondern auch handgreiffliche Jrr-
thuͤmer verſtehen.

132. Jch ſehe wohl zuvor/ du werdeſt ſpre-
chen/ wie das ſeyn koͤnne/ daß eine Rede
zweyerley Verſtand haben koͤnne/
weil
wir oͤffters erwehnet/ daß die Reden Anzei-
gungen der Gedancken waͤren/ und daß wir
damit dieſelbigen andern zuverſtehen geben
ſolten. Nun iſt es aber unmoͤglich/ daß ein

Menſch
O 5
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[217/0243] andere zu verſtehen. es kein Zweiffel/ daß man die Auslegung ſo dann nicht unmoͤglich halten/ ſondern viel- mehr beyde Auslegungen/ wenn man keine Muthmaſſung finden kan/ welche der andern fuͤrzuziehen ſey/ annehmen ſolle. 131. Z. e. Wenn ein Autor geſchrieben haͤt- te: Daß man einem ſehenden Zeugen mehr glauben muͤſſe als einem hoͤrenden: kan der hoͤrende Zeuge (wenn dieſe Regel in ge- nere geſetzt waͤre/ oder die Umſtaͤnde auff bey- de Faͤlle koͤnten appliciret werden) genom- men werden fuͤr einem/ der etwas ſelbſt ange- hoͤret/ oder der es von hoͤren ſagen hat. Wenn man ſpricht: Die Welt werde durch wie- drige und unterſchiedene Meinungen re- giret/ kan man nach Gelegenheit unter dem Wort Meinungen nicht alleine Wahrſchein- ligkeiten/ ſondern auch handgreiffliche Jrr- thuͤmer verſtehen. 132. Jch ſehe wohl zuvor/ du werdeſt ſpre- chen/ wie das ſeyn koͤnne/ daß eine Rede zweyerley Verſtand haben koͤnne/ weil wir oͤffters erwehnet/ daß die Reden Anzei- gungen der Gedancken waͤren/ und daß wir damit dieſelbigen andern zuverſtehen geben ſolten. Nun iſt es aber unmoͤglich/ daß ein Menſch O 5

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/243>, abgerufen am 06.05.2024.