Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.Das 14. H. von der vernünfft. Kunst/ che Besserung an sich spüren wird. Beydes istunvernünfftig gehandelt/ und dannenhero muß er diese Unvernunfft täglich wohl überlegen. Ein Patiente/ der etliche Jahr zu seiner Kranckheit eingesammlet hat/ kan dieselbe nicht auf einen Tag loß werden/ und je gefährlicher er darnie- der lieget/ je behutsamer muß er damit verfah- ren. Alles Gute/ wie wir Anfangs gezeiget/ gründet sich auf einer langsamen Bewegung. Man kriegt in denen Lastern nicht auf einen Tag einen habitum, sondern es geschiehet solches durch unterschiedliche Gradus, vielmehr aber in der Tugend. Ein Mensch/ der sein Elend erken- net/ und sich platter Dinge vornimmt/ aller Wol- lust/ Ehrgierde und Geldsucht abzusagen/ der sich zu dem Ende einschliesset/ oder in Wald laufft/ der macht es wie ein Patiente/ der ge- fährlich kranck ist/ und da er die Kranckheit er- kennet und gesund werden wil/ alsobald aus dem Bette aufstehet/ sich ankleidet/ und seine gewöhnliche Arbeit verrichtet. Nemlich/ es machen beyde Ubel ärger. Gut Ding wil Weile haben. Eine plötzliche durch natürliche Mittel hergebrachte Veränderung in denen Sitten ist eine Heucheley und Verstellung/ wie die Kinder/ wenn sie/ das Weinen zu verbeissen/ sich zum Lachen forciren. Man muß das Gute deshal- ben nicht unterlassen/ weil es Anfangs schwer hergehet/ und einen sauer wird. Schwere Din- ge sind deshalben nicht unmöglich. Und wenn wir
Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/ che Beſſerung an ſich ſpuͤren wird. Beydes iſtunvernuͤnfftig gehandelt/ und dannenhero muß er dieſe Unvernunfft taͤglich wohl uͤberlegen. Ein Patiente/ der etliche Jahr zu ſeiner Kranckheit eingeſammlet hat/ kan dieſelbe nicht auf einen Tag loß werden/ und je gefaͤhrlicher er darnie- der lieget/ je behutſamer muß er damit verfah- ren. Alles Gute/ wie wir Anfangs gezeiget/ gruͤndet ſich auf einer langſamen Bewegung. Man kriegt in denen Laſtern nicht auf einen Tag einen habitum, ſondern es geſchiehet ſolches durch unterſchiedliche Gradus, vielmehr aber in der Tugend. Ein Menſch/ der ſein Elend erken- net/ und ſich platter Dinge vornim̃t/ aller Wol- luſt/ Ehrgierde und Geldſucht abzuſagen/ der ſich zu dem Ende einſchlieſſet/ oder in Wald laufft/ der macht es wie ein Patiente/ der ge- faͤhrlich kranck iſt/ und da er die Kranckheit er- kennet und geſund werden wil/ alſobald aus dem Bette aufſtehet/ ſich ankleidet/ und ſeine gewoͤhnliche Arbeit verrichtet. Nemlich/ es machen beyde Ubel aͤrger. Gut Ding wil Weile haben. Eine ploͤtzliche durch natuͤrliche Mittel hergebrachte Veraͤnderung in denen Sitten iſt eine Heucheley und Verſtellung/ wie die Kinder/ wenn ſie/ das Weinen zu verbeiſſen/ ſich zum Lachen forciren. Man muß das Gute deshal- ben nicht unterlaſſen/ weil es Anfangs ſchwer hergehet/ und einen ſauer wird. Schwere Din- ge ſind deshalben nicht unmoͤglich. Und wenn wir
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Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/
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unvernuͤnfftig gehandelt/ und dannenhero muß
er dieſe Unvernunfft taͤglich wohl uͤberlegen. Ein
Patiente/ der etliche Jahr zu ſeiner Kranckheit
eingeſammlet hat/ kan dieſelbe nicht auf einen
Tag loß werden/ und je gefaͤhrlicher er darnie-
der lieget/ je behutſamer muß er damit verfah-
ren. Alles Gute/ wie wir Anfangs gezeiget/
gruͤndet ſich auf einer langſamen Bewegung.
Man kriegt in denen Laſtern nicht auf einen Tag
einen habitum, ſondern es geſchiehet ſolches durch
unterſchiedliche Gradus, vielmehr aber in der
Tugend. Ein Menſch/ der ſein Elend erken-
net/ und ſich platter Dinge vornim̃t/ aller Wol-
luſt/ Ehrgierde und Geldſucht abzuſagen/ der
ſich zu dem Ende einſchlieſſet/ oder in Wald
laufft/ der macht es wie ein Patiente/ der ge-
faͤhrlich kranck iſt/ und da er die Kranckheit er-
kennet und geſund werden wil/ alſobald aus
dem Bette aufſtehet/ ſich ankleidet/ und ſeine
gewoͤhnliche Arbeit verrichtet. Nemlich/ es
machen beyde Ubel aͤrger. Gut Ding wil Weile
haben. Eine ploͤtzliche durch natuͤrliche Mittel
hergebrachte Veraͤnderung in denen Sitten iſt
eine Heucheley und Verſtellung/ wie die Kinder/
wenn ſie/ das Weinen zu verbeiſſen/ ſich zum
Lachen forciren. Man muß das Gute deshal-
ben nicht unterlaſſen/ weil es Anfangs ſchwer
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