Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.böse Affecten zu dämpffen. dencken/ daß wenn der herrschende Affect mitdem andern/ oder auch wohl mit dem andern und dritten zugleich sehr vermischt ist/ er sich für uns selbst noch mehr zu bergen und uns zu ver- blenden werde angelegen seyn lassen. Denn ist er so geschickt/ daß er sich für denen Augen vie- ler andern Menschen/ die täglich auf uns Acht haben/ durch seine Tücke und die grosse Mixtur mit denen andern beyden Affecten verstecken kan/ daß er sehr schwer ist/ ihn auszuforschen/ als wir oben angemercket haben/ (c) was wird er nicht erst thun/ für uns selbst? Denn bey der Erkäntnüs des Hertzens gehet es gantz anders zu als bey der Erkäntnüs unserer Gedancken im Gehirne. Dieser sind wir uns ja viel bes- ser bewust/ als andere Menschen/ oder als de- rer Gedancken anderer Menschen/ und mag in dieser Betrachtung des Cartesii sein Principium, Cogito ergo sum, wo nicht pro primo princi- pio, oder pro primo cognito, doch zum wenig- sten pro certissimo cognito gehalten werden. Aber der Neigungen unsers Hertzens werden wir später als andere gewahr/ und es gehet nicht so schwer her/ so schwer es auch ist/ anderer ihre Neigungen zu begreiffen/ als seine eigene/ und die Beschaffenheit dererselben/ und das Cogito taliter, ergo sum talis ist das schwerste axioma oder Schluß/ daran wir die Tage unsers Lebens zu lernen haben. 10. Und (c) cap. 12. §. 43. 44. G g 2
boͤſe Affecten zu daͤmpffen. dencken/ daß wenn der herrſchende Affect mitdem andern/ oder auch wohl mit dem andern und dritten zugleich ſehr vermiſcht iſt/ er ſich fuͤr uns ſelbſt noch mehr zu bergen und uns zu ver- blenden werde angelegen ſeyn laſſen. Denn iſt er ſo geſchickt/ daß er ſich fuͤr denen Augen vie- ler andern Menſchen/ die taͤglich auf uns Acht haben/ durch ſeine Tuͤcke und die groſſe Mixtur mit denen andern beyden Affecten verſtecken kan/ daß er ſehr ſchwer iſt/ ihn auszuforſchen/ als wir oben angemercket haben/ (c) was wird er nicht erſt thun/ fuͤr uns ſelbſt? Denn bey der Erkaͤntnuͤs des Hertzens gehet es gantz anders zu als bey der Erkaͤntnuͤs unſerer Gedancken im Gehirne. Dieſer ſind wir uns ja viel beſ- ſer bewuſt/ als andere Menſchen/ oder als de- rer Gedancken anderer Menſchen/ und mag in dieſer Betrachtung des Carteſii ſein Principium, Cogito ergo ſum, wo nicht pro primo princi- pio, oder pro primo cognito, doch zum wenig- ſten pro certiſſimo cognito gehalten werden. Aber der Neigungen unſers Hertzens werden wir ſpaͤter als andere gewahr/ und es gehet nicht ſo ſchwer her/ ſo ſchwer es auch iſt/ anderer ihre Neigungen zu begreiffen/ als ſeine eigene/ und die Beſchaffenheit dererſelben/ und das Cogito taliter, ergo ſum talis iſt das ſchwerſte axioma oder Schluß/ daran wir die Tage unſers Lebens zu lernen haben. 10. Und (c) cap. 12. §. 43. 44. G g 2
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boͤſe Affecten zu daͤmpffen.
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uns ſelbſt noch mehr zu bergen und uns zu ver-
blenden werde angelegen ſeyn laſſen. Denn
iſt er ſo geſchickt/ daß er ſich fuͤr denen Augen vie-
ler andern Menſchen/ die taͤglich auf uns Acht
haben/ durch ſeine Tuͤcke und die groſſe Mixtur
mit denen andern beyden Affecten verſtecken
kan/ daß er ſehr ſchwer iſt/ ihn auszuforſchen/ als
wir oben angemercket haben/ (c) was wird er
nicht erſt thun/ fuͤr uns ſelbſt? Denn bey der
Erkaͤntnuͤs des Hertzens gehet es gantz anders
zu als bey der Erkaͤntnuͤs unſerer Gedancken im
Gehirne. Dieſer ſind wir uns ja viel beſ-
ſer bewuſt/ als andere Menſchen/ oder als de-
rer Gedancken anderer Menſchen/ und mag in
dieſer Betrachtung des Carteſii ſein Principium,
Cogito ergo ſum, wo nicht pro primo princi-
pio, oder pro primo cognito, doch zum wenig-
ſten pro certiſſimo cognito gehalten werden.
Aber der Neigungen unſers Hertzens werden
wir ſpaͤter als andere gewahr/ und es gehet nicht
ſo ſchwer her/ ſo ſchwer es auch iſt/ anderer ihre
Neigungen zu begreiffen/ als ſeine eigene/ und
die Beſchaffenheit dererſelben/ und das Cogito
taliter, ergo ſum talis iſt das ſchwerſte axioma
oder Schluß/ daran wir die Tage unſers Lebens
zu lernen haben.
10. Und
(c) cap. 12. §. 43. 44.
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