Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

und denen daraus fliessenden Untug.
das wir nicht besitzen/ grösser vor/ als es ist/
oder doch ohne die Verdrießligkeit damit alle
Dinge vergesellschafftet sind. So erwecket dan-
nenhero hernach die Besitzung desselben nicht al-
leine durch den täglichen Gebrauch/ sondern
auch durch die Erkäntnüß/ daß der Genuß so an-
genehm nicht ist/ als wir uns solchen eingebildet/
und durch den daher entstehenden Widerwillen/
daß wir uns betrogen haben/ der nicht/ als er
wohl solte/ auf uns selbst/ sondern auf die un-
schuldige Sache fällt/ und endlich durch das Ko-
sten der mit verknüpfften Bitterkeit/ nothwendig
einen Eckel/ daß wir unsere Begierde verän-
dern.

12. Zu geschweigen/ daß diese Verände-
rung/
die ein Ehr-Geitziger verlanget/ nicht al-
lemahl/ ja gar selten in seinem Vermögen ist.
Wollüstige
sind noch einander behülfflich/ ihre
Lust zu büssen/ und finden so offte eben bey an-
dern keine grosse Hinderung. Aber Ehr-Gei-
tzige
müssen auch von Leuten/ die ihnen gleich-
geartet seind/ die gröste Hinderung gewärtig
seyn/ und wenn ein Ehrgeitziger den Kummer/
Mühe/ Arbeit/ Zorn und Verdruß/ die er vor
Erhaltung einer geringen eitelen Ehre ertragen
muß/ mit dieser auff eine Wagschale legen solte/
wurde er befinden/ daß er mehrentheils einen
Centner verdruß umb ein Loth Ehre in
sich fressen müsse/ wer wolte dann sagen/ daß

bey
P 2

und denen daraus flieſſenden Untug.
das wir nicht beſitzen/ groͤſſer vor/ als es iſt/
oder doch ohne die Verdrießligkeit damit alle
Dinge vergeſellſchafftet ſind. So erwecket dan-
nenhero hernach die Beſitzung deſſelben nicht al-
leine durch den taͤglichen Gebrauch/ ſondern
auch durch die Erkaͤntnuͤß/ daß der Genuß ſo an-
genehm nicht iſt/ als wir uns ſolchen eingebildet/
und durch den daher entſtehenden Widerwillen/
daß wir uns betrogen haben/ der nicht/ als er
wohl ſolte/ auf uns ſelbſt/ ſondern auf die un-
ſchuldige Sache faͤllt/ und endlich durch das Ko-
ſten der mit verknuͤpfften Bitterkeit/ nothwendig
einen Eckel/ daß wir unſere Begierde veraͤn-
dern.

12. Zu geſchweigen/ daß dieſe Veraͤnde-
rung/
die ein Ehr-Geitziger verlanget/ nicht al-
lemahl/ ja gar ſelten in ſeinem Vermoͤgen iſt.
Wolluͤſtige
ſind noch einander behuͤlfflich/ ihre
Luſt zu buͤſſen/ und finden ſo offte eben bey an-
dern keine groſſe Hinderung. Aber Ehr-Gei-
tzige
muͤſſen auch von Leuten/ die ihnen gleich-
geartet ſeind/ die groͤſte Hinderung gewaͤrtig
ſeyn/ und wenn ein Ehrgeitziger den Kummer/
Muͤhe/ Arbeit/ Zorn und Verdruß/ die er vor
Erhaltung einer geringen eitelen Ehre ertragen
muß/ mit dieſer auff eine Wagſchale legen ſolte/
wurde er befinden/ daß er mehrentheils einen
Centner verdruß umb ein Loth Ehre in
ſich freſſen muͤſſe/ wer wolte dann ſagen/ daß

bey
P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="227"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und denen daraus flie&#x017F;&#x017F;enden Untug.</hi></fw><lb/>
das wir nicht be&#x017F;itzen/ <hi rendition="#fr">gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er</hi> vor/ als es i&#x017F;t/<lb/>
oder doch <hi rendition="#fr">ohne die Verdrießligkeit</hi> damit alle<lb/>
Dinge verge&#x017F;ell&#x017F;chafftet &#x017F;ind. So erwecket dan-<lb/>
nenhero hernach die Be&#x017F;itzung de&#x017F;&#x017F;elben nicht al-<lb/>
leine durch den ta&#x0364;glichen Gebrauch/ &#x017F;ondern<lb/>
auch durch die Erka&#x0364;ntnu&#x0364;ß/ daß der Genuß &#x017F;o an-<lb/>
genehm nicht i&#x017F;t/ als wir uns &#x017F;olchen eingebildet/<lb/>
und durch den daher ent&#x017F;tehenden Widerwillen/<lb/>
daß wir uns betrogen haben/ der nicht/ als er<lb/>
wohl &#x017F;olte/ auf uns &#x017F;elb&#x017F;t/ &#x017F;ondern auf die un-<lb/>
&#x017F;chuldige Sache fa&#x0364;llt/ und endlich durch das Ko-<lb/>
&#x017F;ten der mit verknu&#x0364;pfften Bitterkeit/ nothwendig<lb/>
einen <hi rendition="#fr">Eckel/</hi> daß wir un&#x017F;ere Begierde vera&#x0364;n-<lb/>
dern.</p><lb/>
        <p>12. Zu ge&#x017F;chweigen/ <hi rendition="#fr">daß die&#x017F;e Vera&#x0364;nde-<lb/>
rung/</hi> die ein Ehr-Geitziger verlanget/ nicht al-<lb/>
lemahl/ ja <hi rendition="#fr">gar &#x017F;elten in &#x017F;einem Vermo&#x0364;gen i&#x017F;t.<lb/>
Wollu&#x0364;&#x017F;tige</hi> &#x017F;ind noch einander behu&#x0364;lfflich/ ihre<lb/>
Lu&#x017F;t zu bu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ und finden &#x017F;o offte eben bey an-<lb/>
dern keine gro&#x017F;&#x017F;e Hinderung. Aber <hi rendition="#fr">Ehr-Gei-<lb/>
tzige</hi> mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auch von Leuten/ die ihnen gleich-<lb/>
geartet &#x017F;eind/ die gro&#x0364;&#x017F;te <hi rendition="#fr">Hinderung</hi> gewa&#x0364;rtig<lb/>
&#x017F;eyn/ und wenn ein Ehrgeitziger den Kummer/<lb/>
Mu&#x0364;he/ Arbeit/ Zorn und Verdruß/ die er vor<lb/>
Erhaltung einer geringen eitelen Ehre ertragen<lb/>
muß/ mit die&#x017F;er auff eine Wag&#x017F;chale legen &#x017F;olte/<lb/>
wurde er befinden/ daß er mehrentheils einen<lb/><hi rendition="#fr">Centner verdruß</hi> umb ein <hi rendition="#fr">Loth Ehre</hi> in<lb/>
&#x017F;ich fre&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e/ wer wolte dann &#x017F;agen/ daß<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 2</fw><fw place="bottom" type="catch">bey</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0239] und denen daraus flieſſenden Untug. das wir nicht beſitzen/ groͤſſer vor/ als es iſt/ oder doch ohne die Verdrießligkeit damit alle Dinge vergeſellſchafftet ſind. So erwecket dan- nenhero hernach die Beſitzung deſſelben nicht al- leine durch den taͤglichen Gebrauch/ ſondern auch durch die Erkaͤntnuͤß/ daß der Genuß ſo an- genehm nicht iſt/ als wir uns ſolchen eingebildet/ und durch den daher entſtehenden Widerwillen/ daß wir uns betrogen haben/ der nicht/ als er wohl ſolte/ auf uns ſelbſt/ ſondern auf die un- ſchuldige Sache faͤllt/ und endlich durch das Ko- ſten der mit verknuͤpfften Bitterkeit/ nothwendig einen Eckel/ daß wir unſere Begierde veraͤn- dern. 12. Zu geſchweigen/ daß dieſe Veraͤnde- rung/ die ein Ehr-Geitziger verlanget/ nicht al- lemahl/ ja gar ſelten in ſeinem Vermoͤgen iſt. Wolluͤſtige ſind noch einander behuͤlfflich/ ihre Luſt zu buͤſſen/ und finden ſo offte eben bey an- dern keine groſſe Hinderung. Aber Ehr-Gei- tzige muͤſſen auch von Leuten/ die ihnen gleich- geartet ſeind/ die groͤſte Hinderung gewaͤrtig ſeyn/ und wenn ein Ehrgeitziger den Kummer/ Muͤhe/ Arbeit/ Zorn und Verdruß/ die er vor Erhaltung einer geringen eitelen Ehre ertragen muß/ mit dieſer auff eine Wagſchale legen ſolte/ wurde er befinden/ daß er mehrentheils einen Centner verdruß umb ein Loth Ehre in ſich freſſen muͤſſe/ wer wolte dann ſagen/ daß bey P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/239
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/239>, abgerufen am 23.11.2024.