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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
handlungen, und so konnte auch Mariens ver-
schloßne Thür, die sonst wohl sehr unbesucht blieb,
und gewis von denen, die sonst der Wittwen
Häuser fraßen, sie konnte diesem Gerüchte nicht
unzugänglich bleiben. Irgend ein schadenfroher
Nachbar, irgend ein neidisches, bösartiges Weib
mußte es ihr hinterbringen, wenn nicht früher
schon ein guter Engel, seis in Gabriels oder
Johannes Gestalt, ihr erschien, und ihr in die
Sele rief: "fürchte dich nicht, du hast Gnade bei
&q;Gott funden," auch in diesem allertiefsten Mut-
terleiden. Dein Geliebter, von dem du längst
weißt, daß er der Geliebte Gottes sei, den izt
Israel verwirft, sucht in dieser Verwerfung Gnade
bei Gott für alle, durch Sünde verwerfliche, Men-
schen, und wird sie finden. Aus der Nacht,
die izt ihn umgiebt, wird ein heller Tag werden,
an dessen erstem Morgenstrahl auch dein trüb ge-
weintes, in tiefem Gram verdunkeltes Auge sich
erquikken, stärken und erhellen soll. Der izt
gebunden vor dem hohen Nath steht, ist doch der
Erlöser -- nach dem allerhöchsten Nath.

In Kaiphas des Hohenpriesters Pallast wa-
ren nun schon Kläger, Räthe und Richter ver-
sammlet, wie Jesus in Begleitung der Wache
dort ankam. Eher einer geheimen Verschwörung
als einer öffentlichen Gerichtshegung glich doch
diese nächtliche Zusammenkunft. Wenn ein
Lichtstrahl in sie hinein fiel: so drang er aus dem
Aug des Herrn, das izt gewis mit der, ihm ganz
eignen, Maiestät umherblikte, und mit einem
Blikke alle die hier versammelten Richter verur-

theilte,

Unſer Herr
handlungen, und ſo konnte auch Mariens ver-
ſchloßne Thür, die ſonſt wohl ſehr unbeſucht blieb,
und gewis von denen, die ſonſt der Wittwen
Häuſer fraßen, ſie konnte dieſem Gerüchte nicht
unzugänglich bleiben. Irgend ein ſchadenfroher
Nachbar, irgend ein neidiſches, bösartiges Weib
mußte es ihr hinterbringen, wenn nicht früher
ſchon ein guter Engel, ſeis in Gabriels oder
Johannes Geſtalt, ihr erſchien, und ihr in die
Sele rief: “fürchte dich nicht, du haſt Gnade bei
&q;Gott funden,” auch in dieſem allertiefſten Mut-
terleiden. Dein Geliebter, von dem du längſt
weißt, daß er der Geliebte Gottes ſei, den izt
Iſrael verwirft, ſucht in dieſer Verwerfung Gnade
bei Gott für alle, durch Sünde verwerfliche, Men-
ſchen, und wird ſie finden. Aus der Nacht,
die izt ihn umgiebt, wird ein heller Tag werden,
an deſſen erſtem Morgenſtrahl auch dein trüb ge-
weintes, in tiefem Gram verdunkeltes Auge ſich
erquikken, ſtärken und erhellen ſoll. Der izt
gebunden vor dem hohen Nath ſteht, iſt doch der
Erlöſer — nach dem allerhöchſten Nath.

In Kaiphas des Hohenprieſters Pallaſt wa-
ren nun ſchon Kläger, Räthe und Richter ver-
ſammlet, wie Jeſus in Begleitung der Wache
dort ankam. Eher einer geheimen Verſchwörung
als einer öffentlichen Gerichtshegung glich doch
dieſe nächtliche Zuſammenkunft. Wenn ein
Lichtſtrahl in ſie hinein fiel: ſo drang er aus dem
Aug des Herrn, das izt gewis mit der, ihm ganz
eignen, Maieſtät umherblikte, und mit einem
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[76/0090] Unſer Herr handlungen, und ſo konnte auch Mariens ver- ſchloßne Thür, die ſonſt wohl ſehr unbeſucht blieb, und gewis von denen, die ſonſt der Wittwen Häuſer fraßen, ſie konnte dieſem Gerüchte nicht unzugänglich bleiben. Irgend ein ſchadenfroher Nachbar, irgend ein neidiſches, bösartiges Weib mußte es ihr hinterbringen, wenn nicht früher ſchon ein guter Engel, ſeis in Gabriels oder Johannes Geſtalt, ihr erſchien, und ihr in die Sele rief: “fürchte dich nicht, du haſt Gnade bei &q;Gott funden,” auch in dieſem allertiefſten Mut- terleiden. Dein Geliebter, von dem du längſt weißt, daß er der Geliebte Gottes ſei, den izt Iſrael verwirft, ſucht in dieſer Verwerfung Gnade bei Gott für alle, durch Sünde verwerfliche, Men- ſchen, und wird ſie finden. Aus der Nacht, die izt ihn umgiebt, wird ein heller Tag werden, an deſſen erſtem Morgenſtrahl auch dein trüb ge- weintes, in tiefem Gram verdunkeltes Auge ſich erquikken, ſtärken und erhellen ſoll. Der izt gebunden vor dem hohen Nath ſteht, iſt doch der Erlöſer — nach dem allerhöchſten Nath. In Kaiphas des Hohenprieſters Pallaſt wa- ren nun ſchon Kläger, Räthe und Richter ver- ſammlet, wie Jeſus in Begleitung der Wache dort ankam. Eher einer geheimen Verſchwörung als einer öffentlichen Gerichtshegung glich doch dieſe nächtliche Zuſammenkunft. Wenn ein Lichtſtrahl in ſie hinein fiel: ſo drang er aus dem Aug des Herrn, das izt gewis mit der, ihm ganz eignen, Maieſtät umherblikte, und mit einem Blikke alle die hier verſammelten Richter verur- theilte,

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/90>, abgerufen am 25.11.2024.