Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

gefangen in des Hohenpriesters Pallast.
seiner Leiden und seines, immer mehr herannahen-
den, Todes, so wenig der Familienumstände
Jesu erwähnen, und sich auf keine Darstellung,
auf keine einzelne Schilderung seines oder der Sei-
nigen häuslichen Lebens einlassen, die doch so viel
Reizendes und Rührendes haben könnte. Aber
es ist auch sehr natürlich, daß wir, die wir Theil
nehmen an dem Schiksal derer, die an allen Tha-
ten und Schiksalen unsers Herrn einen so innigen,
nahen, natürlichen Antheil nahmen, uns von Zeit
zu Zeit nach diesen lieben Personen umsehen, die
sich von Zeit zu Zeit aus seiner Geschichte zu
verliehren scheinen, und in bescheidner Entfernung,
im stillen Thale der Demuth stehen bleiben, indeß
Er von einer Höh zur andern fortgeht. Er schien
nun von dieser, von seiner höchsten Höhe, die
er mit der Auferwekkung des Lazarus schien erreicht
zu haben, auf einmal in die schreklichste Tiefe
herabgestürzt zu sein. Einen Schlag von der
Art fühlte gewis Maria, so wie ihr die Nachricht
wurde, Jesus sei in der Nacht überfallen,
verhaftet, und werde noch gegen Morgen als ein
Staats und Religionsverbrecher vor den Hohen-
priester und den ganzen versammleten hohen Rath
gestellt, und von da vielleicht gleich zu dem römi-
schen Statthalter geschleppt werden, um das
über ihn, schon so gut wie gesprochne, Todesur-
theil sich einzuholen. Schneller lief gewis dies
Gerücht durch alle Gassen Jerusalems, durch alle
Orthschaften Judäens und Galiläens, schneller
wie vormals das Gerücht von irgend einer seiner
menschlichen Wunder- seiner göttlichen Natur-

hand-

gefangen in des Hohenprieſters Pallaſt.
ſeiner Leiden und ſeines, immer mehr herannahen-
den, Todes, ſo wenig der Familienumſtände
Jeſu erwähnen, und ſich auf keine Darſtellung,
auf keine einzelne Schilderung ſeines oder der Sei-
nigen häuslichen Lebens einlaſſen, die doch ſo viel
Reizendes und Rührendes haben könnte. Aber
es iſt auch ſehr natürlich, daß wir, die wir Theil
nehmen an dem Schikſal derer, die an allen Tha-
ten und Schikſalen unſers Herrn einen ſo innigen,
nahen, natürlichen Antheil nahmen, uns von Zeit
zu Zeit nach dieſen lieben Perſonen umſehen, die
ſich von Zeit zu Zeit aus ſeiner Geſchichte zu
verliehren ſcheinen, und in beſcheidner Entfernung,
im ſtillen Thale der Demuth ſtehen bleiben, indeß
Er von einer Höh zur andern fortgeht. Er ſchien
nun von dieſer, von ſeiner höchſten Höhe, die
er mit der Auferwekkung des Lazarus ſchien erreicht
zu haben, auf einmal in die ſchreklichſte Tiefe
herabgeſtürzt zu ſein. Einen Schlag von der
Art fühlte gewis Maria, ſo wie ihr die Nachricht
wurde, Jeſus ſei in der Nacht überfallen,
verhaftet, und werde noch gegen Morgen als ein
Staats und Religionsverbrecher vor den Hohen-
prieſter und den ganzen verſammleten hohen Rath
geſtellt, und von da vielleicht gleich zu dem römi-
ſchen Statthalter geſchleppt werden, um das
über ihn, ſchon ſo gut wie geſprochne, Todesur-
theil ſich einzuholen. Schneller lief gewis dies
Gerücht durch alle Gaſſen Jeruſalems, durch alle
Orthſchaften Judäens und Galiläens, ſchneller
wie vormals das Gerücht von irgend einer ſeiner
menſchlichen Wunder- ſeiner göttlichen Natur-

hand-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="75"/><fw place="top" type="header">gefangen in des Hohenprie&#x017F;ters Palla&#x017F;t.</fw><lb/>
&#x017F;einer Leiden und &#x017F;eines, immer mehr herannahen-<lb/>
den, Todes, &#x017F;o wenig der Familienum&#x017F;tände<lb/>
Je&#x017F;u erwähnen, und &#x017F;ich auf keine Dar&#x017F;tellung,<lb/>
auf keine einzelne Schilderung &#x017F;eines oder der Sei-<lb/>
nigen häuslichen Lebens einla&#x017F;&#x017F;en, die doch &#x017F;o viel<lb/>
Reizendes und Rührendes haben könnte. Aber<lb/>
es i&#x017F;t auch &#x017F;ehr natürlich, daß wir, die wir Theil<lb/>
nehmen an dem Schik&#x017F;al derer, die an allen Tha-<lb/>
ten und Schik&#x017F;alen un&#x017F;ers Herrn einen &#x017F;o innigen,<lb/>
nahen, natürlichen Antheil nahmen, uns von Zeit<lb/>
zu Zeit nach die&#x017F;en lieben Per&#x017F;onen um&#x017F;ehen, die<lb/>
&#x017F;ich von Zeit zu Zeit aus &#x017F;einer Ge&#x017F;chichte zu<lb/>
verliehren &#x017F;cheinen, und in be&#x017F;cheidner Entfernung,<lb/>
im &#x017F;tillen Thale der Demuth &#x017F;tehen bleiben, indeß<lb/>
Er von einer Höh zur andern fortgeht. Er &#x017F;chien<lb/>
nun von die&#x017F;er, von &#x017F;einer höch&#x017F;ten Höhe, die<lb/>
er mit der Auferwekkung des Lazarus &#x017F;chien erreicht<lb/>
zu haben, auf einmal in die &#x017F;chreklich&#x017F;te Tiefe<lb/>
herabge&#x017F;türzt zu &#x017F;ein. Einen Schlag von der<lb/>
Art fühlte gewis Maria, &#x017F;o wie ihr die Nachricht<lb/>
wurde, Je&#x017F;us &#x017F;ei in der Nacht überfallen,<lb/>
verhaftet, und werde noch gegen Morgen als ein<lb/>
Staats und Religionsverbrecher vor den Hohen-<lb/>
prie&#x017F;ter und den ganzen ver&#x017F;ammleten hohen Rath<lb/>
ge&#x017F;tellt, und von da vielleicht gleich zu dem römi-<lb/>
&#x017F;chen Statthalter ge&#x017F;chleppt werden, um das<lb/>
über ihn, &#x017F;chon &#x017F;o gut wie ge&#x017F;prochne, Todesur-<lb/>
theil &#x017F;ich einzuholen. Schneller lief gewis dies<lb/>
Gerücht durch alle Ga&#x017F;&#x017F;en Jeru&#x017F;alems, durch alle<lb/>
Orth&#x017F;chaften Judäens und Galiläens, &#x017F;chneller<lb/>
wie vormals das Gerücht von irgend einer &#x017F;einer<lb/>
men&#x017F;chlichen Wunder- &#x017F;einer göttlichen Natur-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hand-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0089] gefangen in des Hohenprieſters Pallaſt. ſeiner Leiden und ſeines, immer mehr herannahen- den, Todes, ſo wenig der Familienumſtände Jeſu erwähnen, und ſich auf keine Darſtellung, auf keine einzelne Schilderung ſeines oder der Sei- nigen häuslichen Lebens einlaſſen, die doch ſo viel Reizendes und Rührendes haben könnte. Aber es iſt auch ſehr natürlich, daß wir, die wir Theil nehmen an dem Schikſal derer, die an allen Tha- ten und Schikſalen unſers Herrn einen ſo innigen, nahen, natürlichen Antheil nahmen, uns von Zeit zu Zeit nach dieſen lieben Perſonen umſehen, die ſich von Zeit zu Zeit aus ſeiner Geſchichte zu verliehren ſcheinen, und in beſcheidner Entfernung, im ſtillen Thale der Demuth ſtehen bleiben, indeß Er von einer Höh zur andern fortgeht. Er ſchien nun von dieſer, von ſeiner höchſten Höhe, die er mit der Auferwekkung des Lazarus ſchien erreicht zu haben, auf einmal in die ſchreklichſte Tiefe herabgeſtürzt zu ſein. Einen Schlag von der Art fühlte gewis Maria, ſo wie ihr die Nachricht wurde, Jeſus ſei in der Nacht überfallen, verhaftet, und werde noch gegen Morgen als ein Staats und Religionsverbrecher vor den Hohen- prieſter und den ganzen verſammleten hohen Rath geſtellt, und von da vielleicht gleich zu dem römi- ſchen Statthalter geſchleppt werden, um das über ihn, ſchon ſo gut wie geſprochne, Todesur- theil ſich einzuholen. Schneller lief gewis dies Gerücht durch alle Gaſſen Jeruſalems, durch alle Orthſchaften Judäens und Galiläens, ſchneller wie vormals das Gerücht von irgend einer ſeiner menſchlichen Wunder- ſeiner göttlichen Natur- hand-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/89
Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/89>, abgerufen am 22.11.2024.