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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
Gesichtszügen Jesu strahlte, hätte diese Zusam-
menkunft, der Zeitumstände wegen, für den Simon
doch leicht etwas Aengstliches haben können, hätt
er den Abend nur in Jesu Gesellschaft zugebracht,
oder vielmehr hätte Jesus blos seine Gesellschaft
gehabt, die Ihm, wie das Simon wohl selbst
fühlte, izt wenig Unterhaltung gewähren konnte.
Aber auf die erste Nachricht: Jesus ist wieder da!
flog auch die kleine Gesellschaft zu ihm hin, die un-
ter sich ein Herz war, besonders wenn es auf Ach-
tung und Liebe zu Jesu ankam. Lazarus, sein
Freund, an dem er die größeste Wunder- und
Wohlthat verrichtet hatte, und seine beiden gutar-
tigen Schwestern, Maria, die stillhorchende, sanfte
Schülerin Jesu, und Martho, die so gern in häus-
licher Geschäftigkeit um ihn war, diese lieben, schön
verbundnen Selen, eilten sogleich hin zu ihrem Je-
sus, und machten nun mit Simon, dem Wirth, die
Abendgesellschaft dieses einsamen Tags für Jesum
aus. Könnt ich doch mit reinem Sinn in diese
Gesellschaft, in ihre liebevollen Gespräche, in ihren
gegenseitigen Genuß, in ihre stille Freude mich ver-
sezzen. Ach so wie ich von meinen Gesellschaften
absehe, so wie ich aus meiner Einsamkeit einen
Blik hinwerfe in diese Gesellschaft des Herrn, nur
einen Blik, von Andacht und Liebe beseelt: so
brennt mein Herz in mir! Da saß Er, kurz vor
Antritt seiner Leiden, in so freundschaftlichem Zir-
kel; wo er saß, war die Mitte der Gesellschaft des
Gesprächs und des Genusses. An seiner Seite
denk ich mir den Lazarus. Wie mußte sein Aug
und sein Herz zu Ihm hingewandt sein! Jeder

Bis-

Unſer Herr
Geſichtszügen Jeſu ſtrahlte, hätte dieſe Zuſam-
menkunft, der Zeitumſtände wegen, für den Simon
doch leicht etwas Aengſtliches haben können, hätt
er den Abend nur in Jeſu Geſellſchaft zugebracht,
oder vielmehr hätte Jeſus blos ſeine Geſellſchaft
gehabt, die Ihm, wie das Simon wohl ſelbſt
fühlte, izt wenig Unterhaltung gewähren konnte.
Aber auf die erſte Nachricht: Jeſus iſt wieder da!
flog auch die kleine Geſellſchaft zu ihm hin, die un-
ter ſich ein Herz war, beſonders wenn es auf Ach-
tung und Liebe zu Jeſu ankam. Lazarus, ſein
Freund, an dem er die größeſte Wunder- und
Wohlthat verrichtet hatte, und ſeine beiden gutar-
tigen Schweſtern, Maria, die ſtillhorchende, ſanfte
Schülerin Jeſu, und Martho, die ſo gern in häus-
licher Geſchäftigkeit um ihn war, dieſe lieben, ſchön
verbundnen Selen, eilten ſogleich hin zu ihrem Je-
ſus, und machten nun mit Simon, dem Wirth, die
Abendgeſellſchaft dieſes einſamen Tags für Jeſum
aus. Könnt ich doch mit reinem Sinn in dieſe
Geſellſchaft, in ihre liebevollen Geſpräche, in ihren
gegenſeitigen Genuß, in ihre ſtille Freude mich ver-
ſezzen. Ach ſo wie ich von meinen Geſellſchaften
abſehe, ſo wie ich aus meiner Einſamkeit einen
Blik hinwerfe in dieſe Geſellſchaft des Herrn, nur
einen Blik, von Andacht und Liebe beſeelt: ſo
brennt mein Herz in mir! Da ſaß Er, kurz vor
Antritt ſeiner Leiden, in ſo freundſchaftlichem Zir-
kel; wo er ſaß, war die Mitte der Geſellſchaft des
Geſprächs und des Genuſſes. An ſeiner Seite
denk ich mir den Lazarus. Wie mußte ſein Aug
und ſein Herz zu Ihm hingewandt ſein! Jeder

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[12/0026] Unſer Herr Geſichtszügen Jeſu ſtrahlte, hätte dieſe Zuſam- menkunft, der Zeitumſtände wegen, für den Simon doch leicht etwas Aengſtliches haben können, hätt er den Abend nur in Jeſu Geſellſchaft zugebracht, oder vielmehr hätte Jeſus blos ſeine Geſellſchaft gehabt, die Ihm, wie das Simon wohl ſelbſt fühlte, izt wenig Unterhaltung gewähren konnte. Aber auf die erſte Nachricht: Jeſus iſt wieder da! flog auch die kleine Geſellſchaft zu ihm hin, die un- ter ſich ein Herz war, beſonders wenn es auf Ach- tung und Liebe zu Jeſu ankam. Lazarus, ſein Freund, an dem er die größeſte Wunder- und Wohlthat verrichtet hatte, und ſeine beiden gutar- tigen Schweſtern, Maria, die ſtillhorchende, ſanfte Schülerin Jeſu, und Martho, die ſo gern in häus- licher Geſchäftigkeit um ihn war, dieſe lieben, ſchön verbundnen Selen, eilten ſogleich hin zu ihrem Je- ſus, und machten nun mit Simon, dem Wirth, die Abendgeſellſchaft dieſes einſamen Tags für Jeſum aus. Könnt ich doch mit reinem Sinn in dieſe Geſellſchaft, in ihre liebevollen Geſpräche, in ihren gegenſeitigen Genuß, in ihre ſtille Freude mich ver- ſezzen. Ach ſo wie ich von meinen Geſellſchaften abſehe, ſo wie ich aus meiner Einſamkeit einen Blik hinwerfe in dieſe Geſellſchaft des Herrn, nur einen Blik, von Andacht und Liebe beſeelt: ſo brennt mein Herz in mir! Da ſaß Er, kurz vor Antritt ſeiner Leiden, in ſo freundſchaftlichem Zir- kel; wo er ſaß, war die Mitte der Geſellſchaft des Geſprächs und des Genuſſes. An ſeiner Seite denk ich mir den Lazarus. Wie mußte ſein Aug und ſein Herz zu Ihm hingewandt ſein! Jeder Biſ-

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/26>, abgerufen am 24.06.2024.