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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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in Bethanien.
verwendet. Viel Aehnliches haben allerdings
beide Erzählungen, zumal wenn man den Bericht
des Johannes mit dem des Lukas vergleicht, aber
doch nicht Gleichheit genug, um sie mit Sicherheit
für eine Geschichte auszugeben. So seh ich auch
nicht klar, ob dieser Simon darum der Aussäzzige
hieß, weil er ehmals diese schrekliche Krankheit ge-
habt hatte, oder weil er sie noch izt, zum wenigsten
noch ihre Folgen, an seinem Leibe trug. Im lez-
tern Falle hätte Jesus zwar, nach iüdischem Gesez,
nicht zu ihm gehn sollen: aber wie wär Er an dies
Gesez gebunden gewesen, da er, was kein Arzt und
Priester vermögend war, sogleich mit einem Worte
vom Aussaz rein sprechen konnte? Hatte Simon
ehmals den Aussaz gehabt, so war er vielleicht
oder wahrscheinlich von Jesu wunderthätig geheilt
worden. Vielleicht, denn wie viel Aussäzzigen
hat Jesus nicht, nach dem Bericht der heiligen Ge-
schichtschreiber, geholfen? und von wie manchen,
die er ganz im Stillen davon befreite, haben wir
vielleicht diesen Bericht nicht? -- wahrscheinlich,
weil Simon mit Jesu so bekannt war, weil er mit
ihm und seinen Freunden den genauesten Umgang,
Tischfreundschaft, hatte, weil er ihn auch da in sein
Haus aufnahm, wie diese Aufnahme vom hohen
Rath war untersagt, und sogar befohlen worden,
daß sein Aufenthalt ihm angezeigt werden sollte.

Mit diesem Simon sezte sich Jesus Abends
zu Tische, der gerichtlich Belangte mit dem Aus-
säzzigen. Bei aller Freimüthigkeit und Heiterkeit,
die immer, und so gewis auch izt, aus den erhabnen

Ge-

in Bethanien.
verwendet. Viel Aehnliches haben allerdings
beide Erzählungen, zumal wenn man den Bericht
des Johannes mit dem des Lukas vergleicht, aber
doch nicht Gleichheit genug, um ſie mit Sicherheit
für eine Geſchichte auszugeben. So ſeh ich auch
nicht klar, ob dieſer Simon darum der Auſſäzzige
hieß, weil er ehmals dieſe ſchrekliche Krankheit ge-
habt hatte, oder weil er ſie noch izt, zum wenigſten
noch ihre Folgen, an ſeinem Leibe trug. Im lez-
tern Falle hätte Jeſus zwar, nach iüdiſchem Geſez,
nicht zu ihm gehn ſollen: aber wie wär Er an dies
Geſez gebunden geweſen, da er, was kein Arzt und
Prieſter vermögend war, ſogleich mit einem Worte
vom Auſſaz rein ſprechen konnte? Hatte Simon
ehmals den Auſſaz gehabt, ſo war er vielleicht
oder wahrſcheinlich von Jeſu wunderthätig geheilt
worden. Vielleicht, denn wie viel Auſſäzzigen
hat Jeſus nicht, nach dem Bericht der heiligen Ge-
ſchichtſchreiber, geholfen? und von wie manchen,
die er ganz im Stillen davon befreite, haben wir
vielleicht dieſen Bericht nicht? — wahrſcheinlich,
weil Simon mit Jeſu ſo bekannt war, weil er mit
ihm und ſeinen Freunden den genaueſten Umgang,
Tiſchfreundſchaft, hatte, weil er ihn auch da in ſein
Haus aufnahm, wie dieſe Aufnahme vom hohen
Rath war unterſagt, und ſogar befohlen worden,
daß ſein Aufenthalt ihm angezeigt werden ſollte.

Mit dieſem Simon ſezte ſich Jeſus Abends
zu Tiſche, der gerichtlich Belangte mit dem Aus-
ſäzzigen. Bei aller Freimüthigkeit und Heiterkeit,
die immer, und ſo gewis auch izt, aus den erhabnen

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[11/0025] in Bethanien. verwendet. Viel Aehnliches haben allerdings beide Erzählungen, zumal wenn man den Bericht des Johannes mit dem des Lukas vergleicht, aber doch nicht Gleichheit genug, um ſie mit Sicherheit für eine Geſchichte auszugeben. So ſeh ich auch nicht klar, ob dieſer Simon darum der Auſſäzzige hieß, weil er ehmals dieſe ſchrekliche Krankheit ge- habt hatte, oder weil er ſie noch izt, zum wenigſten noch ihre Folgen, an ſeinem Leibe trug. Im lez- tern Falle hätte Jeſus zwar, nach iüdiſchem Geſez, nicht zu ihm gehn ſollen: aber wie wär Er an dies Geſez gebunden geweſen, da er, was kein Arzt und Prieſter vermögend war, ſogleich mit einem Worte vom Auſſaz rein ſprechen konnte? Hatte Simon ehmals den Auſſaz gehabt, ſo war er vielleicht oder wahrſcheinlich von Jeſu wunderthätig geheilt worden. Vielleicht, denn wie viel Auſſäzzigen hat Jeſus nicht, nach dem Bericht der heiligen Ge- ſchichtſchreiber, geholfen? und von wie manchen, die er ganz im Stillen davon befreite, haben wir vielleicht dieſen Bericht nicht? — wahrſcheinlich, weil Simon mit Jeſu ſo bekannt war, weil er mit ihm und ſeinen Freunden den genaueſten Umgang, Tiſchfreundſchaft, hatte, weil er ihn auch da in ſein Haus aufnahm, wie dieſe Aufnahme vom hohen Rath war unterſagt, und ſogar befohlen worden, daß ſein Aufenthalt ihm angezeigt werden ſollte. Mit dieſem Simon ſezte ſich Jeſus Abends zu Tiſche, der gerichtlich Belangte mit dem Aus- ſäzzigen. Bei aller Freimüthigkeit und Heiterkeit, die immer, und ſo gewis auch izt, aus den erhabnen Ge-

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/25>, abgerufen am 28.06.2024.