Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomé de Gamond, Louis-Joseph-Aimé: Leben Davids, ersten Malers Napoleons. Übers. v. E. S. Leipzig u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben
nug, zu bemerken, daß kein Künstler besser ver-
stand als er, die Natur aufzufassen und darzu-
stellen, und seinen Gemälden Leben und Bewe-
gung zu ertheilen, und Keiner in einem so ho-
hen Grade die Schönheit des Pinsels mit der
Reinheit der Zeichnung verband. Kurz, er ver-
dient mit vollem Recht ein philosophischer
Maler
zu heißen, wie er Poussin immer gern
zu nennen pflegte. Raphael hat mehr Grazie;
die venetianischen Colorite höhern Glanz. Die
Schönheit von Raphaels Gemälden besteht in
dem himmlischen Ausdruck seiner Köpfe; Cor-
reggio zeichnet sich durch die Rundung seiner
Umrisse, und Michel Angelo durch die riesen-
hafte Gestaltung der Massen und die Kraft der
Zeichnung aus. David hingegen drückte seinen
Gemälden, ohne im mindesten zu künsteln, oder
etwas zu übertreiben, zuerst wieder den ruhig
erhabenen Charakter auf, den Scopas, Apelles
und Protagoras den ihrigen zu geben verstan-
den; ja, die übernatürliche Schönheit der alten
Statuen schien in Davids Bildern wieder auf-
zuleben.

Casimir Delavigne, ein Dichter, aus des-

Leben
nug, zu bemerken, daß kein Kuͤnſtler beſſer ver-
ſtand als er, die Natur aufzufaſſen und darzu-
ſtellen, und ſeinen Gemaͤlden Leben und Bewe-
gung zu ertheilen, und Keiner in einem ſo ho-
hen Grade die Schoͤnheit des Pinſels mit der
Reinheit der Zeichnung verband. Kurz, er ver-
dient mit vollem Recht ein philoſophiſcher
Maler
zu heißen, wie er Pouſſin immer gern
zu nennen pflegte. Raphael hat mehr Grazie;
die venetianiſchen Colorite hoͤhern Glanz. Die
Schoͤnheit von Raphaels Gemaͤlden beſteht in
dem himmliſchen Ausdruck ſeiner Koͤpfe; Cor-
reggio zeichnet ſich durch die Rundung ſeiner
Umriſſe, und Michel Angelo durch die rieſen-
hafte Geſtaltung der Maſſen und die Kraft der
Zeichnung aus. David hingegen druͤckte ſeinen
Gemaͤlden, ohne im mindeſten zu kuͤnſteln, oder
etwas zu uͤbertreiben, zuerſt wieder den ruhig
erhabenen Charakter auf, den Scopas, Apelles
und Protagoras den ihrigen zu geben verſtan-
den; ja, die uͤbernatuͤrliche Schoͤnheit der alten
Statuen ſchien in Davids Bildern wieder auf-
zuleben.

Caſimir Delavigne, ein Dichter, aus deſ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0186" n="172"/><fw place="top" type="header">Leben</fw><lb/>
nug, zu bemerken, daß kein Ku&#x0364;n&#x017F;tler be&#x017F;&#x017F;er ver-<lb/>
&#x017F;tand als er, die Natur aufzufa&#x017F;&#x017F;en und darzu-<lb/>
&#x017F;tellen, und &#x017F;einen Gema&#x0364;lden Leben und Bewe-<lb/>
gung zu ertheilen, und Keiner in einem &#x017F;o ho-<lb/>
hen Grade die Scho&#x0364;nheit des Pin&#x017F;els mit der<lb/>
Reinheit der Zeichnung verband. Kurz, er ver-<lb/>
dient mit vollem Recht ein <hi rendition="#g">philo&#x017F;ophi&#x017F;cher<lb/>
Maler</hi> zu heißen, wie er Pou&#x017F;&#x017F;in immer gern<lb/>
zu nennen pflegte. Raphael hat mehr Grazie;<lb/>
die venetiani&#x017F;chen Colorite ho&#x0364;hern Glanz. Die<lb/>
Scho&#x0364;nheit von Raphaels Gema&#x0364;lden be&#x017F;teht in<lb/>
dem himmli&#x017F;chen Ausdruck &#x017F;einer Ko&#x0364;pfe; Cor-<lb/>
reggio zeichnet &#x017F;ich durch die Rundung &#x017F;einer<lb/>
Umri&#x017F;&#x017F;e, und Michel Angelo durch die rie&#x017F;en-<lb/>
hafte Ge&#x017F;taltung der Ma&#x017F;&#x017F;en und die Kraft der<lb/>
Zeichnung aus. David hingegen dru&#x0364;ckte &#x017F;einen<lb/>
Gema&#x0364;lden, ohne im minde&#x017F;ten zu ku&#x0364;n&#x017F;teln, oder<lb/>
etwas zu u&#x0364;bertreiben, zuer&#x017F;t wieder den ruhig<lb/>
erhabenen Charakter auf, den Scopas, Apelles<lb/>
und Protagoras den ihrigen zu geben ver&#x017F;tan-<lb/>
den; ja, die u&#x0364;bernatu&#x0364;rliche Scho&#x0364;nheit der alten<lb/>
Statuen &#x017F;chien in Davids Bildern wieder auf-<lb/>
zuleben.</p><lb/>
        <p>Ca&#x017F;imir Delavigne, ein Dichter, aus de&#x017F;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0186] Leben nug, zu bemerken, daß kein Kuͤnſtler beſſer ver- ſtand als er, die Natur aufzufaſſen und darzu- ſtellen, und ſeinen Gemaͤlden Leben und Bewe- gung zu ertheilen, und Keiner in einem ſo ho- hen Grade die Schoͤnheit des Pinſels mit der Reinheit der Zeichnung verband. Kurz, er ver- dient mit vollem Recht ein philoſophiſcher Maler zu heißen, wie er Pouſſin immer gern zu nennen pflegte. Raphael hat mehr Grazie; die venetianiſchen Colorite hoͤhern Glanz. Die Schoͤnheit von Raphaels Gemaͤlden beſteht in dem himmliſchen Ausdruck ſeiner Koͤpfe; Cor- reggio zeichnet ſich durch die Rundung ſeiner Umriſſe, und Michel Angelo durch die rieſen- hafte Geſtaltung der Maſſen und die Kraft der Zeichnung aus. David hingegen druͤckte ſeinen Gemaͤlden, ohne im mindeſten zu kuͤnſteln, oder etwas zu uͤbertreiben, zuerſt wieder den ruhig erhabenen Charakter auf, den Scopas, Apelles und Protagoras den ihrigen zu geben verſtan- den; ja, die uͤbernatuͤrliche Schoͤnheit der alten Statuen ſchien in Davids Bildern wieder auf- zuleben. Caſimir Delavigne, ein Dichter, aus deſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thiers_david_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thiers_david_1827/186
Zitationshilfe: Thomé de Gamond, Louis-Joseph-Aimé: Leben Davids, ersten Malers Napoleons. Übers. v. E. S. Leipzig u. a., 1827, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiers_david_1827/186>, abgerufen am 07.05.2024.