sich ihrer mächtig. Da kann sie abbrechen, oder sich anders wohin wenden.
Man mache die Neubegierde eines Menschen auf eine Seltenheit rege, die man ihm vorzeigen will, wie der Taschenspieler seine Zuschauer. Das Auge wendet sich nach der Stelle hin, wo es das Objekt erwartet; man empfindet, machet eine Jdee; diese afficirt das Gemüth, und die Gemüthsbewegung spannet wiederum die thätige Kraft, entweder nur dazu, daß wir noch ge- nauer und besser zusehn, oder auch dazu, daß wir uns zu einer Handlung in Hinsicht des Objekts bestimmen. Jn diesen und in unzählig ähnlichen Fällen erfolget die Richtung des Sinngliedes und der Aufmerksamkeit, die Empfindung, die Jdee, die Gemüthsbewegung und die Neigung mit solcher Schnelligkeit eins auf das andere, daß, wenn die Seele bey dem ersten Anfange nicht ihrer selbst mächtig war, sie es nachher gewiß auch nicht gewesen ist. Jeder Eindruck würde sich auf eine Seele, die, völlig leer von allen Vorstellungen und Fer- tigkeiten, sich gegen ihn eröffnet hätte, auf die nämliche Art ergießen, und in sie bis in ihr Jnnerstes eindrin- gen. Solche Fälle sind es, worauf man die vorher- erwehnte Lehre von der bloß auf das Aufmerksamkeits- vermögen eingeschränkten Selbstmacht gegründet hat. Aber wie viele andere Beobachtungen freyer Thätigkei- ten giebt es nicht noch, die man mit diesen hätte verglei- chen sollen. Und dann hätte man die Freyheit wol nicht eben in diesen Winkel der Seele eingeklemmt.
Wie, wenn ich z. B. nun den gesehenen Gegen- stand vom neuen genauer anschaue, wenn ich ihn von mehrern Seiten betrachte, darüber reflektire, ihn mit andern vergleiche, sein Gutes und sein Böses erwäge und abzähle, und dann, wann ich ihn zu besitzen wün- sche, ihn zu erhandeln suche, und zu dieser Absicht ge- wisse Wörter hervorbringe, Geld aus dem Beutel ziehe,
und
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und Freyheit.
ſich ihrer maͤchtig. Da kann ſie abbrechen, oder ſich anders wohin wenden.
Man mache die Neubegierde eines Menſchen auf eine Seltenheit rege, die man ihm vorzeigen will, wie der Taſchenſpieler ſeine Zuſchauer. Das Auge wendet ſich nach der Stelle hin, wo es das Objekt erwartet; man empfindet, machet eine Jdee; dieſe afficirt das Gemuͤth, und die Gemuͤthsbewegung ſpannet wiederum die thaͤtige Kraft, entweder nur dazu, daß wir noch ge- nauer und beſſer zuſehn, oder auch dazu, daß wir uns zu einer Handlung in Hinſicht des Objekts beſtimmen. Jn dieſen und in unzaͤhlig aͤhnlichen Faͤllen erfolget die Richtung des Sinngliedes und der Aufmerkſamkeit, die Empfindung, die Jdee, die Gemuͤthsbewegung und die Neigung mit ſolcher Schnelligkeit eins auf das andere, daß, wenn die Seele bey dem erſten Anfange nicht ihrer ſelbſt maͤchtig war, ſie es nachher gewiß auch nicht geweſen iſt. Jeder Eindruck wuͤrde ſich auf eine Seele, die, voͤllig leer von allen Vorſtellungen und Fer- tigkeiten, ſich gegen ihn eroͤffnet haͤtte, auf die naͤmliche Art ergießen, und in ſie bis in ihr Jnnerſtes eindrin- gen. Solche Faͤlle ſind es, worauf man die vorher- erwehnte Lehre von der bloß auf das Aufmerkſamkeits- vermoͤgen eingeſchraͤnkten Selbſtmacht gegruͤndet hat. Aber wie viele andere Beobachtungen freyer Thaͤtigkei- ten giebt es nicht noch, die man mit dieſen haͤtte verglei- chen ſollen. Und dann haͤtte man die Freyheit wol nicht eben in dieſen Winkel der Seele eingeklemmt.
Wie, wenn ich z. B. nun den geſehenen Gegen- ſtand vom neuen genauer anſchaue, wenn ich ihn von mehrern Seiten betrachte, daruͤber reflektire, ihn mit andern vergleiche, ſein Gutes und ſein Boͤſes erwaͤge und abzaͤhle, und dann, wann ich ihn zu beſitzen wuͤn- ſche, ihn zu erhandeln ſuche, und zu dieſer Abſicht ge- wiſſe Woͤrter hervorbringe, Geld aus dem Beutel ziehe,
und
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und Freyheit.
ſich ihrer maͤchtig. Da kann ſie abbrechen, oder ſich
anders wohin wenden.
Man mache die Neubegierde eines Menſchen auf
eine Seltenheit rege, die man ihm vorzeigen will, wie
der Taſchenſpieler ſeine Zuſchauer. Das Auge wendet
ſich nach der Stelle hin, wo es das Objekt erwartet;
man empfindet, machet eine Jdee; dieſe afficirt das
Gemuͤth, und die Gemuͤthsbewegung ſpannet wiederum
die thaͤtige Kraft, entweder nur dazu, daß wir noch ge-
nauer und beſſer zuſehn, oder auch dazu, daß wir uns
zu einer Handlung in Hinſicht des Objekts beſtimmen.
Jn dieſen und in unzaͤhlig aͤhnlichen Faͤllen erfolget die
Richtung des Sinngliedes und der Aufmerkſamkeit, die
Empfindung, die Jdee, die Gemuͤthsbewegung und
die Neigung mit ſolcher Schnelligkeit eins auf das
andere, daß, wenn die Seele bey dem erſten Anfange
nicht ihrer ſelbſt maͤchtig war, ſie es nachher gewiß auch
nicht geweſen iſt. Jeder Eindruck wuͤrde ſich auf eine
Seele, die, voͤllig leer von allen Vorſtellungen und Fer-
tigkeiten, ſich gegen ihn eroͤffnet haͤtte, auf die naͤmliche
Art ergießen, und in ſie bis in ihr Jnnerſtes eindrin-
gen. Solche Faͤlle ſind es, worauf man die vorher-
erwehnte Lehre von der bloß auf das Aufmerkſamkeits-
vermoͤgen eingeſchraͤnkten Selbſtmacht gegruͤndet hat.
Aber wie viele andere Beobachtungen freyer Thaͤtigkei-
ten giebt es nicht noch, die man mit dieſen haͤtte verglei-
chen ſollen. Und dann haͤtte man die Freyheit wol
nicht eben in dieſen Winkel der Seele eingeklemmt.
Wie, wenn ich z. B. nun den geſehenen Gegen-
ſtand vom neuen genauer anſchaue, wenn ich ihn von
mehrern Seiten betrachte, daruͤber reflektire, ihn mit
andern vergleiche, ſein Gutes und ſein Boͤſes erwaͤge
und abzaͤhle, und dann, wann ich ihn zu beſitzen wuͤn-
ſche, ihn zu erhandeln ſuche, und zu dieſer Abſicht ge-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/53>, abgerufen am 21.11.2024.
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