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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
nur möglich, so können neue Formen entstehen. Die-
se mögen den vorhandenen so ähnlich seyn, daß man den
Zuwachs nur als eine Vervielfältigung der letztern an-
sehen kann, oder auch so von den vorhandenen abweichen,
daß sie neue und verschiedene Gefäße sind. Laß z. B.
eine vorhandene Masche oder Form ringförmig seyn,
und laß innerhalb eines solchen Ringes Materie gebracht
werden, die sich, eben so wie die Elemente des Ringes,
verbinde, und entweder in die Runde oder in einer an-
dern Lage setze: so haben wir eine neue Fuge, die eben
so wohl eine Form ist, wie die erstere es war. Ein
Tropfen Quecksilber vereiniget sich mit einem andern
Tropfen, und es entstehet ein größerer Tropfen, der
mit dem Druck des Fingers wiederum in zwey zerthei-
let werden kann. Laß die unorganischen Bestandtheile
der einfachen Fibern selbst noch keine Maschen in sich
haben, sondern etwan die Seitenlinien der Maschen
ausmachen; so nehme man nur an, daß sie die Nah-
rungspartikeln so mit sich vereinigen, wie ein Tropfen
den andern, und daß also ein Druck oder Stoß sie der
Länge nach spalten könne: so haben wir eine Möglichkeit,
wie aus einer Fiber zwo werden von einer ähnlichen Be-
schaffenheit. "So muß ja die Vermehrung an unor-
"ganischen Theilen, wenn solche der Form der vor-
"handenen Organisation gemäß geschieht,
noth-
"wendig gewisse Verbindungsarten nach sich ziehen,
"welche selbst wiederum organische Formen sind."

Es ist freylich nicht einmal die Wahrscheinlichkeit,
vielweniger die Wahrheit eines physischen Systems,
bloß auf der metaphysischen Möglichkeit der Sache ge-
nugsam gegründet. Allein die Möglichkeit muß doch
vorausgesetzt werden können. Und in dem gegenwär-
tigen Fall verdienet sie desto mehr Aufmerksamkeit, da
der Vertheidiger der durchgängigen Evolution, welche
die Erzeugung neuer Formen abläugnet, so oft ge-

nöthiget

und Entwickelung des Menſchen.
nur moͤglich, ſo koͤnnen neue Formen entſtehen. Die-
ſe moͤgen den vorhandenen ſo aͤhnlich ſeyn, daß man den
Zuwachs nur als eine Vervielfaͤltigung der letztern an-
ſehen kann, oder auch ſo von den vorhandenen abweichen,
daß ſie neue und verſchiedene Gefaͤße ſind. Laß z. B.
eine vorhandene Maſche oder Form ringfoͤrmig ſeyn,
und laß innerhalb eines ſolchen Ringes Materie gebracht
werden, die ſich, eben ſo wie die Elemente des Ringes,
verbinde, und entweder in die Runde oder in einer an-
dern Lage ſetze: ſo haben wir eine neue Fuge, die eben
ſo wohl eine Form iſt, wie die erſtere es war. Ein
Tropfen Queckſilber vereiniget ſich mit einem andern
Tropfen, und es entſtehet ein groͤßerer Tropfen, der
mit dem Druck des Fingers wiederum in zwey zerthei-
let werden kann. Laß die unorganiſchen Beſtandtheile
der einfachen Fibern ſelbſt noch keine Maſchen in ſich
haben, ſondern etwan die Seitenlinien der Maſchen
ausmachen; ſo nehme man nur an, daß ſie die Nah-
rungspartikeln ſo mit ſich vereinigen, wie ein Tropfen
den andern, und daß alſo ein Druck oder Stoß ſie der
Laͤnge nach ſpalten koͤnne: ſo haben wir eine Moͤglichkeit,
wie aus einer Fiber zwo werden von einer aͤhnlichen Be-
ſchaffenheit. „So muß ja die Vermehrung an unor-
„ganiſchen Theilen, wenn ſolche der Form der vor-
„handenen Organiſation gemaͤß geſchieht,
noth-
„wendig gewiſſe Verbindungsarten nach ſich ziehen,
„welche ſelbſt wiederum organiſche Formen ſind.‟

Es iſt freylich nicht einmal die Wahrſcheinlichkeit,
vielweniger die Wahrheit eines phyſiſchen Syſtems,
bloß auf der metaphyſiſchen Moͤglichkeit der Sache ge-
nugſam gegruͤndet. Allein die Moͤglichkeit muß doch
vorausgeſetzt werden koͤnnen. Und in dem gegenwaͤr-
tigen Fall verdienet ſie deſto mehr Aufmerkſamkeit, da
der Vertheidiger der durchgaͤngigen Evolution, welche
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noͤthiget
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[493/0523] und Entwickelung des Menſchen. nur moͤglich, ſo koͤnnen neue Formen entſtehen. Die- ſe moͤgen den vorhandenen ſo aͤhnlich ſeyn, daß man den Zuwachs nur als eine Vervielfaͤltigung der letztern an- ſehen kann, oder auch ſo von den vorhandenen abweichen, daß ſie neue und verſchiedene Gefaͤße ſind. Laß z. B. eine vorhandene Maſche oder Form ringfoͤrmig ſeyn, und laß innerhalb eines ſolchen Ringes Materie gebracht werden, die ſich, eben ſo wie die Elemente des Ringes, verbinde, und entweder in die Runde oder in einer an- dern Lage ſetze: ſo haben wir eine neue Fuge, die eben ſo wohl eine Form iſt, wie die erſtere es war. Ein Tropfen Queckſilber vereiniget ſich mit einem andern Tropfen, und es entſtehet ein groͤßerer Tropfen, der mit dem Druck des Fingers wiederum in zwey zerthei- let werden kann. Laß die unorganiſchen Beſtandtheile der einfachen Fibern ſelbſt noch keine Maſchen in ſich haben, ſondern etwan die Seitenlinien der Maſchen ausmachen; ſo nehme man nur an, daß ſie die Nah- rungspartikeln ſo mit ſich vereinigen, wie ein Tropfen den andern, und daß alſo ein Druck oder Stoß ſie der Laͤnge nach ſpalten koͤnne: ſo haben wir eine Moͤglichkeit, wie aus einer Fiber zwo werden von einer aͤhnlichen Be- ſchaffenheit. „So muß ja die Vermehrung an unor- „ganiſchen Theilen, wenn ſolche der Form der vor- „handenen Organiſation gemaͤß geſchieht, noth- „wendig gewiſſe Verbindungsarten nach ſich ziehen, „welche ſelbſt wiederum organiſche Formen ſind.‟ Es iſt freylich nicht einmal die Wahrſcheinlichkeit, vielweniger die Wahrheit eines phyſiſchen Syſtems, bloß auf der metaphyſiſchen Moͤglichkeit der Sache ge- nugſam gegruͤndet. Allein die Moͤglichkeit muß doch vorausgeſetzt werden koͤnnen. Und in dem gegenwaͤr- tigen Fall verdienet ſie deſto mehr Aufmerkſamkeit, da der Vertheidiger der durchgaͤngigen Evolution, welche die Erzeugung neuer Formen ablaͤugnet, ſo oft ge- noͤthiget

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/523>, abgerufen am 23.11.2024.