kenne, ohne daß es nöthig sey, ihn als einen Jnduk- tionssatz aus Erfahrungen zu beweisen.
Jndessen, wenn er es auch nicht wäre, als ein all- gemeiner Grundsatz des Verstandes in der Metaphysik betrachtet, so müßte ich unmittelbar aus der Erfah- rung annehmen, daß es mit den Handlungen der menschlichen Seele, auch mit denen, die am meisten gleichgültig und im höchsten Grade frey sind, eine sol- che Beschaffenheit habe, dergleichen nach diesem Prin- cip ein jedes werdendes, und ein jedes zufällig vorhan- denes Ding haben soll. Es fehlet keiner einzigen von ih- nen an einem solchen vollständigen und bestimmenden Grunde, warum sie so und nicht anders erfolgen. Man sehe auf das zurück, was ich oben (N. VII.) hierüber angeführet habe.
Aber wenn die Wirkung mit einer zureichenden und völlig sie bestimmenden Ursache verbunden ist, so findet sich doch eine zwiefache, durch reelle Merk- male von einander unterschiedene Beschaffenheit dieser Verbindung, davon die Eine sie zu einer nothwen- digen, die andre sie zu einer zufälligen Verknüpfung macht. Will man sie nicht mit diesem Namen benen- nen, weil etwan das zur Richtschnur angenommene me- taphysische Lexikon dagegen ist, so wähle man andere. Genug, wenn hierbey eine solche reelle und deutlich kennbare Verschiedenheit angetroffen wird.
Laß die vollständig bestimmende Ursache von einer Wirkung vorhanden seyn, so ist es zwar ein Axiom: "Wenn jene Ursache vorhanden ist, so erfolget auch die "Wirkung" (posita causa ponitur effectus); aber es stehet eine Einschränkung dabey, oder sie muß dabey stehen, nämlich diese: daferne kein Hinderniß im Wege lieget. Der Wind wird den beweglichen Wet- terhahn herumdrehen; aber nur unter der Bedingung, daß jener nicht aufgefangen wird; oder daß der Wet-
ter-
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
kenne, ohne daß es noͤthig ſey, ihn als einen Jnduk- tionsſatz aus Erfahrungen zu beweiſen.
Jndeſſen, wenn er es auch nicht waͤre, als ein all- gemeiner Grundſatz des Verſtandes in der Metaphyſik betrachtet, ſo muͤßte ich unmittelbar aus der Erfah- rung annehmen, daß es mit den Handlungen der menſchlichen Seele, auch mit denen, die am meiſten gleichguͤltig und im hoͤchſten Grade frey ſind, eine ſol- che Beſchaffenheit habe, dergleichen nach dieſem Prin- cip ein jedes werdendes, und ein jedes zufaͤllig vorhan- denes Ding haben ſoll. Es fehlet keiner einzigen von ih- nen an einem ſolchen vollſtaͤndigen und beſtimmenden Grunde, warum ſie ſo und nicht anders erfolgen. Man ſehe auf das zuruͤck, was ich oben (N. VII.) hieruͤber angefuͤhret habe.
Aber wenn die Wirkung mit einer zureichenden und voͤllig ſie beſtimmenden Urſache verbunden iſt, ſo findet ſich doch eine zwiefache, durch reelle Merk- male von einander unterſchiedene Beſchaffenheit dieſer Verbindung, davon die Eine ſie zu einer nothwen- digen, die andre ſie zu einer zufaͤlligen Verknuͤpfung macht. Will man ſie nicht mit dieſem Namen benen- nen, weil etwan das zur Richtſchnur angenommene me- taphyſiſche Lexikon dagegen iſt, ſo waͤhle man andere. Genug, wenn hierbey eine ſolche reelle und deutlich kennbare Verſchiedenheit angetroffen wird.
Laß die vollſtaͤndig beſtimmende Urſache von einer Wirkung vorhanden ſeyn, ſo iſt es zwar ein Axiom: „Wenn jene Urſache vorhanden iſt, ſo erfolget auch die „Wirkung‟ (poſita cauſa ponitur effectus); aber es ſtehet eine Einſchraͤnkung dabey, oder ſie muß dabey ſtehen, naͤmlich dieſe: daferne kein Hinderniß im Wege lieget. Der Wind wird den beweglichen Wet- terhahn herumdrehen; aber nur unter der Bedingung, daß jener nicht aufgefangen wird; oder daß der Wet-
ter-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0162"n="132"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XII.</hi> Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit</hi></fw><lb/>
kenne, ohne daß es noͤthig ſey, ihn als einen Jnduk-<lb/>
tionsſatz aus Erfahrungen zu beweiſen.</p><lb/><p>Jndeſſen, wenn er es auch nicht waͤre, als ein all-<lb/>
gemeiner Grundſatz des Verſtandes in der Metaphyſik<lb/>
betrachtet, ſo muͤßte ich unmittelbar aus der Erfah-<lb/>
rung annehmen, daß es mit den Handlungen der<lb/>
menſchlichen Seele, auch mit denen, die am meiſten<lb/>
gleichguͤltig und im hoͤchſten Grade frey ſind, eine ſol-<lb/>
che Beſchaffenheit habe, dergleichen nach dieſem Prin-<lb/>
cip ein jedes werdendes, und ein jedes zufaͤllig vorhan-<lb/>
denes Ding haben ſoll. Es fehlet keiner einzigen von ih-<lb/>
nen an einem ſolchen vollſtaͤndigen und beſtimmenden<lb/>
Grunde, warum ſie ſo und nicht anders erfolgen. Man<lb/>ſehe auf das zuruͤck, was ich oben (N. <hirendition="#aq">VII.</hi>) hieruͤber<lb/>
angefuͤhret habe.</p><lb/><p>Aber wenn die <hirendition="#fr">Wirkung</hi> mit einer <hirendition="#fr">zureichenden</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">voͤllig ſie beſtimmenden Urſache</hi> verbunden iſt,<lb/>ſo findet ſich doch eine <hirendition="#fr">zwiefache,</hi> durch reelle Merk-<lb/>
male von einander unterſchiedene Beſchaffenheit dieſer<lb/>
Verbindung, davon die Eine ſie zu einer <hirendition="#fr">nothwen-<lb/>
digen,</hi> die andre ſie zu einer <hirendition="#fr">zufaͤlligen</hi> Verknuͤpfung<lb/>
macht. Will man ſie nicht mit dieſem Namen benen-<lb/>
nen, weil etwan das zur Richtſchnur angenommene me-<lb/>
taphyſiſche Lexikon dagegen iſt, ſo waͤhle man andere.<lb/>
Genug, wenn hierbey eine ſolche reelle und deutlich<lb/>
kennbare Verſchiedenheit angetroffen wird.</p><lb/><p>Laß die vollſtaͤndig beſtimmende Urſache von einer<lb/>
Wirkung vorhanden ſeyn, ſo iſt es zwar ein Axiom:<lb/>„Wenn jene Urſache vorhanden iſt, ſo erfolget auch die<lb/>„Wirkung‟ (<hirendition="#aq">poſita cauſa ponitur effectus</hi>); aber es<lb/>ſtehet eine Einſchraͤnkung dabey, oder ſie muß dabey<lb/>ſtehen, naͤmlich dieſe: <hirendition="#fr">daferne kein Hinderniß im<lb/>
Wege lieget.</hi> Der Wind wird den beweglichen Wet-<lb/>
terhahn herumdrehen; aber nur unter der Bedingung,<lb/>
daß jener nicht aufgefangen wird; oder daß der Wet-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ter-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[132/0162]
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
kenne, ohne daß es noͤthig ſey, ihn als einen Jnduk-
tionsſatz aus Erfahrungen zu beweiſen.
Jndeſſen, wenn er es auch nicht waͤre, als ein all-
gemeiner Grundſatz des Verſtandes in der Metaphyſik
betrachtet, ſo muͤßte ich unmittelbar aus der Erfah-
rung annehmen, daß es mit den Handlungen der
menſchlichen Seele, auch mit denen, die am meiſten
gleichguͤltig und im hoͤchſten Grade frey ſind, eine ſol-
che Beſchaffenheit habe, dergleichen nach dieſem Prin-
cip ein jedes werdendes, und ein jedes zufaͤllig vorhan-
denes Ding haben ſoll. Es fehlet keiner einzigen von ih-
nen an einem ſolchen vollſtaͤndigen und beſtimmenden
Grunde, warum ſie ſo und nicht anders erfolgen. Man
ſehe auf das zuruͤck, was ich oben (N. VII.) hieruͤber
angefuͤhret habe.
Aber wenn die Wirkung mit einer zureichenden
und voͤllig ſie beſtimmenden Urſache verbunden iſt,
ſo findet ſich doch eine zwiefache, durch reelle Merk-
male von einander unterſchiedene Beſchaffenheit dieſer
Verbindung, davon die Eine ſie zu einer nothwen-
digen, die andre ſie zu einer zufaͤlligen Verknuͤpfung
macht. Will man ſie nicht mit dieſem Namen benen-
nen, weil etwan das zur Richtſchnur angenommene me-
taphyſiſche Lexikon dagegen iſt, ſo waͤhle man andere.
Genug, wenn hierbey eine ſolche reelle und deutlich
kennbare Verſchiedenheit angetroffen wird.
Laß die vollſtaͤndig beſtimmende Urſache von einer
Wirkung vorhanden ſeyn, ſo iſt es zwar ein Axiom:
„Wenn jene Urſache vorhanden iſt, ſo erfolget auch die
„Wirkung‟ (poſita cauſa ponitur effectus); aber es
ſtehet eine Einſchraͤnkung dabey, oder ſie muß dabey
ſtehen, naͤmlich dieſe: daferne kein Hinderniß im
Wege lieget. Der Wind wird den beweglichen Wet-
terhahn herumdrehen; aber nur unter der Bedingung,
daß jener nicht aufgefangen wird; oder daß der Wet-
ter-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/162>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.