Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit
was habe ich denn für Grund zu glauben, daß sie nun
auch da sey, wo ich sie mit aller meiner Sorgfalt nicht
gewahrnehme? Und ganz gewiß giebt es doch solche
Fälle, wo ich sie nicht gewahrnehmen kann.

Nun aber kommt zu dieser unbestimmten innern
Wirksamkeit die gefallende Vorstellung hinzu; ich werde
afficirt, und dieß Gefallen hat eine Wirkung auf mich,
die ich so ausdrücke: ich werde geneigt, nach dieser
Vorstellung mich zu bestimmen.

Untersuche ich mich bis hieher, so deucht mich, es
sey offenbar, daß der ganze Unterschied zwischen der
Neigung zu dieser Aktion, die mir gefällt, und zwi-
schen der Neigung zu einer andern, von nichts weiter
abhange, als davon, daß es die Vorstellung von jener,
und nicht die Vorstellung von einer andern sey, welche
mir gefällt, und dadurch meiner wirksamen Kraft vor-
gelegt wird. Die Neigung zu einem andern Geschäffte
würde eine Applikation der nämlichen innern Kraft auf
einen andern ideellen Gegenstand gewesen seyn. Wenn
mir eine Vorstellung von einer andern Untersuchung in
den Sinn gekommen wäre, statt jener, so würde eine
andere Neigung entstanden seyn, die aber nur ihr Cha-
rakteristisches von ihrem Gegenstand gehabt hätte. Das
innere Princip wollte thätig seyn auf irgend ein Objekt,
und bestrebte sich, wie die sich ausdehnende Feder. Die
Jdee, welche dieß Bestreben auf sich zog, war das,
was die Kugel ist, welche der Feder im Wege liegt,
und ihren Jmpuls aufnimmt.

Aber vom Gefallen und Geneigtseyn bis zur
Selbstbestimmung ist noch ein Schritt weiter, und
dieser Schritt ist ein selbstthätiger Reproduktionsaktus.

So weit ich hiebey mich selbst und meine thätige
Kraft fühlen kann, finde ich in dieser Selbstbestimmung
wiederum innerlich nichts, das von einem jeden andern
Reproduktionsaktus an sich unterschieden wäre, nur daß

ein

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
was habe ich denn fuͤr Grund zu glauben, daß ſie nun
auch da ſey, wo ich ſie mit aller meiner Sorgfalt nicht
gewahrnehme? Und ganz gewiß giebt es doch ſolche
Faͤlle, wo ich ſie nicht gewahrnehmen kann.

Nun aber kommt zu dieſer unbeſtimmten innern
Wirkſamkeit die gefallende Vorſtellung hinzu; ich werde
afficirt, und dieß Gefallen hat eine Wirkung auf mich,
die ich ſo ausdruͤcke: ich werde geneigt, nach dieſer
Vorſtellung mich zu beſtimmen.

Unterſuche ich mich bis hieher, ſo deucht mich, es
ſey offenbar, daß der ganze Unterſchied zwiſchen der
Neigung zu dieſer Aktion, die mir gefaͤllt, und zwi-
ſchen der Neigung zu einer andern, von nichts weiter
abhange, als davon, daß es die Vorſtellung von jener,
und nicht die Vorſtellung von einer andern ſey, welche
mir gefaͤllt, und dadurch meiner wirkſamen Kraft vor-
gelegt wird. Die Neigung zu einem andern Geſchaͤffte
wuͤrde eine Applikation der naͤmlichen innern Kraft auf
einen andern ideellen Gegenſtand geweſen ſeyn. Wenn
mir eine Vorſtellung von einer andern Unterſuchung in
den Sinn gekommen waͤre, ſtatt jener, ſo wuͤrde eine
andere Neigung entſtanden ſeyn, die aber nur ihr Cha-
rakteriſtiſches von ihrem Gegenſtand gehabt haͤtte. Das
innere Princip wollte thaͤtig ſeyn auf irgend ein Objekt,
und beſtrebte ſich, wie die ſich ausdehnende Feder. Die
Jdee, welche dieß Beſtreben auf ſich zog, war das,
was die Kugel iſt, welche der Feder im Wege liegt,
und ihren Jmpuls aufnimmt.

Aber vom Gefallen und Geneigtſeyn bis zur
Selbſtbeſtimmung iſt noch ein Schritt weiter, und
dieſer Schritt iſt ein ſelbſtthaͤtiger Reproduktionsaktus.

So weit ich hiebey mich ſelbſt und meine thaͤtige
Kraft fuͤhlen kann, finde ich in dieſer Selbſtbeſtimmung
wiederum innerlich nichts, das von einem jeden andern
Reproduktionsaktus an ſich unterſchieden waͤre, nur daß

ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit</hi></fw><lb/>
was habe ich denn fu&#x0364;r Grund zu glauben, daß &#x017F;ie nun<lb/>
auch da &#x017F;ey, wo ich &#x017F;ie mit aller meiner Sorgfalt nicht<lb/>
gewahrnehme? Und ganz gewiß giebt es doch &#x017F;olche<lb/>
Fa&#x0364;lle, wo ich &#x017F;ie nicht gewahrnehmen kann.</p><lb/>
            <p>Nun aber kommt zu die&#x017F;er unbe&#x017F;timmten innern<lb/>
Wirk&#x017F;amkeit die gefallende Vor&#x017F;tellung hinzu; ich werde<lb/>
afficirt, und dieß Gefallen hat eine Wirkung auf mich,<lb/>
die ich &#x017F;o ausdru&#x0364;cke: ich werde <hi rendition="#fr">geneigt,</hi> nach die&#x017F;er<lb/>
Vor&#x017F;tellung mich zu be&#x017F;timmen.</p><lb/>
            <p>Unter&#x017F;uche ich mich bis hieher, &#x017F;o deucht mich, es<lb/>
&#x017F;ey offenbar, daß der ganze Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen der<lb/><hi rendition="#fr">Neigung</hi> zu die&#x017F;er Aktion, die mir gefa&#x0364;llt, und zwi-<lb/>
&#x017F;chen der Neigung zu einer andern, von nichts weiter<lb/>
abhange, als davon, daß es die Vor&#x017F;tellung von jener,<lb/>
und nicht die Vor&#x017F;tellung von einer andern &#x017F;ey, welche<lb/>
mir gefa&#x0364;llt, und dadurch meiner wirk&#x017F;amen Kraft vor-<lb/>
gelegt wird. Die <hi rendition="#fr">Neigung</hi> zu einem andern Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte<lb/>
wu&#x0364;rde eine Applikation der na&#x0364;mlichen innern Kraft auf<lb/>
einen andern ideellen Gegen&#x017F;tand gewe&#x017F;en &#x017F;eyn. Wenn<lb/>
mir eine Vor&#x017F;tellung von einer andern Unter&#x017F;uchung in<lb/>
den Sinn gekommen wa&#x0364;re, &#x017F;tatt jener, &#x017F;o wu&#x0364;rde eine<lb/>
andere <hi rendition="#fr">Neigung</hi> ent&#x017F;tanden &#x017F;eyn, die aber nur ihr Cha-<lb/>
rakteri&#x017F;ti&#x017F;ches von ihrem Gegen&#x017F;tand gehabt ha&#x0364;tte. Das<lb/><hi rendition="#fr">innere</hi> Princip wollte tha&#x0364;tig &#x017F;eyn auf irgend ein Objekt,<lb/>
und be&#x017F;trebte &#x017F;ich, wie die &#x017F;ich ausdehnende Feder. Die<lb/>
Jdee, welche dieß Be&#x017F;treben auf &#x017F;ich zog, war das,<lb/>
was die Kugel i&#x017F;t, welche der Feder im Wege liegt,<lb/>
und ihren Jmpuls aufnimmt.</p><lb/>
            <p>Aber vom Gefallen und <hi rendition="#fr">Geneigt&#x017F;eyn</hi> bis zur<lb/><hi rendition="#fr">Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmung</hi> i&#x017F;t noch ein Schritt weiter, und<lb/>
die&#x017F;er Schritt i&#x017F;t ein &#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tiger Reproduktionsaktus.</p><lb/>
            <p>So weit ich hiebey mich &#x017F;elb&#x017F;t und meine tha&#x0364;tige<lb/>
Kraft fu&#x0364;hlen kann, finde ich in die&#x017F;er Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmung<lb/>
wiederum innerlich nichts, das von einem jeden andern<lb/>
Reproduktionsaktus an &#x017F;ich unter&#x017F;chieden wa&#x0364;re, nur daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0126] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit was habe ich denn fuͤr Grund zu glauben, daß ſie nun auch da ſey, wo ich ſie mit aller meiner Sorgfalt nicht gewahrnehme? Und ganz gewiß giebt es doch ſolche Faͤlle, wo ich ſie nicht gewahrnehmen kann. Nun aber kommt zu dieſer unbeſtimmten innern Wirkſamkeit die gefallende Vorſtellung hinzu; ich werde afficirt, und dieß Gefallen hat eine Wirkung auf mich, die ich ſo ausdruͤcke: ich werde geneigt, nach dieſer Vorſtellung mich zu beſtimmen. Unterſuche ich mich bis hieher, ſo deucht mich, es ſey offenbar, daß der ganze Unterſchied zwiſchen der Neigung zu dieſer Aktion, die mir gefaͤllt, und zwi- ſchen der Neigung zu einer andern, von nichts weiter abhange, als davon, daß es die Vorſtellung von jener, und nicht die Vorſtellung von einer andern ſey, welche mir gefaͤllt, und dadurch meiner wirkſamen Kraft vor- gelegt wird. Die Neigung zu einem andern Geſchaͤffte wuͤrde eine Applikation der naͤmlichen innern Kraft auf einen andern ideellen Gegenſtand geweſen ſeyn. Wenn mir eine Vorſtellung von einer andern Unterſuchung in den Sinn gekommen waͤre, ſtatt jener, ſo wuͤrde eine andere Neigung entſtanden ſeyn, die aber nur ihr Cha- rakteriſtiſches von ihrem Gegenſtand gehabt haͤtte. Das innere Princip wollte thaͤtig ſeyn auf irgend ein Objekt, und beſtrebte ſich, wie die ſich ausdehnende Feder. Die Jdee, welche dieß Beſtreben auf ſich zog, war das, was die Kugel iſt, welche der Feder im Wege liegt, und ihren Jmpuls aufnimmt. Aber vom Gefallen und Geneigtſeyn bis zur Selbſtbeſtimmung iſt noch ein Schritt weiter, und dieſer Schritt iſt ein ſelbſtthaͤtiger Reproduktionsaktus. So weit ich hiebey mich ſelbſt und meine thaͤtige Kraft fuͤhlen kann, finde ich in dieſer Selbſtbeſtimmung wiederum innerlich nichts, das von einem jeden andern Reproduktionsaktus an ſich unterſchieden waͤre, nur daß ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/126
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/126>, abgerufen am 03.05.2024.