Zuständen zu vollen Empfindungen auszubilden. Sie will etwas wirkliches, eine wirkliche Veränderung, die so wie jedwede gegenwärtige und wirklich vorhandene Sache gefühlet und empfunden werden kann. Da ist also ein eigenes Bestreben zu neuen Empfindun- gen, und dieß ist ein Bestreben ihrer thätigen Kraft, oder ihrer Aktivität, in so fern diese von der vor- stellenden Kraft unterschieden werden kann. Nach ei- ner solchen Erklärungsart sind offenbar die letztern Be- strebungen, welche dahin gehen, die Vorstellung bis zur Empfindung zu erheben, nichts anders, als Be- strebungen, solche zu erwecken, uud sie gegenwärtig zu erhalten, nur daß es stärkere Anstrengungen der Kraft sind, wodurch sie den wieder erweckten oder selbst gemach- ten Vorstellungen das Lebhafte und Volle erhalten wird, das sie zu Empfindungsvorstellungen und zu Empfin- dungen macht. Thätig seyn, neue Empfindungen hervorbringen, ist also dieselbartige Aktion der Seele, welche in dem Reproduciren der Vorstellungen und in dem Dichten vorkommt, und hat sein Eigenes und Un- terscheidendes nur von der größern Jntension, mit der das Vorstellungsvermögen arbeiten muß, wenn es neue Empfindungen hervorbringen soll.
Jn dem andern Fall, wenn das Bestreben dahin gehet, den angenehmen gegenwärtigen Zustand fortzu- setzen, so ist das, was geschicht, ein Bestreben, die Empfindungen oder Empfindungsvorstellungen in ihrem derzeitigen Zustand zu erhalten. Der gegenwärtige Zu- stand besteht in Empfindungen und in Vorstellungen. Aber da wir die Empfindung nicht anders gegenwärtig erhalten können, als wenn die Vorstellungen in ihrer Völligkeit, die sie als Empfindungsvorstellungen haben, fortdaurend bestehen, so geht alles Bestreben auf die ge- genwärtigen Empfindungsvorstellungen, und die mit der dazu hinreichenden Jntension wirkende Vorstellungskraft
fährt
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Zuſtaͤnden zu vollen Empfindungen auszubilden. Sie will etwas wirkliches, eine wirkliche Veraͤnderung, die ſo wie jedwede gegenwaͤrtige und wirklich vorhandene Sache gefuͤhlet und empfunden werden kann. Da iſt alſo ein eigenes Beſtreben zu neuen Empfindun- gen, und dieß iſt ein Beſtreben ihrer thaͤtigen Kraft, oder ihrer Aktivitaͤt, in ſo fern dieſe von der vor- ſtellenden Kraft unterſchieden werden kann. Nach ei- ner ſolchen Erklaͤrungsart ſind offenbar die letztern Be- ſtrebungen, welche dahin gehen, die Vorſtellung bis zur Empfindung zu erheben, nichts anders, als Be- ſtrebungen, ſolche zu erwecken, uud ſie gegenwaͤrtig zu erhalten, nur daß es ſtaͤrkere Anſtrengungen der Kraft ſind, wodurch ſie den wieder erweckten oder ſelbſt gemach- ten Vorſtellungen das Lebhafte und Volle erhalten wird, das ſie zu Empfindungsvorſtellungen und zu Empfin- dungen macht. Thaͤtig ſeyn, neue Empfindungen hervorbringen, iſt alſo dieſelbartige Aktion der Seele, welche in dem Reproduciren der Vorſtellungen und in dem Dichten vorkommt, und hat ſein Eigenes und Un- terſcheidendes nur von der groͤßern Jntenſion, mit der das Vorſtellungsvermoͤgen arbeiten muß, wenn es neue Empfindungen hervorbringen ſoll.
Jn dem andern Fall, wenn das Beſtreben dahin gehet, den angenehmen gegenwaͤrtigen Zuſtand fortzu- ſetzen, ſo iſt das, was geſchicht, ein Beſtreben, die Empfindungen oder Empfindungsvorſtellungen in ihrem derzeitigen Zuſtand zu erhalten. Der gegenwaͤrtige Zu- ſtand beſteht in Empfindungen und in Vorſtellungen. Aber da wir die Empfindung nicht anders gegenwaͤrtig erhalten koͤnnen, als wenn die Vorſtellungen in ihrer Voͤlligkeit, die ſie als Empfindungsvorſtellungen haben, fortdaurend beſtehen, ſo geht alles Beſtreben auf die ge- genwaͤrtigen Empfindungsvorſtellungen, und die mit der dazu hinreichenden Jntenſion wirkende Vorſtellungskraft
faͤhrt
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Zuſtaͤnden zu vollen Empfindungen auszubilden. Sie
will etwas wirkliches, eine wirkliche Veraͤnderung, die
ſo wie jedwede gegenwaͤrtige und wirklich vorhandene
Sache gefuͤhlet und empfunden werden kann. Da iſt
alſo ein eigenes Beſtreben zu neuen Empfindun-
gen, und dieß iſt ein Beſtreben ihrer thaͤtigen Kraft,
oder ihrer Aktivitaͤt, in ſo fern dieſe von der vor-
ſtellenden Kraft unterſchieden werden kann. Nach ei-
ner ſolchen Erklaͤrungsart ſind offenbar die letztern Be-
ſtrebungen, welche dahin gehen, die Vorſtellung bis
zur Empfindung zu erheben, nichts anders, als Be-
ſtrebungen, ſolche zu erwecken, uud ſie gegenwaͤrtig zu
erhalten, nur daß es ſtaͤrkere Anſtrengungen der Kraft
ſind, wodurch ſie den wieder erweckten oder ſelbſt gemach-
ten Vorſtellungen das Lebhafte und Volle erhalten wird,
das ſie zu Empfindungsvorſtellungen und zu Empfin-
dungen macht. Thaͤtig ſeyn, neue Empfindungen
hervorbringen, iſt alſo dieſelbartige Aktion der Seele,
welche in dem Reproduciren der Vorſtellungen und in
dem Dichten vorkommt, und hat ſein Eigenes und Un-
terſcheidendes nur von der groͤßern Jntenſion, mit der
das Vorſtellungsvermoͤgen arbeiten muß, wenn es neue
Empfindungen hervorbringen ſoll.
Jn dem andern Fall, wenn das Beſtreben dahin
gehet, den angenehmen gegenwaͤrtigen Zuſtand fortzu-
ſetzen, ſo iſt das, was geſchicht, ein Beſtreben, die
Empfindungen oder Empfindungsvorſtellungen in ihrem
derzeitigen Zuſtand zu erhalten. Der gegenwaͤrtige Zu-
ſtand beſteht in Empfindungen und in Vorſtellungen.
Aber da wir die Empfindung nicht anders gegenwaͤrtig
erhalten koͤnnen, als wenn die Vorſtellungen in ihrer
Voͤlligkeit, die ſie als Empfindungsvorſtellungen haben,
fortdaurend beſtehen, ſo geht alles Beſtreben auf die ge-
genwaͤrtigen Empfindungsvorſtellungen, und die mit der
dazu hinreichenden Jntenſion wirkende Vorſtellungskraft
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/754>, abgerufen am 22.11.2024.
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