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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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X. Versuch. Ueber die Beziehung
darum auf Eine Fertigkeit beziehen. Die Fertigkeit des
Spielers, der auf allen Jnstrumenten spielet, ist eine
ausgedehnte Spielfertigkeit. Das Vermögen, nur Ein
Jnstrument auf alle Arten zu gebrauchen, hat in soweit
gleichfalls seine Ausdehnung, als diese Arten von einan-
der verschieden sind.

Wenn die Handlungen, woraus die Fertigkeit er-
wachsen ist, nebst ihrer Hauptübereinstimmung zugleich
merkliche Verschiedenheiten gehabt haben, so sind auch
die
hinterbliebene Spuren von diesen Aktionen zum Theil
nur sich ähnlich und dieselbigen, zum Theil aber unähn-
lich und verschieden, und fallen also nach einem allge-
meinen Gesetz der Vorstellungskraft, nur zum Theil
auf einander, zum Theil aber neben einander, oder mit
andern Worten, sie werden nur zum Theil vereint,
zum Theil aber nur verbunden, dem Raum oder der
Zeit nach. So fern diese Spuren verschieden sind, ma-
chen sie Verschiedenheiten in der Fertigkeit aus, und er-
zeugen gar verschiedene ungleichartige Fertigkeiten,
wenn sie selbst ungleichartig sind. Denn in diesem Fall
entstehet nicht einmal eine Verbindung zwischen ihnen,
und noch weniger eine Vereinigung; also wird auch durch
ihre Aufhäufung keine einzelne Größe erzeuget. Die
Größe in einem und demselben Vermögen wächset nur
durch das Aehnliche in den Spuren. Jst nun in den
einfachen Spuren so viele Jdentität, daß ihr Ganzes
eine Größe wird, so bekommt diese Größe in so weit eine
Ausdehnung, als diese Spuren verschieden sind.
Nur muß ihre Verschiedenheit die Gleichartigkeit nicht
aufheben. Wenn sie bis so weit gehet, so werden ver-
schiedene
Fertigkeiten erzeuget, die sich einander alle-
mal in so weit hindern, als sie die Kraft der Seele un-
ter sich vertheilen, zuweilen einander aufheben oder doch
schwächen. Das letztere ist die Wirkung von der Ver-
schiedenheit in den Vorstellungen, so bald diese sich zu-

gleich

X. Verſuch. Ueber die Beziehung
darum auf Eine Fertigkeit beziehen. Die Fertigkeit des
Spielers, der auf allen Jnſtrumenten ſpielet, iſt eine
ausgedehnte Spielfertigkeit. Das Vermoͤgen, nur Ein
Jnſtrument auf alle Arten zu gebrauchen, hat in ſoweit
gleichfalls ſeine Ausdehnung, als dieſe Arten von einan-
der verſchieden ſind.

Wenn die Handlungen, woraus die Fertigkeit er-
wachſen iſt, nebſt ihrer Hauptuͤbereinſtimmung zugleich
merkliche Verſchiedenheiten gehabt haben, ſo ſind auch
die
hinterbliebene Spuren von dieſen Aktionen zum Theil
nur ſich aͤhnlich und dieſelbigen, zum Theil aber unaͤhn-
lich und verſchieden, und fallen alſo nach einem allge-
meinen Geſetz der Vorſtellungskraft, nur zum Theil
auf einander, zum Theil aber neben einander, oder mit
andern Worten, ſie werden nur zum Theil vereint,
zum Theil aber nur verbunden, dem Raum oder der
Zeit nach. So fern dieſe Spuren verſchieden ſind, ma-
chen ſie Verſchiedenheiten in der Fertigkeit aus, und er-
zeugen gar verſchiedene ungleichartige Fertigkeiten,
wenn ſie ſelbſt ungleichartig ſind. Denn in dieſem Fall
entſtehet nicht einmal eine Verbindung zwiſchen ihnen,
und noch weniger eine Vereinigung; alſo wird auch durch
ihre Aufhaͤufung keine einzelne Groͤße erzeuget. Die
Groͤße in einem und demſelben Vermoͤgen waͤchſet nur
durch das Aehnliche in den Spuren. Jſt nun in den
einfachen Spuren ſo viele Jdentitaͤt, daß ihr Ganzes
eine Groͤße wird, ſo bekommt dieſe Groͤße in ſo weit eine
Ausdehnung, als dieſe Spuren verſchieden ſind.
Nur muß ihre Verſchiedenheit die Gleichartigkeit nicht
aufheben. Wenn ſie bis ſo weit gehet, ſo werden ver-
ſchiedene
Fertigkeiten erzeuget, die ſich einander alle-
mal in ſo weit hindern, als ſie die Kraft der Seele un-
ter ſich vertheilen, zuweilen einander aufheben oder doch
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ſchiedenheit in den Vorſtellungen, ſo bald dieſe ſich zu-

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[660/0720] X. Verſuch. Ueber die Beziehung darum auf Eine Fertigkeit beziehen. Die Fertigkeit des Spielers, der auf allen Jnſtrumenten ſpielet, iſt eine ausgedehnte Spielfertigkeit. Das Vermoͤgen, nur Ein Jnſtrument auf alle Arten zu gebrauchen, hat in ſoweit gleichfalls ſeine Ausdehnung, als dieſe Arten von einan- der verſchieden ſind. Wenn die Handlungen, woraus die Fertigkeit er- wachſen iſt, nebſt ihrer Hauptuͤbereinſtimmung zugleich merkliche Verſchiedenheiten gehabt haben, ſo ſind auch die hinterbliebene Spuren von dieſen Aktionen zum Theil nur ſich aͤhnlich und dieſelbigen, zum Theil aber unaͤhn- lich und verſchieden, und fallen alſo nach einem allge- meinen Geſetz der Vorſtellungskraft, nur zum Theil auf einander, zum Theil aber neben einander, oder mit andern Worten, ſie werden nur zum Theil vereint, zum Theil aber nur verbunden, dem Raum oder der Zeit nach. So fern dieſe Spuren verſchieden ſind, ma- chen ſie Verſchiedenheiten in der Fertigkeit aus, und er- zeugen gar verſchiedene ungleichartige Fertigkeiten, wenn ſie ſelbſt ungleichartig ſind. Denn in dieſem Fall entſtehet nicht einmal eine Verbindung zwiſchen ihnen, und noch weniger eine Vereinigung; alſo wird auch durch ihre Aufhaͤufung keine einzelne Groͤße erzeuget. Die Groͤße in einem und demſelben Vermoͤgen waͤchſet nur durch das Aehnliche in den Spuren. Jſt nun in den einfachen Spuren ſo viele Jdentitaͤt, daß ihr Ganzes eine Groͤße wird, ſo bekommt dieſe Groͤße in ſo weit eine Ausdehnung, als dieſe Spuren verſchieden ſind. Nur muß ihre Verſchiedenheit die Gleichartigkeit nicht aufheben. Wenn ſie bis ſo weit gehet, ſo werden ver- ſchiedene Fertigkeiten erzeuget, die ſich einander alle- mal in ſo weit hindern, als ſie die Kraft der Seele un- ter ſich vertheilen, zuweilen einander aufheben oder doch ſchwaͤchen. Das letztere iſt die Wirkung von der Ver- ſchiedenheit in den Vorſtellungen, ſo bald dieſe ſich zu- gleich

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/720>, abgerufen am 23.07.2024.