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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungskraft etc.
gleich neben einander in der Seele erhalten und ihre Kraft
beschäftigen wollen. Denn das bekannte: apposita juxta
seposita magis elucescunt,
gilt nur in solchen Fällen,
wo der vorhergehende verschiedene Zustand den nachfol-
genden Platz machet, und nur die Neuheit bey dem letz-
tern vergrößert. Hiedurch wirken die abstechende Far-
ben, und Töne, und die kontrastirenden Jdeen in der
Phantasie. Bleibet dagegen die vorhergehende Modi-
fikation in der Seele auch nur zum Theil zurück, wenn
eine andere von ihr verschiedene nachfolget, so mag jene
oder diese die herrschende werden, entweder sie vermi-
schen sich in eine dritte zusammen, oder wenn die Seele
sie nicht zugleich umfassen kann, so schwächen und ver-
theilen sie einander. Und auch da, wo sie in eine dritte
zusammenfliessen, haben doch alle beide einzeln von ein-
ander gelitten. Daher muß auch jede Ausdehnung ei-
ner Fertigkeit in dem endlichen Wesen die innere Stärke
der Fertigkeit selbst vermindern, wofern diese nicht an-
derswoher neue Nahrung empfängt.

2) Die innere Stärke der Fertigkeit ist eine
Folge von der Aehnlichkeit oder Einerleyheit der
Spuren,
welche die Vorstellungen von der Aktion aus-
machen und darum auf einander fallen. Diese Vorstel-
lungen richten sich nach den Handlungen, und ihre Ver-
einigung nach ihrer eigenen Aehnlichkeit. Aber die
Größe der Fertigkeit, welche entstehet, als eine ganze
Fertigkeit aus einfachen, die ihre Theile sind, hängt zu-
gleich auch von der Beschaffenheit des Vermögens, oder
der Anlage und Disposition ab, ohne der Menge von
Handlungen, womit die Uebung geschicht, zu entspre-
chen, weil das Vermögen der Seele die aus der Hand-
lung empfangene Spur mit andern vorräthigen, die sie
aus ähnlichen Modifikationen herausziehet, vermehren
und vereinigen kann. Das mehr oder weniger zu
etwas aufgelegt seyn
besteht darinn, daß in dem

Jnnern
T t 3

der Vorſtellungskraft ⁊c.
gleich neben einander in der Seele erhalten und ihre Kraft
beſchaͤftigen wollen. Denn das bekannte: appoſita juxta
ſepoſita magis eluceſcunt,
gilt nur in ſolchen Faͤllen,
wo der vorhergehende verſchiedene Zuſtand den nachfol-
genden Platz machet, und nur die Neuheit bey dem letz-
tern vergroͤßert. Hiedurch wirken die abſtechende Far-
ben, und Toͤne, und die kontraſtirenden Jdeen in der
Phantaſie. Bleibet dagegen die vorhergehende Modi-
fikation in der Seele auch nur zum Theil zuruͤck, wenn
eine andere von ihr verſchiedene nachfolget, ſo mag jene
oder dieſe die herrſchende werden, entweder ſie vermi-
ſchen ſich in eine dritte zuſammen, oder wenn die Seele
ſie nicht zugleich umfaſſen kann, ſo ſchwaͤchen und ver-
theilen ſie einander. Und auch da, wo ſie in eine dritte
zuſammenflieſſen, haben doch alle beide einzeln von ein-
ander gelitten. Daher muß auch jede Ausdehnung ei-
ner Fertigkeit in dem endlichen Weſen die innere Staͤrke
der Fertigkeit ſelbſt vermindern, wofern dieſe nicht an-
derswoher neue Nahrung empfaͤngt.

2) Die innere Staͤrke der Fertigkeit iſt eine
Folge von der Aehnlichkeit oder Einerleyheit der
Spuren,
welche die Vorſtellungen von der Aktion aus-
machen und darum auf einander fallen. Dieſe Vorſtel-
lungen richten ſich nach den Handlungen, und ihre Ver-
einigung nach ihrer eigenen Aehnlichkeit. Aber die
Groͤße der Fertigkeit, welche entſtehet, als eine ganze
Fertigkeit aus einfachen, die ihre Theile ſind, haͤngt zu-
gleich auch von der Beſchaffenheit des Vermoͤgens, oder
der Anlage und Dispoſition ab, ohne der Menge von
Handlungen, womit die Uebung geſchicht, zu entſpre-
chen, weil das Vermoͤgen der Seele die aus der Hand-
lung empfangene Spur mit andern vorraͤthigen, die ſie
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Jnnern
T t 3
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[661/0721] der Vorſtellungskraft ⁊c. gleich neben einander in der Seele erhalten und ihre Kraft beſchaͤftigen wollen. Denn das bekannte: appoſita juxta ſepoſita magis eluceſcunt, gilt nur in ſolchen Faͤllen, wo der vorhergehende verſchiedene Zuſtand den nachfol- genden Platz machet, und nur die Neuheit bey dem letz- tern vergroͤßert. Hiedurch wirken die abſtechende Far- ben, und Toͤne, und die kontraſtirenden Jdeen in der Phantaſie. Bleibet dagegen die vorhergehende Modi- fikation in der Seele auch nur zum Theil zuruͤck, wenn eine andere von ihr verſchiedene nachfolget, ſo mag jene oder dieſe die herrſchende werden, entweder ſie vermi- ſchen ſich in eine dritte zuſammen, oder wenn die Seele ſie nicht zugleich umfaſſen kann, ſo ſchwaͤchen und ver- theilen ſie einander. Und auch da, wo ſie in eine dritte zuſammenflieſſen, haben doch alle beide einzeln von ein- ander gelitten. Daher muß auch jede Ausdehnung ei- ner Fertigkeit in dem endlichen Weſen die innere Staͤrke der Fertigkeit ſelbſt vermindern, wofern dieſe nicht an- derswoher neue Nahrung empfaͤngt. 2) Die innere Staͤrke der Fertigkeit iſt eine Folge von der Aehnlichkeit oder Einerleyheit der Spuren, welche die Vorſtellungen von der Aktion aus- machen und darum auf einander fallen. Dieſe Vorſtel- lungen richten ſich nach den Handlungen, und ihre Ver- einigung nach ihrer eigenen Aehnlichkeit. Aber die Groͤße der Fertigkeit, welche entſtehet, als eine ganze Fertigkeit aus einfachen, die ihre Theile ſind, haͤngt zu- gleich auch von der Beſchaffenheit des Vermoͤgens, oder der Anlage und Dispoſition ab, ohne der Menge von Handlungen, womit die Uebung geſchicht, zu entſpre- chen, weil das Vermoͤgen der Seele die aus der Hand- lung empfangene Spur mit andern vorraͤthigen, die ſie aus aͤhnlichen Modifikationen herausziehet, vermehren und vereinigen kann. Das mehr oder weniger zu etwas aufgelegt ſeyn beſteht darinn, daß in dem Jnnern T t 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/721>, abgerufen am 10.06.2024.