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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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X. Versuch. Ueber die Beziehung
tenden Sachen, nicht von der Art der Thätigkeit und
von der Aktion selbst.

Dazu kommt, daß, da die Vorstellung, welche ein
Anfang oder ein Ansatz zu einer Aktion ist, nur in dem
Jnnern der Seele, oder in dem innern Vorstellungs-
organ ist, sie nicht die Aktion selbst ist, und es auch
nicht wird, als nur wenn sie weiter herausgeht, und
wenn von einer körperlichen Handlung die Rede ist, sich
auch in die Bewegungsnerven und in die Muskeln er-
gießet. Die Vorstellung von der Sünde ist keine Sün-
de, es ist vielmehr Tugend, sie in sich haben, und sie
in sich beschränken zu können, ohne daß ein merklicher
Hang entstehe, in wirkliche That hervorzugehen. Die
Vorstellung ist nur darum ein Ansatz zur Handlung zu
nennen, weil mit ihr, wie mit jeder Phantasie, ein An-
fang zu dem vorigen Zustand vorhanden ist, der, wenn
man sich ihm überläßt, in eine merkliche Tendenz über-
gehet, den ehemaligen Zustand zu erneuren. Und jene
innere Bewegung steht in einer physischen Verbindung
mit der äußern, die ein weiterer Ausfluß von jener ist.

Und endlich, so giebt es selbst in den innern Anfän-
gen der Aktion, unendlich viele Grade der Lebhaftigkeit
und Stärke. Die Wörter, lieben, hassen, stossen,
fliehen u. s. w. laufen geschwinde über die Zunge weg,
und wenn sie wahre Jdeen mit sich verbunden haben,
so hat auch jedes Wort einen Druck auf die Vermögen
der Seele zu ihrer Kraftäußerung bey sich. Aber wie
groß ist und kann nicht die Verschiedenheit in den Gra-
den dieses Drucks seyn! Wenn es erlaubt ist, die Vor-
stellungen überhaupt Elemente der Handlungen oder
Elementaraktionen zu nennen, und ohne Zweifel ist es
erlaubt, sich dieser mathematischen Gleichnisse in der
unkörperlichen Natur eben so wohl zu bedienen, als in
der körperlichen, so kann man hinzu setzen, daß es selbst
unter diesen Elementen verschiedene Ordnungen gebe,

und

X. Verſuch. Ueber die Beziehung
tenden Sachen, nicht von der Art der Thaͤtigkeit und
von der Aktion ſelbſt.

Dazu kommt, daß, da die Vorſtellung, welche ein
Anfang oder ein Anſatz zu einer Aktion iſt, nur in dem
Jnnern der Seele, oder in dem innern Vorſtellungs-
organ iſt, ſie nicht die Aktion ſelbſt iſt, und es auch
nicht wird, als nur wenn ſie weiter herausgeht, und
wenn von einer koͤrperlichen Handlung die Rede iſt, ſich
auch in die Bewegungsnerven und in die Muskeln er-
gießet. Die Vorſtellung von der Suͤnde iſt keine Suͤn-
de, es iſt vielmehr Tugend, ſie in ſich haben, und ſie
in ſich beſchraͤnken zu koͤnnen, ohne daß ein merklicher
Hang entſtehe, in wirkliche That hervorzugehen. Die
Vorſtellung iſt nur darum ein Anſatz zur Handlung zu
nennen, weil mit ihr, wie mit jeder Phantaſie, ein An-
fang zu dem vorigen Zuſtand vorhanden iſt, der, wenn
man ſich ihm uͤberlaͤßt, in eine merkliche Tendenz uͤber-
gehet, den ehemaligen Zuſtand zu erneuren. Und jene
innere Bewegung ſteht in einer phyſiſchen Verbindung
mit der aͤußern, die ein weiterer Ausfluß von jener iſt.

Und endlich, ſo giebt es ſelbſt in den innern Anfaͤn-
gen der Aktion, unendlich viele Grade der Lebhaftigkeit
und Staͤrke. Die Woͤrter, lieben, haſſen, ſtoſſen,
fliehen u. ſ. w. laufen geſchwinde uͤber die Zunge weg,
und wenn ſie wahre Jdeen mit ſich verbunden haben,
ſo hat auch jedes Wort einen Druck auf die Vermoͤgen
der Seele zu ihrer Kraftaͤußerung bey ſich. Aber wie
groß iſt und kann nicht die Verſchiedenheit in den Gra-
den dieſes Drucks ſeyn! Wenn es erlaubt iſt, die Vor-
ſtellungen uͤberhaupt Elemente der Handlungen oder
Elementaraktionen zu nennen, und ohne Zweifel iſt es
erlaubt, ſich dieſer mathematiſchen Gleichniſſe in der
unkoͤrperlichen Natur eben ſo wohl zu bedienen, als in
der koͤrperlichen, ſo kann man hinzu ſetzen, daß es ſelbſt
unter dieſen Elementen verſchiedene Ordnungen gebe,

und
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[644/0704] X. Verſuch. Ueber die Beziehung tenden Sachen, nicht von der Art der Thaͤtigkeit und von der Aktion ſelbſt. Dazu kommt, daß, da die Vorſtellung, welche ein Anfang oder ein Anſatz zu einer Aktion iſt, nur in dem Jnnern der Seele, oder in dem innern Vorſtellungs- organ iſt, ſie nicht die Aktion ſelbſt iſt, und es auch nicht wird, als nur wenn ſie weiter herausgeht, und wenn von einer koͤrperlichen Handlung die Rede iſt, ſich auch in die Bewegungsnerven und in die Muskeln er- gießet. Die Vorſtellung von der Suͤnde iſt keine Suͤn- de, es iſt vielmehr Tugend, ſie in ſich haben, und ſie in ſich beſchraͤnken zu koͤnnen, ohne daß ein merklicher Hang entſtehe, in wirkliche That hervorzugehen. Die Vorſtellung iſt nur darum ein Anſatz zur Handlung zu nennen, weil mit ihr, wie mit jeder Phantaſie, ein An- fang zu dem vorigen Zuſtand vorhanden iſt, der, wenn man ſich ihm uͤberlaͤßt, in eine merkliche Tendenz uͤber- gehet, den ehemaligen Zuſtand zu erneuren. Und jene innere Bewegung ſteht in einer phyſiſchen Verbindung mit der aͤußern, die ein weiterer Ausfluß von jener iſt. Und endlich, ſo giebt es ſelbſt in den innern Anfaͤn- gen der Aktion, unendlich viele Grade der Lebhaftigkeit und Staͤrke. Die Woͤrter, lieben, haſſen, ſtoſſen, fliehen u. ſ. w. laufen geſchwinde uͤber die Zunge weg, und wenn ſie wahre Jdeen mit ſich verbunden haben, ſo hat auch jedes Wort einen Druck auf die Vermoͤgen der Seele zu ihrer Kraftaͤußerung bey ſich. Aber wie groß iſt und kann nicht die Verſchiedenheit in den Gra- den dieſes Drucks ſeyn! Wenn es erlaubt iſt, die Vor- ſtellungen uͤberhaupt Elemente der Handlungen oder Elementaraktionen zu nennen, und ohne Zweifel iſt es erlaubt, ſich dieſer mathematiſchen Gleichniſſe in der unkoͤrperlichen Natur eben ſo wohl zu bedienen, als in der koͤrperlichen, ſo kann man hinzu ſetzen, daß es ſelbſt unter dieſen Elementen verſchiedene Ordnungen gebe, und

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/704>, abgerufen am 22.11.2024.