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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungskraft etc.
die sich auf die ehemaligen Aktionen eben so beziehen,
wie ihre leidentliche Folgen in der Wiedervorstellung,
auf ihre Folgen in der ersten Empfindung. Eine volle
anschauliche Wiedervorstellung einer Aktion ist ein schwa-
ches Nachspiel der ganzen vormaligen Kraftäußerung.

Jch sage, eine volle anschauliche Vorstellung
von der Handlung sey selbst eine Anwandelung dazu.
Dadurch meine ich gegen schiefe Auslegungen völlig ge-
sichert zu seyn. Wer an Haß und Liebe, an löbliche und
schändliche Thaten denket, soll nicht schon auf dem Wege
seyn, von jenen erfüllet zu werden, und diese nachzu-
machen. Das hieße sich dem Vorwurf aussetzen, den
Beattie der Lockischen Philosophie macht, daß die Jdee
von der Hitze erwärme, und der Hunger sich mit der
Vorstellung von Essen stillen lassen müsse. *) Wenn
wir uns Worte vorstellen, so sprechen wir innerlich;
aber oft so sehr allein innerlich, daß wir nicht einmal die
Lippen rühren. Wird die innere Sprache lebhafter, so
sieht man uns Bewegungen des Mundes an; und den-
noch reden wir nicht; es erfolgt kein hörbarer Ton. Dieß
sind drey Stufen der Reproduktion. Die Erstere ist
allgemein bey allen, und diese will ich hier eigentlich nur
unter den ersten innern Anfängen der Aktion ver-
standen haben.

Einmal ist von solchen Vorstellungen der Aktionen
die Rede, die nicht blos symbolisch es sind; blos in
den Bildern von dem Worte oder dem Zeichen bestehen,
womit die Aktion ausgedrucket wird. Ferner sollen es
nicht die Vorstellungen von dem Objekt und von den
Wirkungen der Aktion seyn, die man nur durch eine
Metonymie, Vorstellungen von der Handlung selbst
nennen kann, und die auch oft die Stelle derselben ver-
treten. Dieß alles sind nur Vorstellungen von beglei-

tenden
*) Vergl. Erster Versuch VII.
S s 2

der Vorſtellungskraft ⁊c.
die ſich auf die ehemaligen Aktionen eben ſo beziehen,
wie ihre leidentliche Folgen in der Wiedervorſtellung,
auf ihre Folgen in der erſten Empfindung. Eine volle
anſchauliche Wiedervorſtellung einer Aktion iſt ein ſchwa-
ches Nachſpiel der ganzen vormaligen Kraftaͤußerung.

Jch ſage, eine volle anſchauliche Vorſtellung
von der Handlung ſey ſelbſt eine Anwandelung dazu.
Dadurch meine ich gegen ſchiefe Auslegungen voͤllig ge-
ſichert zu ſeyn. Wer an Haß und Liebe, an loͤbliche und
ſchaͤndliche Thaten denket, ſoll nicht ſchon auf dem Wege
ſeyn, von jenen erfuͤllet zu werden, und dieſe nachzu-
machen. Das hieße ſich dem Vorwurf ausſetzen, den
Beattie der Lockiſchen Philoſophie macht, daß die Jdee
von der Hitze erwaͤrme, und der Hunger ſich mit der
Vorſtellung von Eſſen ſtillen laſſen muͤſſe. *) Wenn
wir uns Worte vorſtellen, ſo ſprechen wir innerlich;
aber oft ſo ſehr allein innerlich, daß wir nicht einmal die
Lippen ruͤhren. Wird die innere Sprache lebhafter, ſo
ſieht man uns Bewegungen des Mundes an; und den-
noch reden wir nicht; es erfolgt kein hoͤrbarer Ton. Dieß
ſind drey Stufen der Reproduktion. Die Erſtere iſt
allgemein bey allen, und dieſe will ich hier eigentlich nur
unter den erſten innern Anfaͤngen der Aktion ver-
ſtanden haben.

Einmal iſt von ſolchen Vorſtellungen der Aktionen
die Rede, die nicht blos ſymboliſch es ſind; blos in
den Bildern von dem Worte oder dem Zeichen beſtehen,
womit die Aktion ausgedrucket wird. Ferner ſollen es
nicht die Vorſtellungen von dem Objekt und von den
Wirkungen der Aktion ſeyn, die man nur durch eine
Metonymie, Vorſtellungen von der Handlung ſelbſt
nennen kann, und die auch oft die Stelle derſelben ver-
treten. Dieß alles ſind nur Vorſtellungen von beglei-

tenden
*) Vergl. Erſter Verſuch VII.
S s 2
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[643/0703] der Vorſtellungskraft ⁊c. die ſich auf die ehemaligen Aktionen eben ſo beziehen, wie ihre leidentliche Folgen in der Wiedervorſtellung, auf ihre Folgen in der erſten Empfindung. Eine volle anſchauliche Wiedervorſtellung einer Aktion iſt ein ſchwa- ches Nachſpiel der ganzen vormaligen Kraftaͤußerung. Jch ſage, eine volle anſchauliche Vorſtellung von der Handlung ſey ſelbſt eine Anwandelung dazu. Dadurch meine ich gegen ſchiefe Auslegungen voͤllig ge- ſichert zu ſeyn. Wer an Haß und Liebe, an loͤbliche und ſchaͤndliche Thaten denket, ſoll nicht ſchon auf dem Wege ſeyn, von jenen erfuͤllet zu werden, und dieſe nachzu- machen. Das hieße ſich dem Vorwurf ausſetzen, den Beattie der Lockiſchen Philoſophie macht, daß die Jdee von der Hitze erwaͤrme, und der Hunger ſich mit der Vorſtellung von Eſſen ſtillen laſſen muͤſſe. *) Wenn wir uns Worte vorſtellen, ſo ſprechen wir innerlich; aber oft ſo ſehr allein innerlich, daß wir nicht einmal die Lippen ruͤhren. Wird die innere Sprache lebhafter, ſo ſieht man uns Bewegungen des Mundes an; und den- noch reden wir nicht; es erfolgt kein hoͤrbarer Ton. Dieß ſind drey Stufen der Reproduktion. Die Erſtere iſt allgemein bey allen, und dieſe will ich hier eigentlich nur unter den erſten innern Anfaͤngen der Aktion ver- ſtanden haben. Einmal iſt von ſolchen Vorſtellungen der Aktionen die Rede, die nicht blos ſymboliſch es ſind; blos in den Bildern von dem Worte oder dem Zeichen beſtehen, womit die Aktion ausgedrucket wird. Ferner ſollen es nicht die Vorſtellungen von dem Objekt und von den Wirkungen der Aktion ſeyn, die man nur durch eine Metonymie, Vorſtellungen von der Handlung ſelbſt nennen kann, und die auch oft die Stelle derſelben ver- treten. Dieß alles ſind nur Vorſtellungen von beglei- tenden *) Vergl. Erſter Verſuch VII. S s 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/703>, abgerufen am 21.11.2024.