Daher muß hier auch dieselbige Einschränkung hin- zugesetzet werden. Die Dichtkraft kann aus dem er- langten Stoff von Vorstellungen, neue originelle Vor- stellungen machen. Zu einer ähnlichen Arbeit ist sie auch bey dieser besondern Art aufgeleget, die wir von unsern Willensäußerungen haben. So wie sie die Vorstellun- gen von den Objekten, als die Gegenstände unserer Kraftäußerungen, trennen, verbinden, auflösen und vereinigen kann; so kann sie auch die Vorstellungen von unsern Kraftanwendungen selbst bearbeiten. Dieß kann sie bey vorstellenden und Denkthätigkeiten, und auch bey den übrigen Handlungen. Aber bey allen auch nur auf eine ähnliche Art, nach denselben Gesetzen, und durch dieselbigen Mittel.
2.
"Die ersten instinktartigen Thätigkeiten der Seele "überhaupt bestehen in Aeußerungen ihres thätigen "Grundprincips, das durch |vorhergegangene Empfin- "dungen gereizet, und davon in seiner Richtung bestim- "met wird."
Der sinnliche Eindruck bringet die Reaktion hervor, durch welche die Vorstellung von dem Objekt gemacht wird. Die Empfindung eines Baumes bestimmet die Seele zu der Vorstellung eines Baums; die Empfin- dungen der Farben zu Vorstellungen der Farben; die Eindrücke der Töne, zu den Vorstellungen von Tö- nen u. s. w. Der Unterschied in den Wirkungen ent- spricht der Verschiedenheit der auffallenden Modifikatio- nen, die gefühlet werden. Aber die innere thätige Kraft, welche wirket, ist dieselbige. Jst es wohl philosophisch, zu glauben, daß ein anders Grundprincip der Seele die Gesichtsideen, ein anderes die Gehörsideen hervorbringe? Jst es wahrscheinlich, daß in dem blinden Engländer eine neue Kraft zur Wirksamkeit gebracht ward, als ihm
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
Daher muß hier auch dieſelbige Einſchraͤnkung hin- zugeſetzet werden. Die Dichtkraft kann aus dem er- langten Stoff von Vorſtellungen, neue originelle Vor- ſtellungen machen. Zu einer aͤhnlichen Arbeit iſt ſie auch bey dieſer beſondern Art aufgeleget, die wir von unſern Willensaͤußerungen haben. So wie ſie die Vorſtellun- gen von den Objekten, als die Gegenſtaͤnde unſerer Kraftaͤußerungen, trennen, verbinden, aufloͤſen und vereinigen kann; ſo kann ſie auch die Vorſtellungen von unſern Kraftanwendungen ſelbſt bearbeiten. Dieß kann ſie bey vorſtellenden und Denkthaͤtigkeiten, und auch bey den uͤbrigen Handlungen. Aber bey allen auch nur auf eine aͤhnliche Art, nach denſelben Geſetzen, und durch dieſelbigen Mittel.
2.
„Die erſten inſtinktartigen Thaͤtigkeiten der Seele „uͤberhaupt beſtehen in Aeußerungen ihres thaͤtigen „Grundprincips, das durch |vorhergegangene Empfin- „dungen gereizet, und davon in ſeiner Richtung beſtim- „met wird.‟
Der ſinnliche Eindruck bringet die Reaktion hervor, durch welche die Vorſtellung von dem Objekt gemacht wird. Die Empfindung eines Baumes beſtimmet die Seele zu der Vorſtellung eines Baums; die Empfin- dungen der Farben zu Vorſtellungen der Farben; die Eindruͤcke der Toͤne, zu den Vorſtellungen von Toͤ- nen u. ſ. w. Der Unterſchied in den Wirkungen ent- ſpricht der Verſchiedenheit der auffallenden Modifikatio- nen, die gefuͤhlet werden. Aber die innere thaͤtige Kraft, welche wirket, iſt dieſelbige. Jſt es wohl philoſophiſch, zu glauben, daß ein anders Grundprincip der Seele die Geſichtsideen, ein anderes die Gehoͤrsideen hervorbringe? Jſt es wahrſcheinlich, daß in dem blinden Englaͤnder eine neue Kraft zur Wirkſamkeit gebracht ward, als ihm
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
Daher muß hier auch dieſelbige Einſchraͤnkung hin-
zugeſetzet werden. Die Dichtkraft kann aus dem er-
langten Stoff von Vorſtellungen, neue originelle Vor-
ſtellungen machen. Zu einer aͤhnlichen Arbeit iſt ſie auch
bey dieſer beſondern Art aufgeleget, die wir von unſern
Willensaͤußerungen haben. So wie ſie die Vorſtellun-
gen von den Objekten, als die Gegenſtaͤnde unſerer
Kraftaͤußerungen, trennen, verbinden, aufloͤſen und
vereinigen kann; ſo kann ſie auch die Vorſtellungen von
unſern Kraftanwendungen ſelbſt bearbeiten. Dieß kann
ſie bey vorſtellenden und Denkthaͤtigkeiten, und
auch bey den uͤbrigen Handlungen. Aber bey allen auch
nur auf eine aͤhnliche Art, nach denſelben Geſetzen, und
durch dieſelbigen Mittel.
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„Die erſten inſtinktartigen Thaͤtigkeiten der Seele
„uͤberhaupt beſtehen in Aeußerungen ihres thaͤtigen
„Grundprincips, das durch |vorhergegangene Empfin-
„dungen gereizet, und davon in ſeiner Richtung beſtim-
„met wird.‟
Der ſinnliche Eindruck bringet die Reaktion hervor,
durch welche die Vorſtellung von dem Objekt gemacht
wird. Die Empfindung eines Baumes beſtimmet die
Seele zu der Vorſtellung eines Baums; die Empfin-
dungen der Farben zu Vorſtellungen der Farben; die
Eindruͤcke der Toͤne, zu den Vorſtellungen von Toͤ-
nen u. ſ. w. Der Unterſchied in den Wirkungen ent-
ſpricht der Verſchiedenheit der auffallenden Modifikatio-
nen, die gefuͤhlet werden. Aber die innere thaͤtige Kraft,
welche wirket, iſt dieſelbige. Jſt es wohl philoſophiſch,
zu glauben, daß ein anders Grundprincip der Seele die
Geſichtsideen, ein anderes die Gehoͤrsideen hervorbringe?
Jſt es wahrſcheinlich, daß in dem blinden Englaͤnder
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/689>, abgerufen am 22.11.2024.
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