Denn wenn die Lage der Dinge gleich nichts objektivi- sches außer uns wäre, wie manche behaupten, so ist sie doch eine Wirkung von den ideellen Objekten in uns, und von deren Gegenwart und Wirkung in und auf unsere empfindende und vorstellende Seele. Also be- ziehet sie sich auf etwas in den Objekten und in den Vor- stellungen von ihnen.
Was das Gefühl der Kausalität und der Abhän- gigkeit einer Wirkung von ihrer Ursache betrift, so über- hebe ich mich hier der Mühe, die Beobachtungen zu zer- gliedern, um den eigentlichen Gegenstand des Gefühls dabey zu bemerken, da ich dieß an einer andern beque- mern Stelle thun werde. Hume hat sich besonders da- mit beschäftiget, und zu erweisen gesucht; es sey die ge- naue Verknüpfung der Jdeen in der Einbildungskraft das nächste Objekt des Gefühls, aus dessen Empfindung der Begrif von der Ursache entstehe. Dieß ist noch nicht völlig genau angegeben; aber genug, wenn einge- standen wird, daß es so eine gewisse Beschaffenheit in uns gebe, die gefühlet wird, und auf welcher die Em- pfindung von der verursachenden Verknüpfung der Din- ge beruhet. Ueberhaupt haben Bonnet, Search, Hume und andere, welche die gesammte Verstandeser- kenntniß für eine verfeinerte und erhöhete Empfindung ansehen, sich bemühet, zu den verschiedenen allgemeinen Verhältnißgedanken die zugehörigen Gefühle aufzusu- chen. Bey einigen haben sie solche ganz richtig angege- ben, und alsdenn sind dieß gewisse absolute Veränderun- gen in uns, deren Gefühl die Verhältnißgedanken und Ur- theile veranlasset. Nach der Meinung dieser Philoso- phen sollen solche Verhältnißgefühle mit den Verhältniß- gedanken einerley seyn. Dieß letztere ist eine Sache, die noch einer weitern Prüfung bedarf; aber darinn sind sie mit mir und ich mit ihnen einig, daß, wo ein Verhält- niß empfunden wird, auch in uns eine gewisse, reelle und
absolu-
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Denn wenn die Lage der Dinge gleich nichts objektivi- ſches außer uns waͤre, wie manche behaupten, ſo iſt ſie doch eine Wirkung von den ideellen Objekten in uns, und von deren Gegenwart und Wirkung in und auf unſere empfindende und vorſtellende Seele. Alſo be- ziehet ſie ſich auf etwas in den Objekten und in den Vor- ſtellungen von ihnen.
Was das Gefuͤhl der Kauſalitaͤt und der Abhaͤn- gigkeit einer Wirkung von ihrer Urſache betrift, ſo uͤber- hebe ich mich hier der Muͤhe, die Beobachtungen zu zer- gliedern, um den eigentlichen Gegenſtand des Gefuͤhls dabey zu bemerken, da ich dieß an einer andern beque- mern Stelle thun werde. Hume hat ſich beſonders da- mit beſchaͤftiget, und zu erweiſen geſucht; es ſey die ge- naue Verknuͤpfung der Jdeen in der Einbildungskraft das naͤchſte Objekt des Gefuͤhls, aus deſſen Empfindung der Begrif von der Urſache entſtehe. Dieß iſt noch nicht voͤllig genau angegeben; aber genug, wenn einge- ſtanden wird, daß es ſo eine gewiſſe Beſchaffenheit in uns gebe, die gefuͤhlet wird, und auf welcher die Em- pfindung von der verurſachenden Verknuͤpfung der Din- ge beruhet. Ueberhaupt haben Bonnet, Search, Hume und andere, welche die geſammte Verſtandeser- kenntniß fuͤr eine verfeinerte und erhoͤhete Empfindung anſehen, ſich bemuͤhet, zu den verſchiedenen allgemeinen Verhaͤltnißgedanken die zugehoͤrigen Gefuͤhle aufzuſu- chen. Bey einigen haben ſie ſolche ganz richtig angege- ben, und alsdenn ſind dieß gewiſſe abſolute Veraͤnderun- gen in uns, deren Gefuͤhl die Verhaͤltnißgedanken und Ur- theile veranlaſſet. Nach der Meinung dieſer Philoſo- phen ſollen ſolche Verhaͤltnißgefuͤhle mit den Verhaͤltniß- gedanken einerley ſeyn. Dieß letztere iſt eine Sache, die noch einer weitern Pruͤfung bedarf; aber darinn ſind ſie mit mir und ich mit ihnen einig, daß, wo ein Verhaͤlt- niß empfunden wird, auch in uns eine gewiſſe, reelle und
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Denn wenn die Lage der Dinge gleich nichts objektivi-
ſches außer uns waͤre, wie manche behaupten, ſo iſt
ſie doch eine Wirkung von den ideellen Objekten in
uns, und von deren Gegenwart und Wirkung in und
auf unſere empfindende und vorſtellende Seele. Alſo be-
ziehet ſie ſich auf etwas in den Objekten und in den Vor-
ſtellungen von ihnen.
Was das Gefuͤhl der Kauſalitaͤt und der Abhaͤn-
gigkeit einer Wirkung von ihrer Urſache betrift, ſo uͤber-
hebe ich mich hier der Muͤhe, die Beobachtungen zu zer-
gliedern, um den eigentlichen Gegenſtand des Gefuͤhls
dabey zu bemerken, da ich dieß an einer andern beque-
mern Stelle thun werde. Hume hat ſich beſonders da-
mit beſchaͤftiget, und zu erweiſen geſucht; es ſey die ge-
naue Verknuͤpfung der Jdeen in der Einbildungskraft
das naͤchſte Objekt des Gefuͤhls, aus deſſen Empfindung
der Begrif von der Urſache entſtehe. Dieß iſt noch
nicht voͤllig genau angegeben; aber genug, wenn einge-
ſtanden wird, daß es ſo eine gewiſſe Beſchaffenheit in
uns gebe, die gefuͤhlet wird, und auf welcher die Em-
pfindung von der verurſachenden Verknuͤpfung der Din-
ge beruhet. Ueberhaupt haben Bonnet, Search,
Hume und andere, welche die geſammte Verſtandeser-
kenntniß fuͤr eine verfeinerte und erhoͤhete Empfindung
anſehen, ſich bemuͤhet, zu den verſchiedenen allgemeinen
Verhaͤltnißgedanken die zugehoͤrigen Gefuͤhle aufzuſu-
chen. Bey einigen haben ſie ſolche ganz richtig angege-
ben, und alsdenn ſind dieß gewiſſe abſolute Veraͤnderun-
gen in uns, deren Gefuͤhl die Verhaͤltnißgedanken und Ur-
theile veranlaſſet. Nach der Meinung dieſer Philoſo-
phen ſollen ſolche Verhaͤltnißgefuͤhle mit den Verhaͤltniß-
gedanken einerley ſeyn. Dieß letztere iſt eine Sache, die
noch einer weitern Pruͤfung bedarf; aber darinn ſind ſie
mit mir und ich mit ihnen einig, daß, wo ein Verhaͤlt-
niß empfunden wird, auch in uns eine gewiſſe, reelle und
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/261>, abgerufen am 21.11.2024.
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