Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Daran sind Sie Schuld, versuchte der kluge Greis schmeichelnd; warum haben Sie mir das Mädchen entführt? Wollen Sie, daß ich mein Pflegekind nicht kennen und sie nicht auch lieben lernen soll? Wie könnte mir so was einfallen! -- Gerade Sie, Mynheer, müssen die Galinda sehen. Oh, gewiß, dann können -- dann werden Sie ihr nichts abschlagen! So wollen wir sie gleich holen lassen -- wo ist sie? Dieser Versuch scheiterte an dem bedachtsamen Sinne des Jünglings; nach einigen Augenblicken Ueberlegung antwortete er: Nein, Mynheer -- ich kann Ihnen nicht trauen. Sie wollten mir mein Mädchen heimlich nehmen Lassen -- was Sie einmal gethan, könnten Sie leicht wiederholen, und das soll nicht geschehen. Sehen Sie, ich traue jetzt keinem Menschen, als meiner Linda und meinem Freimeister Jan, der mir bewiesen hat, daß er alle Vorurtheile verachtet und ein Ehrenmann wie Keiner ist -- und doch hab' ich ihm verschwiegen, wo Galinda sich aufhält. -- So lange Mynheer mir nicht Ihr Wort geben, daß Linda meine Frau werden soll, sage ich nicht, wo sie ist. Mein Wort läßt sich nicht erzwingen; bedenken Sie das, junger Mann. So sind wir fertig. -- Leben Sie wohl, Mynheer, und mit einer ehrerbietigen Verneigung verließ Bertold das Zimmer. Daran sind Sie Schuld, versuchte der kluge Greis schmeichelnd; warum haben Sie mir das Mädchen entführt? Wollen Sie, daß ich mein Pflegekind nicht kennen und sie nicht auch lieben lernen soll? Wie könnte mir so was einfallen! — Gerade Sie, Mynheer, müssen die Galinda sehen. Oh, gewiß, dann können — dann werden Sie ihr nichts abschlagen! So wollen wir sie gleich holen lassen — wo ist sie? Dieser Versuch scheiterte an dem bedachtsamen Sinne des Jünglings; nach einigen Augenblicken Ueberlegung antwortete er: Nein, Mynheer — ich kann Ihnen nicht trauen. Sie wollten mir mein Mädchen heimlich nehmen Lassen — was Sie einmal gethan, könnten Sie leicht wiederholen, und das soll nicht geschehen. Sehen Sie, ich traue jetzt keinem Menschen, als meiner Linda und meinem Freimeister Jan, der mir bewiesen hat, daß er alle Vorurtheile verachtet und ein Ehrenmann wie Keiner ist — und doch hab' ich ihm verschwiegen, wo Galinda sich aufhält. — So lange Mynheer mir nicht Ihr Wort geben, daß Linda meine Frau werden soll, sage ich nicht, wo sie ist. Mein Wort läßt sich nicht erzwingen; bedenken Sie das, junger Mann. So sind wir fertig. — Leben Sie wohl, Mynheer, und mit einer ehrerbietigen Verneigung verließ Bertold das Zimmer. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0090"/> <p>Daran sind Sie Schuld, versuchte der kluge Greis schmeichelnd; warum haben Sie mir das Mädchen entführt? Wollen Sie, daß ich mein Pflegekind nicht kennen und sie nicht auch lieben lernen soll?</p><lb/> <p>Wie könnte mir so was einfallen! — Gerade Sie, Mynheer, müssen die Galinda sehen. Oh, gewiß, dann können — dann werden Sie ihr nichts abschlagen!</p><lb/> <p>So wollen wir sie gleich holen lassen — wo ist sie?</p><lb/> <p>Dieser Versuch scheiterte an dem bedachtsamen Sinne des Jünglings; nach einigen Augenblicken Ueberlegung antwortete er: Nein, Mynheer — ich kann Ihnen nicht trauen. Sie wollten mir mein Mädchen heimlich nehmen Lassen — was Sie einmal gethan, könnten Sie leicht wiederholen, und das soll nicht geschehen. Sehen Sie, ich traue jetzt keinem Menschen, als meiner Linda und meinem Freimeister Jan, der mir bewiesen hat, daß er alle Vorurtheile verachtet und ein Ehrenmann wie Keiner ist — und doch hab' ich ihm verschwiegen, wo Galinda sich aufhält. — So lange Mynheer mir nicht Ihr Wort geben, daß Linda meine Frau werden soll, sage ich nicht, wo sie ist.</p><lb/> <p>Mein Wort läßt sich nicht erzwingen; bedenken Sie das, junger Mann.</p><lb/> <p>So sind wir fertig. — Leben Sie wohl, Mynheer, und mit einer ehrerbietigen Verneigung verließ Bertold das Zimmer.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Daran sind Sie Schuld, versuchte der kluge Greis schmeichelnd; warum haben Sie mir das Mädchen entführt? Wollen Sie, daß ich mein Pflegekind nicht kennen und sie nicht auch lieben lernen soll?
Wie könnte mir so was einfallen! — Gerade Sie, Mynheer, müssen die Galinda sehen. Oh, gewiß, dann können — dann werden Sie ihr nichts abschlagen!
So wollen wir sie gleich holen lassen — wo ist sie?
Dieser Versuch scheiterte an dem bedachtsamen Sinne des Jünglings; nach einigen Augenblicken Ueberlegung antwortete er: Nein, Mynheer — ich kann Ihnen nicht trauen. Sie wollten mir mein Mädchen heimlich nehmen Lassen — was Sie einmal gethan, könnten Sie leicht wiederholen, und das soll nicht geschehen. Sehen Sie, ich traue jetzt keinem Menschen, als meiner Linda und meinem Freimeister Jan, der mir bewiesen hat, daß er alle Vorurtheile verachtet und ein Ehrenmann wie Keiner ist — und doch hab' ich ihm verschwiegen, wo Galinda sich aufhält. — So lange Mynheer mir nicht Ihr Wort geben, daß Linda meine Frau werden soll, sage ich nicht, wo sie ist.
Mein Wort läßt sich nicht erzwingen; bedenken Sie das, junger Mann.
So sind wir fertig. — Leben Sie wohl, Mynheer, und mit einer ehrerbietigen Verneigung verließ Bertold das Zimmer.
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Zitationshilfe: | Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/90>, abgerufen am 22.07.2024. |