Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Kün ler; aber Geist und Geschmak verschwanden allmäh-lig daraus: die Künstler in jeder Art pflanzten sich fort; für die zerstörten Tempel heydnischer Gotthei- ten wurden Kirchen gebauet; in die Stelle der Statuen der Götter und Helden traten die Bilder der Heiligen und der Märtyrer. Die Musik wurde von der Schaubühne in die Kirchen versetzt, und die Beredsamkeit kam von den Rednerbühnen auf die Kanzeln. Kein Zweig der schönen Künste fiel ab; aber alle verwelkten allmählig, bis sie ein An- sehen gewannen, aus dem man sich von ihrer ehe- maligen Schönheit keinen Begriff machen konnte. Es gieng damit wie mit gewissen Feyerlichkeiten, Einige Schriftsteller sprechen von der Geschichte Künn glüklichers Genie Versuche gemacht, Schönheit undGeschmak wieder in die Künste einzuführen (+) Aber die Würkung davon erstrekte sich nicht weit. Wie die Verderbniß der Sitten in dem zwölften und einigen folgenden Jahrhunderten zu einem fast un- begreiflichen Grade herabgefallen, so waren auch die schönen Künste in ihrer Anwendung unter alles, was sich itzt begreifen läßt, niedergesunken. Man trift in Gemählden geistlicher Bücher, in Bildschni- tzereyen, womit Kirchen und Canzeln ausgezieret waren, eine Schändlichkeit des Jnnhalts an, die gegenwärtig an Oertern, wo die wildeste Unzucht ihren Sitz hat, anstößig seyn müßten. Aber ver- muthlich war dieser Mißbrauch unschädlich, weil es diesen Mißgeburten der Kunst an allem ästhetischen Reize fehlte. Doch brach mitten in dieser Barbarey die Mor- red- (+) [Spaltenumbruch]
Jch habe vor einigen Jahren in Hervorden ein Diploma von Kayser Heinrich IV. gesehen, auf dessen Sie- gel der Kopf dieses Kaysers so schön ist, als wenn er zu den Zeiten der ersten Cäsare wäre geschnitten worden. Und an alten Kirchen-Büchern aus Carls des Großen und den nachfolgenden Zeiten findet man bisweilen geschnittene Steine, denen es nicht ganz an Schönheit fehlet. Noch unerwarteter als dieses war mir eine Nachricht von der Geschiklichkeit die ein nordisches Volk von Slavischem Stamm, die Wenden, die ehemals in Pommern wohnten, in den zeichnenden Künsten besessen. Jn einem so eben herausgekommenen Werk (*) finde ich folgendes, das aus einer alten Lebensbeschreibung des Heil Otto Bischoffs von [Spaltenumbruch] Bamberg, genommen ist. "Es waren in Stettin vier Tempel. Aber einer von diesen war mit bewundrungs- würdiger Kunst und Zierlichkeit gebaut. Er hatte inwen- dig sowol, als auswendig Schnitzwerk, welches an den Wänden hervorragte und Menschen, Vögel und andre Thiere mit einer so genauen Nachahmung der Natur vor- stellte, daß man fast glauben sollte, daß sie athmeten und lebten." Der Geschlchtschreiber der dieses erzählt, hatte die Sachen selbst gesehen, und war ein Mann, der den Kayserlichen Hof gesehen hatte, folglich kein verweiflicher Zeuge. (S. 290. und 291. des angezogenen Buches.) (*) Thun- mans Un- te suchun- gen über die Gesch. einiger nordischen Völker. Berlin, 1772. 8. (++) S. Baukunst 1. Th. S. 129. Dichtkunst S. 261.
Geschnittene Steine, Bildhauerkunst. [Spaltenumbruch] Kuͤn ler; aber Geiſt und Geſchmak verſchwanden allmaͤh-lig daraus: die Kuͤnſtler in jeder Art pflanzten ſich fort; fuͤr die zerſtoͤrten Tempel heydniſcher Gotthei- ten wurden Kirchen gebauet; in die Stelle der Statuen der Goͤtter und Helden traten die Bilder der Heiligen und der Maͤrtyrer. Die Muſik wurde von der Schaubuͤhne in die Kirchen verſetzt, und die Beredſamkeit kam von den Rednerbuͤhnen auf die Kanzeln. Kein Zweig der ſchoͤnen Kuͤnſte fiel ab; aber alle verwelkten allmaͤhlig, bis ſie ein An- ſehen gewannen, aus dem man ſich von ihrer ehe- maligen Schoͤnheit keinen Begriff machen konnte. Es gieng damit wie mit gewiſſen Feyerlichkeiten, Einige Schriftſteller ſprechen von der Geſchichte Kuͤn̄ gluͤklichers Genie Verſuche gemacht, Schoͤnheit undGeſchmak wieder in die Kuͤnſte einzufuͤhren (†) Aber die Wuͤrkung davon erſtrekte ſich nicht weit. Wie die Verderbniß der Sitten in dem zwoͤlften und einigen folgenden Jahrhunderten zu einem faſt un- begreiflichen Grade herabgefallen, ſo waren auch die ſchoͤnen Kuͤnſte in ihrer Anwendung unter alles, was ſich itzt begreifen laͤßt, niedergeſunken. Man trift in Gemaͤhlden geiſtlicher Buͤcher, in Bildſchni- tzereyen, womit Kirchen und Canzeln ausgezieret waren, eine Schaͤndlichkeit des Jnnhalts an, die gegenwaͤrtig an Oertern, wo die wildeſte Unzucht ihren Sitz hat, anſtoͤßig ſeyn muͤßten. Aber ver- muthlich war dieſer Mißbrauch unſchaͤdlich, weil es dieſen Mißgeburten der Kunſt an allem aͤſthetiſchen Reize fehlte. Doch brach mitten in dieſer Barbarey die Mor- red- (†) [Spaltenumbruch]
Jch habe vor einigen Jahren in Hervorden ein Diploma von Kayſer Heinrich IV. geſehen, auf deſſen Sie- gel der Kopf dieſes Kayſers ſo ſchoͤn iſt, als wenn er zu den Zeiten der erſten Caͤſare waͤre geſchnitten worden. Und an alten Kirchen-Buͤchern aus Carls des Großen und den nachfolgenden Zeiten findet man bisweilen geſchnittene Steine, denen es nicht ganz an Schoͤnheit fehlet. Noch unerwarteter als dieſes war mir eine Nachricht von der Geſchiklichkeit die ein nordiſches Volk von Slaviſchem Stamm, die Wenden, die ehemals in Pommern wohnten, in den zeichnenden Kuͤnſten beſeſſen. Jn einem ſo eben herausgekommenen Werk (*) finde ich folgendes, das aus einer alten Lebensbeſchreibung des Heil Otto Biſchoffs von [Spaltenumbruch] Bamberg, genommen iſt. „Es waren in Stettin vier Tempel. Aber einer von dieſen war mit bewundrungs- wuͤrdiger Kunſt und Zierlichkeit gebaut. Er hatte inwen- dig ſowol, als auswendig Schnitzwerk, welches an den Waͤnden hervorragte und Menſchen, Voͤgel und andre Thiere mit einer ſo genauen Nachahmung der Natur vor- ſtellte, daß man faſt glauben ſollte, daß ſie athmeten und lebten.“ Der Geſchlchtſchreiber der dieſes erzaͤhlt, hatte die Sachen ſelbſt geſehen, und war ein Mann, der den Kayſerlichen Hof geſehen hatte, folglich kein verweiflicher Zeuge. (S. 290. und 291. des angezogenen Buches.) (*) Thun- mans Un- te ſuchun- gen uͤber die Geſch. einiger nordiſchen Voͤlker. Berlin, 1772. 8. (††) S. Baukunſt 1. Th. S. 129. Dichtkunſt S. 261.
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Kuͤn
Kuͤn̄
ler; aber Geiſt und Geſchmak verſchwanden allmaͤh-
lig daraus: die Kuͤnſtler in jeder Art pflanzten ſich
fort; fuͤr die zerſtoͤrten Tempel heydniſcher Gotthei-
ten wurden Kirchen gebauet; in die Stelle der
Statuen der Goͤtter und Helden traten die Bilder
der Heiligen und der Maͤrtyrer. Die Muſik wurde
von der Schaubuͤhne in die Kirchen verſetzt, und
die Beredſamkeit kam von den Rednerbuͤhnen auf
die Kanzeln. Kein Zweig der ſchoͤnen Kuͤnſte fiel
ab; aber alle verwelkten allmaͤhlig, bis ſie ein An-
ſehen gewannen, aus dem man ſich von ihrer ehe-
maligen Schoͤnheit keinen Begriff machen konnte.
Es gieng damit wie mit gewiſſen Feyerlichkeiten,
die in ihrem Urſprunge wichtig und ſehr bedeutend
geweſen, allmaͤhlig aber ſich in Gebraͤuche verwan-
delten, von denen man keinen Grund und keine Be-
deutung mehr anzugeben weiß. Was itzt die Rit-
terorden gegen die ehemaligen Orden ſind, das wa-
ren in dieſen Zeiten die Kuͤnſte gegen das, was ſie
in alten Zeiten geweſen; die aͤußerlichen Zeichen,
Baͤnder und Sterne blieben allein uͤbrig. Eben
darum fehlte es den Werken der Kunſt nicht nur
an aͤuſſerlicher Schoͤnheit, ſondern auch an innerli-
cher Kraft.
Einige Schriftſteller ſprechen von der Geſchichte
der Kunſt auf eine Art, die uns glauben machen
koͤnnte, ſie ſeyen Jahrhunderte durch voͤllig verloh-
ren geweſen. Aber dieſes ſtreitet gegen die hiſto-
riſche Wahrheit. Von den Zeiten des Auguſtus,
bis auf die Zeiten Pabſt Leo des X, iſt kein Jahr-
hundert geweſen, das nicht ſeine Dichter, ſeine
Mahler, ſeine Bildhauer, Steinſchneider, Tonkuͤnſt-
ler, und ſeine Schauſpieler gehabt. Es ſcheinet
ſogar, daß in zeichnenden Kuͤnſten hier und da ein
gluͤklichers Genie Verſuche gemacht, Schoͤnheit und
Geſchmak wieder in die Kuͤnſte einzufuͤhren (†)
Aber die Wuͤrkung davon erſtrekte ſich nicht weit.
Wie die Verderbniß der Sitten in dem zwoͤlften und
einigen folgenden Jahrhunderten zu einem faſt un-
begreiflichen Grade herabgefallen, ſo waren auch
die ſchoͤnen Kuͤnſte in ihrer Anwendung unter alles,
was ſich itzt begreifen laͤßt, niedergeſunken. Man
trift in Gemaͤhlden geiſtlicher Buͤcher, in Bildſchni-
tzereyen, womit Kirchen und Canzeln ausgezieret
waren, eine Schaͤndlichkeit des Jnnhalts an, die
gegenwaͤrtig an Oertern, wo die wildeſte Unzucht
ihren Sitz hat, anſtoͤßig ſeyn muͤßten. Aber ver-
muthlich war dieſer Mißbrauch unſchaͤdlich, weil es
dieſen Mißgeburten der Kunſt an allem aͤſthetiſchen
Reize fehlte.
Doch brach mitten in dieſer Barbarey die Mor-
genroͤthe eines beſſern Geſchmaks in einigen Zwei-
gen der Kuͤnſte hier und da aus. Dieſes erhellet
aus dem, was uͤber die Geſchichte der Dichtkunſt
und der Baukunſt angemerkt worden. (††) Aber erſt
mit dem ſechszehnten Jahrhunderte erſchien der
helle Tag wieder, und verbreitete ſein Licht uͤber den
ganzen Umfang der ſchoͤnen Kuͤnſte. Schon lange
vorher hatte der Reichthum, den ſich verſchiedene
italiaͤniſche Freyſtaaten durch Handlung erworben,
ſie auf einige Zweige der angenehmen Kuͤnſte auf-
merkſam gemacht. Stuͤke von griechiſchen Werken
der Baukunſt und Bildſchnitzerey wurden aus Grie-
chenland nach Jtalien, beſonders nach Piſa, Flo-
renz und Genua gebracht, und man fieng an die
Schoͤnheit daran zu fuͤhlen, auch hier und da nach-
zuahmen. Aber eine weit wichtigere Wuͤrkung tha-
ten die Werke der griechiſchen Dichtkunſt und Be-
red-
(†)
Jch habe vor einigen Jahren in Hervorden ein
Diploma von Kayſer Heinrich IV. geſehen, auf deſſen Sie-
gel der Kopf dieſes Kayſers ſo ſchoͤn iſt, als wenn er zu den
Zeiten der erſten Caͤſare waͤre geſchnitten worden. Und
an alten Kirchen-Buͤchern aus Carls des Großen und den
nachfolgenden Zeiten findet man bisweilen geſchnittene
Steine, denen es nicht ganz an Schoͤnheit fehlet. Noch
unerwarteter als dieſes war mir eine Nachricht von der
Geſchiklichkeit die ein nordiſches Volk von Slaviſchem
Stamm, die Wenden, die ehemals in Pommern wohnten,
in den zeichnenden Kuͤnſten beſeſſen. Jn einem ſo eben
herausgekommenen Werk (*) finde ich folgendes, das aus
einer alten Lebensbeſchreibung des Heil Otto Biſchoffs von
Bamberg, genommen iſt. „Es waren in Stettin vier
Tempel. Aber einer von dieſen war mit bewundrungs-
wuͤrdiger Kunſt und Zierlichkeit gebaut. Er hatte inwen-
dig ſowol, als auswendig Schnitzwerk, welches an den
Waͤnden hervorragte und Menſchen, Voͤgel und andre
Thiere mit einer ſo genauen Nachahmung der Natur vor-
ſtellte, daß man faſt glauben ſollte, daß ſie athmeten und
lebten.“ Der Geſchlchtſchreiber der dieſes erzaͤhlt, hatte
die Sachen ſelbſt geſehen, und war ein Mann, der den
Kayſerlichen Hof geſehen hatte, folglich kein verweiflicher
Zeuge. (S. 290. und 291. des angezogenen Buches.)
(*) Thun-
mans Un-
te ſuchun-
gen uͤber
die Geſch.
einiger
nordiſchen
Voͤlker.
Berlin,
1772. 8.
(††) S. Baukunſt 1. Th. S. 129. Dichtkunſt S. 261.
Geſchnittene Steine, Bildhauerkunſt.
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