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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ari
Einrichtung der Bühne, noch die Wahrheit und
Entwiklung der Charaktere, war damals in der
Comödie bekannt. Dieses muß man beym Aristo-
phanes nicht suchen. Die Form seiner Comödie ist
noch sehr barbarisch und mehr ein Possenspiel, als
eine Handlung, in welcher sich Begebenheiten, Un-
ternehmungen oder Charaktere, entwiklen. Er
führt zum Theil, nach dem Gebrauch der alten Co-
mödie, würkliche, damals in Athen lebende und
unter den Zuschauern sich befindende, zum Theil
allegorische Personen auf. Der Jnhalt der
Handlung ist allemal etwas aus den damaligen
Begebenheiten der Stadt, und meistentheils po-
litisch. Ausgelassener Muthwillen, Personen von
Ansehen durch zu ziehen; ein unbedingter Vorsatz,
das Volk, es koste, was es wolle, lachen zu machen,
und ihm Fastnachtspossen vorzuspielen, scheinet
damals der Charakter der comischen Bühne gewe-
sen zu seyn.

Diese Fehler der Einrichtung sind also nicht Feh-
ler des Aristophanes, der sich nach der, vielleicht
zum Gesetz gewordenen, Mode seiner Zeit richten
mußte. Aber sein ist der unerschöpfliche und alles
durchdringende Witz, die höchste Gabe zu spotten,
darin ihm weder Lucian, noch unter den Neuern
Swifft, noch irgend jemand, gleich kommt, die
Sprache und der Ausdruk, den er im höchsten Grad
der Vollkommenheit besessen hat. Daher in einem
Sinngedichte, welches dem Plato zugeschrieben wird,
gesagt wird, daß die Gratien sich so, wie er, aus-
drüken würden. Sein ist die riesenmäßige Stärke,
womit er die Demagogen in Athen und ofte das
ganze Volk selbst angegriffen hat. Es wäre viel-
leicht nicht übertrieben, wenn man sagte: daß in
einer einzigen von seinen Comödien, mehr Witz und
Laune ist, als man auf den meisten neuern Bühnen
in einem ganzen Jahr hört. Aber in einem Stük
sind auch mehr Grobheiten und Zoten, als man
itzt auf der schlechtesten Hanswurstbühne duldet.
Man kann diesen Dichter seiner Talente halber
kaum genug loben, und wegen des Mißbrauchs, den
[Spaltenumbruch]

Ari
er bisweilen davon gemacht hat, kaum genug ta-
deln. Es ist ihm nichts ehrwürdig genug, wenn
er in seiner spottenden Laune ist: sein Spott
greift Götter und Menschen an. Mit dem Sokra-
tes geht er, wie mit einem Lotterbuben um; Aeschy-
lus, Sophokles,
und Euripides müssen überall
seine Spöttereyen aushalten.

Man darf sich deswegen nicht wundern, daß
der ehrliche Plutarchus ihn so ernstlich getadelt
hat. (*) Dieser Philosoph, der bey einem guten Ver-(*) S. die
Verglei-
chung des
Aristopha-
nes und
Menander,
in Plu-
tarchs klei-
nen Wer-
ken.

stand ein mit den besten Empfindungen erfülltes
Herz hatte, das man an unserm Dichter ganz ver-
mißt, mußte nothwendig unwillig auf den Mann
seyn, dem alles Gute und Heilige gleichgültig oder
gar verächtlich schien. Wäre dieser große Mann ein
moralischer Mensch gewesen, so würde ihm der er-
ste Ruhm unter allen Dichtern gehören; Man
nehme, sagt ein großer Kunstrichter, (+) aus Ari-
stophanes Werken die Fleken weg, die in einem un-
reinen Herzen ihren Grund haben, so bleibet eine
bewundrungswürdige Fürtreflichkeit übrig.

Man beschuldiget ihn insgemein, daß er durch
seine Comödie, die Wolken genennt, die Verurthei-
lung des Sokrates vorbereitet habe. Aber der Pa-
ter Brumoi hat gezeiget, daß dieses gar nicht wahr-
scheinlich sey. (*)

(*) Thea-
tre des
Grecs T.
III. p. 46. et
suiv.

Es entsteht über die Comödien dieses außer-
ordentlichen Geistes noch ein Zweifel, den meines
Wissens niemand aufgelöst hat. Wie hat ihm
eine so große Schmähsucht gegen die vornehmsten
Männer des Staates, gegen das ganze Volk selbst,
und so gar gegen die Götter, so ungerochen hinge-
hen können? Ohne Zweifel liegt der Grund davon
in der ursprünglichen Einrichtung der alten Comödie,
die allem Ansehen nach aus solchen Schmähungen
und Durchhechlungen der angesehensten Männer
bestanden hat; die also eben so wenig straf bar wa-
ren, als die Schimpfreden, welche die römischen
Soldaten in den Triumphliedern gegen ihre Feld-
herren sich erlaubten. Dieses Schimpfen mag in
der ursprünglichen Form der griechischen Comödie,

so
(+) Gravina della ragion poetica L. I. c. XX. Told
dall' opere sue questi vizi, che nascon da mente contamina-
ta, rimangono della sua poesia virtu maravigliose: quali
sono l' invenzioni cosi varie, e naturali, i costumi cosi
propri, che Platone stimo questo poeta degno ritratto della
republica d' Atene, onde lo propose a Dionisio, che di
[Spaltenumbruch] quel governo era curioso; gli aculei cosi penetranti, la
felicita di tirare al suo proposito, senza niuna apparenza
di' sorzo, le cose piu lontane; i colpi tanto inaspettati e
convenienti; la fecondita, pienezza, e quel, che a nostri
orecchi, non puo tutto penetrare, il sale attico, di cui
l'altre lingue sono incapaci d'imitarne l'espressione.
Erster Theil. L

[Spaltenumbruch]

Ari
Einrichtung der Buͤhne, noch die Wahrheit und
Entwiklung der Charaktere, war damals in der
Comoͤdie bekannt. Dieſes muß man beym Ariſto-
phanes nicht ſuchen. Die Form ſeiner Comoͤdie iſt
noch ſehr barbariſch und mehr ein Poſſenſpiel, als
eine Handlung, in welcher ſich Begebenheiten, Un-
ternehmungen oder Charaktere, entwiklen. Er
fuͤhrt zum Theil, nach dem Gebrauch der alten Co-
moͤdie, wuͤrkliche, damals in Athen lebende und
unter den Zuſchauern ſich befindende, zum Theil
allegoriſche Perſonen auf. Der Jnhalt der
Handlung iſt allemal etwas aus den damaligen
Begebenheiten der Stadt, und meiſtentheils po-
litiſch. Ausgelaſſener Muthwillen, Perſonen von
Anſehen durch zu ziehen; ein unbedingter Vorſatz,
das Volk, es koſte, was es wolle, lachen zu machen,
und ihm Faſtnachtspoſſen vorzuſpielen, ſcheinet
damals der Charakter der comiſchen Buͤhne gewe-
ſen zu ſeyn.

Dieſe Fehler der Einrichtung ſind alſo nicht Feh-
ler des Ariſtophanes, der ſich nach der, vielleicht
zum Geſetz gewordenen, Mode ſeiner Zeit richten
mußte. Aber ſein iſt der unerſchoͤpfliche und alles
durchdringende Witz, die hoͤchſte Gabe zu ſpotten,
darin ihm weder Lucian, noch unter den Neuern
Swifft, noch irgend jemand, gleich kommt, die
Sprache und der Ausdruk, den er im hoͤchſten Grad
der Vollkommenheit beſeſſen hat. Daher in einem
Sinngedichte, welches dem Plato zugeſchrieben wird,
geſagt wird, daß die Gratien ſich ſo, wie er, aus-
druͤken wuͤrden. Sein iſt die rieſenmaͤßige Staͤrke,
womit er die Demagogen in Athen und ofte das
ganze Volk ſelbſt angegriffen hat. Es waͤre viel-
leicht nicht uͤbertrieben, wenn man ſagte: daß in
einer einzigen von ſeinen Comoͤdien, mehr Witz und
Laune iſt, als man auf den meiſten neuern Buͤhnen
in einem ganzen Jahr hoͤrt. Aber in einem Stuͤk
ſind auch mehr Grobheiten und Zoten, als man
itzt auf der ſchlechteſten Hanswurſtbuͤhne duldet.
Man kann dieſen Dichter ſeiner Talente halber
kaum genug loben, und wegen des Mißbrauchs, den
[Spaltenumbruch]

Ari
er bisweilen davon gemacht hat, kaum genug ta-
deln. Es iſt ihm nichts ehrwuͤrdig genug, wenn
er in ſeiner ſpottenden Laune iſt: ſein Spott
greift Goͤtter und Menſchen an. Mit dem Sokra-
tes geht er, wie mit einem Lotterbuben um; Aeſchy-
lus, Sophokles,
und Euripides muͤſſen uͤberall
ſeine Spoͤttereyen aushalten.

Man darf ſich deswegen nicht wundern, daß
der ehrliche Plutarchus ihn ſo ernſtlich getadelt
hat. (*) Dieſer Philoſoph, der bey einem guten Ver-(*) S. die
Verglei-
chung des
Ariſtopha-
nes und
Menander,
in Plu-
tarchs klei-
nen Wer-
ken.

ſtand ein mit den beſten Empfindungen erfuͤlltes
Herz hatte, das man an unſerm Dichter ganz ver-
mißt, mußte nothwendig unwillig auf den Mann
ſeyn, dem alles Gute und Heilige gleichguͤltig oder
gar veraͤchtlich ſchien. Waͤre dieſer große Mann ein
moraliſcher Menſch geweſen, ſo wuͤrde ihm der er-
ſte Ruhm unter allen Dichtern gehoͤren; Man
nehme, ſagt ein großer Kunſtrichter, (†) aus Ari-
ſtophanes Werken die Fleken weg, die in einem un-
reinen Herzen ihren Grund haben, ſo bleibet eine
bewundrungswuͤrdige Fuͤrtreflichkeit uͤbrig.

Man beſchuldiget ihn insgemein, daß er durch
ſeine Comoͤdie, die Wolken genennt, die Verurthei-
lung des Sokrates vorbereitet habe. Aber der Pa-
ter Brumoi hat gezeiget, daß dieſes gar nicht wahr-
ſcheinlich ſey. (*)

(*) Thea-
tre des
Grecs T.
III. p. 46. et
ſuiv.

Es entſteht uͤber die Comoͤdien dieſes außer-
ordentlichen Geiſtes noch ein Zweifel, den meines
Wiſſens niemand aufgeloͤſt hat. Wie hat ihm
eine ſo große Schmaͤhſucht gegen die vornehmſten
Maͤnner des Staates, gegen das ganze Volk ſelbſt,
und ſo gar gegen die Goͤtter, ſo ungerochen hinge-
hen koͤnnen? Ohne Zweifel liegt der Grund davon
in der urſpruͤnglichen Einrichtung der alten Comoͤdie,
die allem Anſehen nach aus ſolchen Schmaͤhungen
und Durchhechlungen der angeſehenſten Maͤnner
beſtanden hat; die alſo eben ſo wenig ſtraf bar wa-
ren, als die Schimpfreden, welche die roͤmiſchen
Soldaten in den Triumphliedern gegen ihre Feld-
herren ſich erlaubten. Dieſes Schimpfen mag in
der urſpruͤnglichen Form der griechiſchen Comoͤdie,

ſo
(†) Gravina della ragion poetica L. I. c. XX. Told
dall’ opere ſue queſti vizi, che naſcon da mente contamina-
ta, rimangono della ſua poeſia virtu maraviglioſe: quali
ſono l’ invenzioni così varie, e naturali, i coſtumi così
propri, che Platone ſtimò queſto poeta degno ritratto della
republica d’ Atene, onde lo propoſe a Dioniſio, che di
[Spaltenumbruch] quel governo era curioſo; gli aculei così penetranti, la
felicità di tirare al ſuo propoſito, ſenza niuna apparenza
di’ ſorzo, le coſe più lontane; i colpi tanto inaspettati e
convenienti; la fecondita, pienezza, e quel, che a noſtri
orecchi, non può tutto penetrare, il ſale attico, di cui
l’altre lingue ſono incapaci d’imitarne l’espreſſione.
Erſter Theil. L
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[81/0093] Ari Ari Einrichtung der Buͤhne, noch die Wahrheit und Entwiklung der Charaktere, war damals in der Comoͤdie bekannt. Dieſes muß man beym Ariſto- phanes nicht ſuchen. Die Form ſeiner Comoͤdie iſt noch ſehr barbariſch und mehr ein Poſſenſpiel, als eine Handlung, in welcher ſich Begebenheiten, Un- ternehmungen oder Charaktere, entwiklen. Er fuͤhrt zum Theil, nach dem Gebrauch der alten Co- moͤdie, wuͤrkliche, damals in Athen lebende und unter den Zuſchauern ſich befindende, zum Theil allegoriſche Perſonen auf. Der Jnhalt der Handlung iſt allemal etwas aus den damaligen Begebenheiten der Stadt, und meiſtentheils po- litiſch. Ausgelaſſener Muthwillen, Perſonen von Anſehen durch zu ziehen; ein unbedingter Vorſatz, das Volk, es koſte, was es wolle, lachen zu machen, und ihm Faſtnachtspoſſen vorzuſpielen, ſcheinet damals der Charakter der comiſchen Buͤhne gewe- ſen zu ſeyn. Dieſe Fehler der Einrichtung ſind alſo nicht Feh- ler des Ariſtophanes, der ſich nach der, vielleicht zum Geſetz gewordenen, Mode ſeiner Zeit richten mußte. Aber ſein iſt der unerſchoͤpfliche und alles durchdringende Witz, die hoͤchſte Gabe zu ſpotten, darin ihm weder Lucian, noch unter den Neuern Swifft, noch irgend jemand, gleich kommt, die Sprache und der Ausdruk, den er im hoͤchſten Grad der Vollkommenheit beſeſſen hat. Daher in einem Sinngedichte, welches dem Plato zugeſchrieben wird, geſagt wird, daß die Gratien ſich ſo, wie er, aus- druͤken wuͤrden. Sein iſt die rieſenmaͤßige Staͤrke, womit er die Demagogen in Athen und ofte das ganze Volk ſelbſt angegriffen hat. Es waͤre viel- leicht nicht uͤbertrieben, wenn man ſagte: daß in einer einzigen von ſeinen Comoͤdien, mehr Witz und Laune iſt, als man auf den meiſten neuern Buͤhnen in einem ganzen Jahr hoͤrt. Aber in einem Stuͤk ſind auch mehr Grobheiten und Zoten, als man itzt auf der ſchlechteſten Hanswurſtbuͤhne duldet. Man kann dieſen Dichter ſeiner Talente halber kaum genug loben, und wegen des Mißbrauchs, den er bisweilen davon gemacht hat, kaum genug ta- deln. Es iſt ihm nichts ehrwuͤrdig genug, wenn er in ſeiner ſpottenden Laune iſt: ſein Spott greift Goͤtter und Menſchen an. Mit dem Sokra- tes geht er, wie mit einem Lotterbuben um; Aeſchy- lus, Sophokles, und Euripides muͤſſen uͤberall ſeine Spoͤttereyen aushalten. Man darf ſich deswegen nicht wundern, daß der ehrliche Plutarchus ihn ſo ernſtlich getadelt hat. (*) Dieſer Philoſoph, der bey einem guten Ver- ſtand ein mit den beſten Empfindungen erfuͤlltes Herz hatte, das man an unſerm Dichter ganz ver- mißt, mußte nothwendig unwillig auf den Mann ſeyn, dem alles Gute und Heilige gleichguͤltig oder gar veraͤchtlich ſchien. Waͤre dieſer große Mann ein moraliſcher Menſch geweſen, ſo wuͤrde ihm der er- ſte Ruhm unter allen Dichtern gehoͤren; Man nehme, ſagt ein großer Kunſtrichter, (†) aus Ari- ſtophanes Werken die Fleken weg, die in einem un- reinen Herzen ihren Grund haben, ſo bleibet eine bewundrungswuͤrdige Fuͤrtreflichkeit uͤbrig. (*) S. die Verglei- chung des Ariſtopha- nes und Menander, in Plu- tarchs klei- nen Wer- ken. Man beſchuldiget ihn insgemein, daß er durch ſeine Comoͤdie, die Wolken genennt, die Verurthei- lung des Sokrates vorbereitet habe. Aber der Pa- ter Brumoi hat gezeiget, daß dieſes gar nicht wahr- ſcheinlich ſey. (*) Es entſteht uͤber die Comoͤdien dieſes außer- ordentlichen Geiſtes noch ein Zweifel, den meines Wiſſens niemand aufgeloͤſt hat. Wie hat ihm eine ſo große Schmaͤhſucht gegen die vornehmſten Maͤnner des Staates, gegen das ganze Volk ſelbſt, und ſo gar gegen die Goͤtter, ſo ungerochen hinge- hen koͤnnen? Ohne Zweifel liegt der Grund davon in der urſpruͤnglichen Einrichtung der alten Comoͤdie, die allem Anſehen nach aus ſolchen Schmaͤhungen und Durchhechlungen der angeſehenſten Maͤnner beſtanden hat; die alſo eben ſo wenig ſtraf bar wa- ren, als die Schimpfreden, welche die roͤmiſchen Soldaten in den Triumphliedern gegen ihre Feld- herren ſich erlaubten. Dieſes Schimpfen mag in der urſpruͤnglichen Form der griechiſchen Comoͤdie, ſo (†) Gravina della ragion poetica L. I. c. XX. Told dall’ opere ſue queſti vizi, che naſcon da mente contamina- ta, rimangono della ſua poeſia virtu maraviglioſe: quali ſono l’ invenzioni così varie, e naturali, i coſtumi così propri, che Platone ſtimò queſto poeta degno ritratto della republica d’ Atene, onde lo propoſe a Dioniſio, che di quel governo era curioſo; gli aculei così penetranti, la felicità di tirare al ſuo propoſito, ſenza niuna apparenza di’ ſorzo, le coſe più lontane; i colpi tanto inaspettati e convenienti; la fecondita, pienezza, e quel, che a noſtri orecchi, non può tutto penetrare, il ſale attico, di cui l’altre lingue ſono incapaci d’imitarne l’espreſſione. Erſter Theil. L

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/93>, abgerufen am 26.04.2024.