Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Ari Von dem besondern Studio des Sängers zu ei- Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar- Deswegen wende er die ernsthafteste Bemühung Ariette. Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil besteht. Ari sehr versäumt, da man durchgehends nur großeArien macht. Eine Abwechslung von Arien und Arietten wäre um so viel besser, da es gar oft wi- der den guten Geschmak streitet, daß geringere oder bald vorüber gehende Empfindungen, in eben der Ausdehnung sollen vorgestellt werden, als die, welche die Hauptempfindungen des Drama ausmachen. Arioso. Ein sehr einfacher Gesang, der noch als ein sich Aristophanes. Ein griechischer Comödiendichter. Von seinen Damals scheiner die Comödie noch keine or- Einrich-
[Spaltenumbruch]
Ari Von dem beſondern Studio des Saͤngers zu ei- Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar- Deswegen wende er die ernſthafteſte Bemuͤhung Ariette. Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil beſteht. Ari ſehr verſaͤumt, da man durchgehends nur großeArien macht. Eine Abwechslung von Arien und Arietten waͤre um ſo viel beſſer, da es gar oft wi- der den guten Geſchmak ſtreitet, daß geringere oder bald voruͤber gehende Empfindungen, in eben der Ausdehnung ſollen vorgeſtellt werden, als die, welche die Hauptempfindungen des Drama ausmachen. Arioſo. Ein ſehr einfacher Geſang, der noch als ein ſich Ariſtophanes. Ein griechiſcher Comoͤdiendichter. Von ſeinen Damals ſcheiner die Comoͤdie noch keine or- Einrich-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0092" n="80"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Ari</hi> </fw><lb/> <p>Von dem beſondern Studio des Saͤngers zu ei-<lb/> nem vollkommenen Vortrag der Arie hat <hi rendition="#fr">Toſi</hi> eine<lb/><note place="left">(*) S. deſ-<lb/> ſen Anlei-<lb/> tung zur<lb/> Singkunſt,<lb/> nach Herrn<lb/> Aur cola<lb/> Ueberſe-<lb/> tzung S.<lb/> 172. u. ſ. f.</note>weitlaͤuftige Abhandlung gegeben. (*) Wir be-<lb/> gnuͤgen uns, dem Saͤnger folgende Anmerkungen<lb/> zur ernſthafteſten Ueberlegung zu empfehlen.</p><lb/> <p>Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar-<lb/> um ſingt, um den Zuhoͤrer fuͤr ſeine Geſchiklichkeit<lb/> einzunehmen, ſondern ihm das Bild eines von<lb/> Empfindung durchdrungenen Menſchen auf das<lb/> vollkommenſte darzuſtellen. Je mehr es ihm ge-<lb/> lingt, den Zuhoͤrer vergeſſen zu machen, daß er nur<lb/> einen Schauſpieler oder Saͤnger vor ſich hat, je<lb/> groͤßer wird ſein Ruhm werden. Die verſtaͤndigern<lb/> Zuhoͤrer wollen nicht ſeine Kehle, ſondern ſein Herz<lb/> bewundern. So bald ſie merken, daß er ſie von<lb/> der Sache ſelbſt abfuͤhren, und ihnen die Bewun-<lb/> drung ſeiner Kunſt abzwingen will, ſo werden ſie<lb/> froſtig.</p><lb/> <p>Deswegen wende er die ernſthafteſte Bemuͤhung<lb/> an, den wahren Charakter der Arie ganz zu faſſen,<lb/> jeden Gedanken des Dichters und Tonſetzers auf<lb/> das ſicherſte zu ergreifen; dieſem zufolge jede Sylbe<lb/> und jeden Ton in ſeinem wahren Lichte darzuſtellen.<lb/> Hat er uͤberdem die Geſchiklichkeit, durch ſelbſt hin-<lb/> zu geſetzte Toͤne den Ausdruk zu verſtaͤrken, ſo brin-<lb/> ge er ſie an, aber nicht eher, bis er gewiß iſt, daß ſie<lb/> dieſe Wuͤrkung haben. Kann er dieſes nicht, ſo<lb/> halte er ſich lediglich an dem, was ihm vorgeſchrie-<lb/> ben iſt. Er hat noch genug an der beſten Wen-<lb/> dung der ihm vorgezeichneten Toͤne zu ſtudiren.<lb/> Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt,<lb/> iſt mehr werth, als eine ganze Reihe kuͤnſtlicher<lb/> Laͤufe, die nichts ſagen, als daß ſie ſchweer zu<lb/> machen ſind.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Ariette.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>ine kleine Arie, die nur aus einem Theil beſteht.<lb/> Der Dichter bringt ſie an die Stellen, wo die Hand-<lb/> lung einen gemaͤßigten Grad der Gemuͤthsbewegung<lb/> hervor bringt, die eben nicht lang anhalten, noch<lb/> einen ſehr tiefen Eindruk machen ſoll. Der Ton-<lb/> ſetzer folget ſeinem Beyſpiel. Er dehnet den Aus-<lb/> druk weniger aus, als in der Arie; er zergliedert<lb/> die Empfindungen nicht, und laͤßt den Ausdruk<lb/> etwas ſchnell vor uns voruͤber fahren. Dieſes<lb/> ausgenommen, wendet er ſonſt wegen der Richtig-<lb/> keit des Ausdruks eben dieſelbe Sorgfalt an, als<lb/> auf die Arie. Die Ariette wird in den Opern zu<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ari</hi></fw><lb/> ſehr verſaͤumt, da man durchgehends nur große<lb/> Arien macht. Eine Abwechslung von Arien und<lb/> Arietten waͤre um ſo viel beſſer, da es gar oft wi-<lb/> der den guten Geſchmak ſtreitet, daß geringere oder<lb/> bald voruͤber gehende Empfindungen, in eben der<lb/> Ausdehnung ſollen vorgeſtellt werden, als die, welche<lb/> die Hauptempfindungen des Drama ausmachen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Arioſo.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>in ſehr einfacher Geſang, der noch als ein ſich<lb/> auszeichnender |Theil der Recitatives kann angeſe-<lb/> hen werden. 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Zu einer ſtillen<lb/> feyerlichen Empfindung ſcheint das Arioſo weit tuͤch-<lb/> tiger zu ſeyn, als alle andere Geſangarten, und<lb/> eine furchtſame Aeußerung ſeiner Geſinnungen<lb/> kann nicht| wol anders, als durch daſſelbe ausge-<lb/> druͤkt werden. Ueberhaupt dienet es zu allen ſtil-<lb/> len und wenig wortreichen Empfindungen. So<lb/> wie der Tonſetzer das Arioſo mit viel Einfalt ſetzet,<lb/> ſo muß auch der Saͤnger ſich in dem Vortrag<lb/> der aͤußerſten Einfalt mit dem beſten Nachdruk<lb/> verbunden, befleißen.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Ariſtophanes.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>in griechiſcher Comoͤdiendichter. Von ſeinen<lb/> Lebensumſtaͤnden weiß man wenig. Das athenien-<lb/> ſiſche Buͤrgerrecht wurde ihm ſtreitig gemacht, aber<lb/> er behauptete es. Zu ſeiner Zeit beſaß Athen die<lb/> groͤßten Maͤnner; denn er war ein Zeitgenoſſe des<lb/> Sokrates und Perikles.</p><lb/> <p>Damals ſcheiner die Comoͤdie noch keine or-<lb/> dentliche Geſtalt gehabt zu haben. Weder die<lb/> Anordnung der Handluug, noch eine ordentliche<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Einrich-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0092]
Ari
Ari
Von dem beſondern Studio des Saͤngers zu ei-
nem vollkommenen Vortrag der Arie hat Toſi eine
weitlaͤuftige Abhandlung gegeben. (*) Wir be-
gnuͤgen uns, dem Saͤnger folgende Anmerkungen
zur ernſthafteſten Ueberlegung zu empfehlen.
(*) S. deſ-
ſen Anlei-
tung zur
Singkunſt,
nach Herrn
Aur cola
Ueberſe-
tzung S.
172. u. ſ. f.
Vor allen Dingen bedenke er, daß er nicht dar-
um ſingt, um den Zuhoͤrer fuͤr ſeine Geſchiklichkeit
einzunehmen, ſondern ihm das Bild eines von
Empfindung durchdrungenen Menſchen auf das
vollkommenſte darzuſtellen. Je mehr es ihm ge-
lingt, den Zuhoͤrer vergeſſen zu machen, daß er nur
einen Schauſpieler oder Saͤnger vor ſich hat, je
groͤßer wird ſein Ruhm werden. Die verſtaͤndigern
Zuhoͤrer wollen nicht ſeine Kehle, ſondern ſein Herz
bewundern. So bald ſie merken, daß er ſie von
der Sache ſelbſt abfuͤhren, und ihnen die Bewun-
drung ſeiner Kunſt abzwingen will, ſo werden ſie
froſtig.
Deswegen wende er die ernſthafteſte Bemuͤhung
an, den wahren Charakter der Arie ganz zu faſſen,
jeden Gedanken des Dichters und Tonſetzers auf
das ſicherſte zu ergreifen; dieſem zufolge jede Sylbe
und jeden Ton in ſeinem wahren Lichte darzuſtellen.
Hat er uͤberdem die Geſchiklichkeit, durch ſelbſt hin-
zu geſetzte Toͤne den Ausdruk zu verſtaͤrken, ſo brin-
ge er ſie an, aber nicht eher, bis er gewiß iſt, daß ſie
dieſe Wuͤrkung haben. Kann er dieſes nicht, ſo
halte er ſich lediglich an dem, was ihm vorgeſchrie-
ben iſt. Er hat noch genug an der beſten Wen-
dung der ihm vorgezeichneten Toͤne zu ſtudiren.
Ein einziger einfacher Ton, der in die Seele dringt,
iſt mehr werth, als eine ganze Reihe kuͤnſtlicher
Laͤufe, die nichts ſagen, als daß ſie ſchweer zu
machen ſind.
Ariette.
Eine kleine Arie, die nur aus einem Theil beſteht.
Der Dichter bringt ſie an die Stellen, wo die Hand-
lung einen gemaͤßigten Grad der Gemuͤthsbewegung
hervor bringt, die eben nicht lang anhalten, noch
einen ſehr tiefen Eindruk machen ſoll. Der Ton-
ſetzer folget ſeinem Beyſpiel. Er dehnet den Aus-
druk weniger aus, als in der Arie; er zergliedert
die Empfindungen nicht, und laͤßt den Ausdruk
etwas ſchnell vor uns voruͤber fahren. Dieſes
ausgenommen, wendet er ſonſt wegen der Richtig-
keit des Ausdruks eben dieſelbe Sorgfalt an, als
auf die Arie. Die Ariette wird in den Opern zu
ſehr verſaͤumt, da man durchgehends nur große
Arien macht. Eine Abwechslung von Arien und
Arietten waͤre um ſo viel beſſer, da es gar oft wi-
der den guten Geſchmak ſtreitet, daß geringere oder
bald voruͤber gehende Empfindungen, in eben der
Ausdehnung ſollen vorgeſtellt werden, als die, welche
die Hauptempfindungen des Drama ausmachen.
Arioſo.
Ein ſehr einfacher Geſang, der noch als ein ſich
auszeichnender |Theil der Recitatives kann angeſe-
hen werden. Wenn naͤmlich in dem Recitativ et-
was vorkoͤmmt, das in einer mehr abgemeſſenen
Bewegung ſoll vorgetragen werden, als das uͤbri-
ge; ein Wunſch, ein lehrreicher Spruch, ein ruͤh-
rendes Gemaͤhlde, dabey man ſich aber nicht lange
aufzuhalten hat; ſo veraͤndert der Tonſetzer den
ungemeßnen Gang des Recitatives, und giebt dem
Geſang einen deutlich bemerkten Takt. Die Worte
werden ſelten oder gar nicht wiederholt; es kommen
darin keine Laͤufe, keine Schlußcadenzen, keine
Zergliederungen der Ausdruͤcke vor. Mithin iſt
das Arioſo eine hoͤchſt einfache Arie. Es thut ſehr
gute Wuͤrkung, indem es das, was ein langes Re-
citativ zu langweiliges haben koͤnnte, angenehm
unterbricht, und mit dem ausgearbeiteten der Arie
einen gefaͤlligen Contraſt macht. Zu einer ſtillen
feyerlichen Empfindung ſcheint das Arioſo weit tuͤch-
tiger zu ſeyn, als alle andere Geſangarten, und
eine furchtſame Aeußerung ſeiner Geſinnungen
kann nicht| wol anders, als durch daſſelbe ausge-
druͤkt werden. Ueberhaupt dienet es zu allen ſtil-
len und wenig wortreichen Empfindungen. So
wie der Tonſetzer das Arioſo mit viel Einfalt ſetzet,
ſo muß auch der Saͤnger ſich in dem Vortrag
der aͤußerſten Einfalt mit dem beſten Nachdruk
verbunden, befleißen.
Ariſtophanes.
Ein griechiſcher Comoͤdiendichter. Von ſeinen
Lebensumſtaͤnden weiß man wenig. Das athenien-
ſiſche Buͤrgerrecht wurde ihm ſtreitig gemacht, aber
er behauptete es. Zu ſeiner Zeit beſaß Athen die
groͤßten Maͤnner; denn er war ein Zeitgenoſſe des
Sokrates und Perikles.
Damals ſcheiner die Comoͤdie noch keine or-
dentliche Geſtalt gehabt zu haben. Weder die
Anordnung der Handluug, noch eine ordentliche
Einrich-
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