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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ant
-- Vos exemplaria graeca
Nocturna versate manu, versate diurna.

Von Statuen sind in Rom und Florenz die be-
sten. Von geschnittenen Steinen finden sich in al-
len Ländern von Europa wichtige Sammlungen,
so wie von Münzen. Von Gebäuden sind in
Griechenland und Jtalien die wichtigsten Ueber-
bleibsel. Wer das Glük nicht hat, die Originale
selbst zu sehen, der muß sie wenigstens in Abgüssen
und Zeichnungen studiren, wie wol diese letztern
insgemein wenig von der Schönheit und dem größen
der Originale haben. Die Lippertsche Sammlung
der Abgüsse geschnittener Steine ist das wichtigste,
was jeder in dieser Art haben kann. Und es ist
sehr zu wünschen, daß jemand zum besten der Kunst
solche Abdrüke der besten Antiken Münzen machte.
Die Antiken Gebäude kann man aus des-Godets
und des Herrn le Roi Zeichnungen; die Statuen
aus Bischops, van Dalens, Periers und Preißlers
Sammlungen derselben kennen lernen. Von ge-
schnittenen Steinen hat Herr Mariette die größte
Sammlung herausgegeben, und die fürnehmsten
Steine, auf denen die Namen der Künstler einge-
graben sind, hat Herr Stosch durch seine Beschrei-
bung und Kupfer bekannt gemacht. Die Antiken
Gemählde kann man aus den Kupfern von den im
Herkulano gefundenen Gemählden und aus der
Sammlung kennen lernen, die der Herr Graf von
Caylus herausgegeben hat.

Die Werke der Alten überhaupt find in sich sehr
unterschieden an Güte und Bedeutung, (Ausdruk)
aber nicht an Geschmak. Es sind drey Haupt-
classen der alten Denkmale: nämlich in allen Sta-
tuen, so uns übrig geblieben, sind drey unter-
schiedene Grade der Schönheit. Die geringsten
unter diesen haben allemal den Geschmak der
Schönheit, aber nur in den unentbehrlichen Thei-
len; die vom andern Grade, haben die Schönheit
in den nützlichen Theilen; und die vom höchsten
Grade haben sie von dem unentbehrlichen an, bis
auf das überflüßige, und sind deßwegen vollkom-
men schön -- die schönsten vom höchsten Grade
sind der Laocoon und der Torso vom Belvedere;
die schönsten vom andern Grade der Apollo und der
Gladiator vom Borghese; vom dritten aber sind
(*) Gedan-
ken über
die Schön-
heit und
unzählbare. (*)

Das Studium der Antiken wird nicht nur von
allen großen Kennern der neuern Zeit, für den
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Ant
nothwendigsten Theil der Bemühungen eines Künst-über den
Geschmak
in der
Mahlerey,
(von
Mengs)
S. 79. 80.

lers gehalten; die größten Künstler selbst, Raphael
und Michelangelo sind dadurch zu der Größe ge-
kommen, die wir an ihnen bewundern. Dieses
macht alles, was zur Empfehlung dieses Stu-
diums noch könnte gesagt werden, überflüßig.
Diejenigen, welche über den vorzüglichen Werth
der guten Antiken noch einigen Zweifel erweken
möchten, sind itzt so durchgehends überstimmt,
daß die Nothwendigkeit dieselben zu studiren, um
den wahren Geschmak des Schönen zu bekommen,
als ein Grundsatz anzusehen ist.

Aber auch dieses Studium kann seichten Köpfen
nichts helfen. Es kömmt hier nicht auf die Um-
risse, sondern auf den Geist an, der im Antiken
liegt. Diesen zu entdeken, muß man sich vor
allen Dingen bemühen. Wessen Geist nach öfte-
rer Betrachtung der besten Antiken, nicht in Ent-
zükung geräth; wer nicht in dem sichtbaren dersel-
ben unsichtbare Vollkommenheit fühlt, der lege die
Reißfeder weg; ihm hilft das Antike nicht.

Man kann freylich zugeben, daß so wol von
alten als neuen Kennern manches, was sie von der
Fürtreflichkeit des Antiken sagen, übertrieben sey.
Es ist zu fühlen, daß nicht alles, was Plinius von
dem Paris des Euphranors sagt, wahr seyn kön-
ne, (*) und man braucht eben nicht mit Webb gar(*) S.
die im Art.
Allegorie
angeführte
Stelle hie-
von.

alles in den Beschreibungen der Alten buchstäblich
zu nehmen. (*) Es bleibt allemal an den noch
itzt vorhandenen Werken genug für unsre Bewun-
drung übrig.

(*) S.
An Inquiry
into the
Beauties
of Pain-
ting.

Da voraus gesetzt werden kann, daß Winkel-
manns Schriften, darin alles, was hieher gehör-
te, enthalten ist, sich in jedes Künstlers und Ken-
ners Händen befinden; so kann alles übrige, was
hievon zu sagen wäre, übergangen werden.

Antiphonien.
(Musik.)

So nennte man ehedem in der Kirchenmusik die
Gesänge, durch welche das Volk oder die Gemeine
dem Priester, oder ein Theil des Chors dem andern
antwortete, wie dieses bisweilen noch itzt bey dem
römischcatholischen Gottesdienst geschieht. Sie sol-
len, nach dem Berichte des Sokrates, schon von
dem heiligen Jgnatius, einem apostolischen Kirchen-
vater, eingeführt worden seyn. Daher ist es

denn,
K 2
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Ant
Vos exemplaria graeca
Nocturna verſate manu, verſate diurna.

Von Statuen ſind in Rom und Florenz die be-
ſten. Von geſchnittenen Steinen finden ſich in al-
len Laͤndern von Europa wichtige Sammlungen,
ſo wie von Muͤnzen. Von Gebaͤuden ſind in
Griechenland und Jtalien die wichtigſten Ueber-
bleibſel. Wer das Gluͤk nicht hat, die Originale
ſelbſt zu ſehen, der muß ſie wenigſtens in Abguͤſſen
und Zeichnungen ſtudiren, wie wol dieſe letztern
insgemein wenig von der Schoͤnheit und dem groͤßen
der Originale haben. Die Lippertſche Sammlung
der Abguͤſſe geſchnittener Steine iſt das wichtigſte,
was jeder in dieſer Art haben kann. Und es iſt
ſehr zu wuͤnſchen, daß jemand zum beſten der Kunſt
ſolche Abdruͤke der beſten Antiken Muͤnzen machte.
Die Antiken Gebaͤude kann man aus des-Godets
und des Herrn le Roi Zeichnungen; die Statuen
aus Biſchops, van Dalens, Periers und Preißlers
Sammlungen derſelben kennen lernen. Von ge-
ſchnittenen Steinen hat Herr Mariette die groͤßte
Sammlung herausgegeben, und die fuͤrnehmſten
Steine, auf denen die Namen der Kuͤnſtler einge-
graben ſind, hat Herr Stoſch durch ſeine Beſchrei-
bung und Kupfer bekannt gemacht. Die Antiken
Gemaͤhlde kann man aus den Kupfern von den im
Herkulano gefundenen Gemaͤhlden und aus der
Sammlung kennen lernen, die der Herr Graf von
Caylus herausgegeben hat.

Die Werke der Alten uͤberhaupt find in ſich ſehr
unterſchieden an Guͤte und Bedeutung, (Ausdruk)
aber nicht an Geſchmak. Es ſind drey Haupt-
claſſen der alten Denkmale: naͤmlich in allen Sta-
tuen, ſo uns uͤbrig geblieben, ſind drey unter-
ſchiedene Grade der Schoͤnheit. Die geringſten
unter dieſen haben allemal den Geſchmak der
Schoͤnheit, aber nur in den unentbehrlichen Thei-
len; die vom andern Grade, haben die Schoͤnheit
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Grade haben ſie von dem unentbehrlichen an, bis
auf das uͤberfluͤßige, und ſind deßwegen vollkom-
men ſchoͤn — die ſchoͤnſten vom hoͤchſten Grade
ſind der Laocoon und der Torſo vom Belvedere;
die ſchoͤnſten vom andern Grade der Apollo und der
Gladiator vom Borgheſe; vom dritten aber ſind
(*) Gedan-
ken uͤber
die Schoͤn-
heit und
unzaͤhlbare. (*)

Das Studium der Antiken wird nicht nur von
allen großen Kennern der neuern Zeit, fuͤr den
[Spaltenumbruch]

Ant
nothwendigſten Theil der Bemuͤhungen eines Kuͤnſt-uͤber den
Geſchmak
in der
Mahlerey,
(von
Mengs)
S. 79. 80.

lers gehalten; die groͤßten Kuͤnſtler ſelbſt, Raphael
und Michelangelo ſind dadurch zu der Groͤße ge-
kommen, die wir an ihnen bewundern. Dieſes
macht alles, was zur Empfehlung dieſes Stu-
diums noch koͤnnte geſagt werden, uͤberfluͤßig.
Diejenigen, welche uͤber den vorzuͤglichen Werth
der guten Antiken noch einigen Zweifel erweken
moͤchten, ſind itzt ſo durchgehends uͤberſtimmt,
daß die Nothwendigkeit dieſelben zu ſtudiren, um
den wahren Geſchmak des Schoͤnen zu bekommen,
als ein Grundſatz anzuſehen iſt.

Aber auch dieſes Studium kann ſeichten Koͤpfen
nichts helfen. Es koͤmmt hier nicht auf die Um-
riſſe, ſondern auf den Geiſt an, der im Antiken
liegt. Dieſen zu entdeken, muß man ſich vor
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rer Betrachtung der beſten Antiken, nicht in Ent-
zuͤkung geraͤth; wer nicht in dem ſichtbaren derſel-
ben unſichtbare Vollkommenheit fuͤhlt, der lege die
Reißfeder weg; ihm hilft das Antike nicht.

Man kann freylich zugeben, daß ſo wol von
alten als neuen Kennern manches, was ſie von der
Fuͤrtreflichkeit des Antiken ſagen, uͤbertrieben ſey.
Es iſt zu fuͤhlen, daß nicht alles, was Plinius von
dem Paris des Euphranors ſagt, wahr ſeyn koͤn-
ne, (*) und man braucht eben nicht mit Webb gar(*) S.
die im Art.
Allegorie
angefuͤhrte
Stelle hie-
von.

alles in den Beſchreibungen der Alten buchſtaͤblich
zu nehmen. (*) Es bleibt allemal an den noch
itzt vorhandenen Werken genug fuͤr unſre Bewun-
drung uͤbrig.

(*) S.
An Inquiry
into the
Beauties
of Pain-
ting.

Da voraus geſetzt werden kann, daß Winkel-
manns Schriften, darin alles, was hieher gehoͤr-
te, enthalten iſt, ſich in jedes Kuͤnſtlers und Ken-
ners Haͤnden befinden; ſo kann alles uͤbrige, was
hievon zu ſagen waͤre, uͤbergangen werden.

Antiphonien.
(Muſik.)

So nennte man ehedem in der Kirchenmuſik die
Geſaͤnge, durch welche das Volk oder die Gemeine
dem Prieſter, oder ein Theil des Chors dem andern
antwortete, wie dieſes bisweilen noch itzt bey dem
roͤmiſchcatholiſchen Gottesdienſt geſchieht. Sie ſol-
len, nach dem Berichte des Sokrates, ſchon von
dem heiligen Jgnatius, einem apoſtoliſchen Kirchen-
vater, eingefuͤhrt worden ſeyn. Daher iſt es

denn,
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[75/0087] Ant Ant — Vos exemplaria graeca Nocturna verſate manu, verſate diurna. Von Statuen ſind in Rom und Florenz die be- ſten. Von geſchnittenen Steinen finden ſich in al- len Laͤndern von Europa wichtige Sammlungen, ſo wie von Muͤnzen. Von Gebaͤuden ſind in Griechenland und Jtalien die wichtigſten Ueber- bleibſel. Wer das Gluͤk nicht hat, die Originale ſelbſt zu ſehen, der muß ſie wenigſtens in Abguͤſſen und Zeichnungen ſtudiren, wie wol dieſe letztern insgemein wenig von der Schoͤnheit und dem groͤßen der Originale haben. Die Lippertſche Sammlung der Abguͤſſe geſchnittener Steine iſt das wichtigſte, was jeder in dieſer Art haben kann. Und es iſt ſehr zu wuͤnſchen, daß jemand zum beſten der Kunſt ſolche Abdruͤke der beſten Antiken Muͤnzen machte. Die Antiken Gebaͤude kann man aus des-Godets und des Herrn le Roi Zeichnungen; die Statuen aus Biſchops, van Dalens, Periers und Preißlers Sammlungen derſelben kennen lernen. Von ge- ſchnittenen Steinen hat Herr Mariette die groͤßte Sammlung herausgegeben, und die fuͤrnehmſten Steine, auf denen die Namen der Kuͤnſtler einge- graben ſind, hat Herr Stoſch durch ſeine Beſchrei- bung und Kupfer bekannt gemacht. Die Antiken Gemaͤhlde kann man aus den Kupfern von den im Herkulano gefundenen Gemaͤhlden und aus der Sammlung kennen lernen, die der Herr Graf von Caylus herausgegeben hat. Die Werke der Alten uͤberhaupt find in ſich ſehr unterſchieden an Guͤte und Bedeutung, (Ausdruk) aber nicht an Geſchmak. Es ſind drey Haupt- claſſen der alten Denkmale: naͤmlich in allen Sta- tuen, ſo uns uͤbrig geblieben, ſind drey unter- ſchiedene Grade der Schoͤnheit. Die geringſten unter dieſen haben allemal den Geſchmak der Schoͤnheit, aber nur in den unentbehrlichen Thei- len; die vom andern Grade, haben die Schoͤnheit in den nuͤtzlichen Theilen; und die vom hoͤchſten Grade haben ſie von dem unentbehrlichen an, bis auf das uͤberfluͤßige, und ſind deßwegen vollkom- men ſchoͤn — die ſchoͤnſten vom hoͤchſten Grade ſind der Laocoon und der Torſo vom Belvedere; die ſchoͤnſten vom andern Grade der Apollo und der Gladiator vom Borgheſe; vom dritten aber ſind unzaͤhlbare. (*) (*) Gedan- ken uͤber die Schoͤn- heit und Das Studium der Antiken wird nicht nur von allen großen Kennern der neuern Zeit, fuͤr den nothwendigſten Theil der Bemuͤhungen eines Kuͤnſt- lers gehalten; die groͤßten Kuͤnſtler ſelbſt, Raphael und Michelangelo ſind dadurch zu der Groͤße ge- kommen, die wir an ihnen bewundern. Dieſes macht alles, was zur Empfehlung dieſes Stu- diums noch koͤnnte geſagt werden, uͤberfluͤßig. Diejenigen, welche uͤber den vorzuͤglichen Werth der guten Antiken noch einigen Zweifel erweken moͤchten, ſind itzt ſo durchgehends uͤberſtimmt, daß die Nothwendigkeit dieſelben zu ſtudiren, um den wahren Geſchmak des Schoͤnen zu bekommen, als ein Grundſatz anzuſehen iſt. uͤber den Geſchmak in der Mahlerey, (von Mengs) S. 79. 80. Aber auch dieſes Studium kann ſeichten Koͤpfen nichts helfen. Es koͤmmt hier nicht auf die Um- riſſe, ſondern auf den Geiſt an, der im Antiken liegt. Dieſen zu entdeken, muß man ſich vor allen Dingen bemuͤhen. Weſſen Geiſt nach oͤfte- rer Betrachtung der beſten Antiken, nicht in Ent- zuͤkung geraͤth; wer nicht in dem ſichtbaren derſel- ben unſichtbare Vollkommenheit fuͤhlt, der lege die Reißfeder weg; ihm hilft das Antike nicht. Man kann freylich zugeben, daß ſo wol von alten als neuen Kennern manches, was ſie von der Fuͤrtreflichkeit des Antiken ſagen, uͤbertrieben ſey. Es iſt zu fuͤhlen, daß nicht alles, was Plinius von dem Paris des Euphranors ſagt, wahr ſeyn koͤn- ne, (*) und man braucht eben nicht mit Webb gar alles in den Beſchreibungen der Alten buchſtaͤblich zu nehmen. (*) Es bleibt allemal an den noch itzt vorhandenen Werken genug fuͤr unſre Bewun- drung uͤbrig. (*) S. die im Art. Allegorie angefuͤhrte Stelle hie- von. Da voraus geſetzt werden kann, daß Winkel- manns Schriften, darin alles, was hieher gehoͤr- te, enthalten iſt, ſich in jedes Kuͤnſtlers und Ken- ners Haͤnden befinden; ſo kann alles uͤbrige, was hievon zu ſagen waͤre, uͤbergangen werden. Antiphonien. (Muſik.) So nennte man ehedem in der Kirchenmuſik die Geſaͤnge, durch welche das Volk oder die Gemeine dem Prieſter, oder ein Theil des Chors dem andern antwortete, wie dieſes bisweilen noch itzt bey dem roͤmiſchcatholiſchen Gottesdienſt geſchieht. Sie ſol- len, nach dem Berichte des Sokrates, ſchon von dem heiligen Jgnatius, einem apoſtoliſchen Kirchen- vater, eingefuͤhrt worden ſeyn. Daher iſt es denn, K 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/87>, abgerufen am 19.04.2024.