Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Ank
heit und Einfalt sind die zwey Eigenschaften, die
Horaz zur Ankündigung fodert.

Nec sic incipies, ut Scriptor cyclicus olim:
Fortunam Priami cantabo, et nobile bellum.
Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu?
Parturiunt montes: nascetur ridiculus mus.
Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte?
"Dic mihi, Musa, virum, captae post tempora Trojae,
"Qui mores hominum multorum vidit et urbes.
Non fumum ex fulgore, sed ex sumo dare lucem.

(*) Hor. de
Arte. vs.
136
u. f.
Cogitat. (*)

Die dramatische Ankündigung hat Schwierig-
keiten von mehr, als einer Art. Da der Dichter
nicht selbst spricht, und es unnatürlich wäre einer
handelnden Person die Ankündigung gerade zu in
den Mund zu legen, so muß sie durch Umwege ge-
schehen. Dazu kommt noch, daß man gar bald
zu viel von der Sache entdekt, deren Ungewißheit
den Zuschauer in beständiger Erwartung erhalten
(*) Pars
Argumen-
ti explica-
tur, pars
reticetur
ad populi
expectatio-
nem te-
nendam.
Donatus.
muß. (*)

Plautus, der, wie in manchem andern Stük,
also auch hier, sich an keine Regel band, hat ohne
Umschweif durch seine Prologen die Ankündigung
gemacht. Die meisten Dichter aber haben diese
Art, weil sie außer der Handlung liegt, nicht ohne
Grund verworfen: nur die englische Bühne hat
die Prologen beybehalten.

Die Griechen, so wie die meisten Neuern, haben
den Jnhalt der Handlung durch den Anfang der
Handlung selbst anzukündigen gesucht. Sophokles
ist darin am glüklichsten gewesen; dem Euripides
aber hat es damit selten geglükt. Die Sache hat
in der That große Schwierigkeit. Denn da natür-
licher Weise keine der handelnden Personen vorher
sehen kann, was für eine Wendung, viel weniger,
was für einen Ausgang die Sachen nehmen werden,
so können sie die Handlung auch nicht bestimmt
ankündigen. Hier ist sie eine noch zufällige künf-
tige Sache, da sie in der epischen Ankündigung,
als eine schon vergangene Sache erscheint. Es
kann also in Drama weiter nichts angekündiget
werden, als die Veranlassung und der Anfang der
Handlung, ihre Wichtigkeit, nebst einigen dun-
keln Vermuthungen ihres Ausganges. Dabey
kann jeder die Schwierigkeit der Sache empfinden.
Die meisten Neuern behandeln die Ankündigung
so schlecht, daß man lange in Verwirrung und Un-
[Spaltenumbruch]

Ank Anl
gewißheit über die Veranlassung und über die Natur
der Handlung bleibet.

Jm Trauerspiel sollte man aus den ersten Reden
der Personen so gleich erkennen, daß man am An-
fang einer wichtigen Handlung ist, deren Ausgang
zwar ungewiß ist, aber, von welcher Seite er kommen
möge, merkwürdig seyn muß. Je genauer die Ver-
wiklung der Sachen, die Schwierigkeiten, und Ge-
fahren, die der Fortgang der Handlung heran brin-
gen wird, durch die Ankündigung erkennt werden,
je gewisser wird die Aufmerksamkeit gereizt. Auch
ist es sehr wichtig, daß dem Zuschauer durch die
Ankündigung gleich die Hauptpersonen, von einer
interessanten Seite vorgestellt werden.

Man kann den Anfang des Oedipus in Theben
von Sophokles,
als ein vollkommenes Muster der
Ankündigung anpreisen.

Von der Ankündigung des Jnhalts der Rede,
die gleich nach dem Eingange folget, (Propositio)
ist unnöthig viel zu sagen. Sie hat für einen
würklich beredten Mann wenig Schwierigkeit.
Das was dabey zu bedenken ist, besonders, ob man
den Schluß der Rede vorher anzeigen, oder ver-
bergen soll, entdekt sich einem Mann von gutem
Urtheil gar bald. Einiges Nachdenken über die
verschiedenen Ankündigungen, wie sie vom Demost-
henes oder Cicero behandelt worden, wird wenig
Ungewißheit in der Sache lassen.

Nothwendiger ist es vielleicht dieses zu erinnern,
daß in der Rede ofte die Ankündigung eines beson-
dern Theils derselben, der auf die Abhandlung
eines vorher gegangenen Theiles folget, noth-
wendig wird. Dieses nennt Cicero: Propositio
quid sis dicturus, et ab eo quod est dictum, seiun-
ctio.
(*) Jn diesen besondern Ankündigungen(*) De O-
rat. L. III.

sind unter den Neuern die französischen Schrift-
steller die besten Muster. Winkelmann hat auch
in dem blos dogmatischen Vortrag versucht, die
alte griechische Art: So viel hievon; -- nun davon,
wieder einzuführen, welches nicht zu verwerfen ist.
Nur für förmliche Reden ist diese Formel zu kurz.

Anlage.
(Schöne Künste.)

Die Darstellung der wesentlichsten Theile eines
Werks, wodurch es im ganzen bestimmt wird.
Jedes größere Werk der Kunst erfodert eine drey-
fache Arbeit. Die Anlage, von welcher hier die

Rede

[Spaltenumbruch]

Ank
heit und Einfalt ſind die zwey Eigenſchaften, die
Horaz zur Ankuͤndigung fodert.

Nec ſic incipies, ut Scriptor cyclicus olim:
Fortunam Priami cantabo, et nobile bellum.
Quid dignum tanto feret hic promiſſor hiatu?
Parturiunt montes: naſcetur ridiculus mus.
Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte?
„Dic mihi, Muſa, virum, captae poſt tempora Trojae,
„Qui mores hominum multorum vidit et urbes.
Non fumum ex fulgore, ſed ex ſumo dare lucem.

(*) Hor. de
Arte. vſ.
136
u. f.
Cogitat. (*)

Die dramatiſche Ankuͤndigung hat Schwierig-
keiten von mehr, als einer Art. Da der Dichter
nicht ſelbſt ſpricht, und es unnatuͤrlich waͤre einer
handelnden Perſon die Ankuͤndigung gerade zu in
den Mund zu legen, ſo muß ſie durch Umwege ge-
ſchehen. Dazu kommt noch, daß man gar bald
zu viel von der Sache entdekt, deren Ungewißheit
den Zuſchauer in beſtaͤndiger Erwartung erhalten
(*) Pars
Argumen-
ti explica-
tur, pars
reticetur
ad populi
expectatio-
nem te-
nendam.
Donatus.
muß. (*)

Plautus, der, wie in manchem andern Stuͤk,
alſo auch hier, ſich an keine Regel band, hat ohne
Umſchweif durch ſeine Prologen die Ankuͤndigung
gemacht. Die meiſten Dichter aber haben dieſe
Art, weil ſie außer der Handlung liegt, nicht ohne
Grund verworfen: nur die engliſche Buͤhne hat
die Prologen beybehalten.

Die Griechen, ſo wie die meiſten Neuern, haben
den Jnhalt der Handlung durch den Anfang der
Handlung ſelbſt anzukuͤndigen geſucht. Sophokles
iſt darin am gluͤklichſten geweſen; dem Euripides
aber hat es damit ſelten gegluͤkt. Die Sache hat
in der That große Schwierigkeit. Denn da natuͤr-
licher Weiſe keine der handelnden Perſonen vorher
ſehen kann, was fuͤr eine Wendung, viel weniger,
was fuͤr einen Ausgang die Sachen nehmen werden,
ſo koͤnnen ſie die Handlung auch nicht beſtimmt
ankuͤndigen. Hier iſt ſie eine noch zufaͤllige kuͤnf-
tige Sache, da ſie in der epiſchen Ankuͤndigung,
als eine ſchon vergangene Sache erſcheint. Es
kann alſo in Drama weiter nichts angekuͤndiget
werden, als die Veranlaſſung und der Anfang der
Handlung, ihre Wichtigkeit, nebſt einigen dun-
keln Vermuthungen ihres Ausganges. Dabey
kann jeder die Schwierigkeit der Sache empfinden.
Die meiſten Neuern behandeln die Ankuͤndigung
ſo ſchlecht, daß man lange in Verwirrung und Un-
[Spaltenumbruch]

Ank Anl
gewißheit uͤber die Veranlaſſung und uͤber die Natur
der Handlung bleibet.

Jm Trauerſpiel ſollte man aus den erſten Reden
der Perſonen ſo gleich erkennen, daß man am An-
fang einer wichtigen Handlung iſt, deren Ausgang
zwar ungewiß iſt, aber, von welcher Seite er kommen
moͤge, merkwuͤrdig ſeyn muß. Je genauer die Ver-
wiklung der Sachen, die Schwierigkeiten, und Ge-
fahren, die der Fortgang der Handlung heran brin-
gen wird, durch die Ankuͤndigung erkennt werden,
je gewiſſer wird die Aufmerkſamkeit gereizt. Auch
iſt es ſehr wichtig, daß dem Zuſchauer durch die
Ankuͤndigung gleich die Hauptperſonen, von einer
intereſſanten Seite vorgeſtellt werden.

Man kann den Anfang des Oedipus in Theben
von Sophokles,
als ein vollkommenes Muſter der
Ankuͤndigung anpreiſen.

Von der Ankuͤndigung des Jnhalts der Rede,
die gleich nach dem Eingange folget, (Propoſitio)
iſt unnoͤthig viel zu ſagen. Sie hat fuͤr einen
wuͤrklich beredten Mann wenig Schwierigkeit.
Das was dabey zu bedenken iſt, beſonders, ob man
den Schluß der Rede vorher anzeigen, oder ver-
bergen ſoll, entdekt ſich einem Mann von gutem
Urtheil gar bald. Einiges Nachdenken uͤber die
verſchiedenen Ankuͤndigungen, wie ſie vom Demoſt-
henes oder Cicero behandelt worden, wird wenig
Ungewißheit in der Sache laſſen.

Nothwendiger iſt es vielleicht dieſes zu erinnern,
daß in der Rede ofte die Ankuͤndigung eines beſon-
dern Theils derſelben, der auf die Abhandlung
eines vorher gegangenen Theiles folget, noth-
wendig wird. Dieſes nennt Cicero: Propoſitio
quid ſis dicturus, et ab eo quod eſt dictum, ſeiun-
ctio.
(*) Jn dieſen beſondern Ankuͤndigungen(*) De O-
rat. L. III.

ſind unter den Neuern die franzoͤſiſchen Schrift-
ſteller die beſten Muſter. Winkelmann hat auch
in dem blos dogmatiſchen Vortrag verſucht, die
alte griechiſche Art: So viel hievon; — nun davon,
wieder einzufuͤhren, welches nicht zu verwerfen iſt.
Nur fuͤr foͤrmliche Reden iſt dieſe Formel zu kurz.

Anlage.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Die Darſtellung der weſentlichſten Theile eines
Werks, wodurch es im ganzen beſtimmt wird.
Jedes groͤßere Werk der Kunſt erfodert eine drey-
fache Arbeit. Die Anlage, von welcher hier die

Rede
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0067" n="55"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ank</hi></fw><lb/>
heit und Einfalt &#x017F;ind die zwey Eigen&#x017F;chaften, die<lb/><hi rendition="#fr">Horaz</hi> zur Anku&#x0364;ndigung fodert.</p><lb/>
          <cit>
            <quote><hi rendition="#aq">Nec &#x017F;ic incipies, ut Scriptor cyclicus olim:<lb/><hi rendition="#i">Fortunam Priami cantabo, et nobile bellum.</hi><lb/>
Quid dignum tanto feret hic promi&#x017F;&#x017F;or hiatu?<lb/>
Parturiunt montes: na&#x017F;cetur ridiculus mus.<lb/>
Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte?<lb/>
&#x201E;Dic mihi, Mu&#x017F;a, virum, captae po&#x017F;t tempora Trojae,<lb/>
&#x201E;Qui mores hominum multorum vidit et urbes.<lb/>
Non fumum ex fulgore, &#x017F;ed ex &#x017F;umo dare lucem.</hi><lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Hor. de<lb/>
Arte. v&#x017F;.</hi> 136<lb/>
u. f.</note><hi rendition="#aq">Cogitat.</hi> (*)</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Die dramati&#x017F;che Anku&#x0364;ndigung hat Schwierig-<lb/>
keiten von mehr, als einer Art. Da der Dichter<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;pricht, und es unnatu&#x0364;rlich wa&#x0364;re einer<lb/>
handelnden Per&#x017F;on die Anku&#x0364;ndigung gerade zu in<lb/>
den Mund zu legen, &#x017F;o muß &#x017F;ie durch Umwege ge-<lb/>
&#x017F;chehen. Dazu kommt noch, daß man gar bald<lb/>
zu viel von der Sache entdekt, deren Ungewißheit<lb/>
den Zu&#x017F;chauer in be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Erwartung erhalten<lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Pars<lb/>
Argumen-<lb/>
ti explica-<lb/>
tur, pars<lb/>
reticetur<lb/>
ad populi<lb/>
expectatio-<lb/>
nem te-<lb/>
nendam.<lb/><hi rendition="#i">Donatus.</hi></hi></note>muß. (*)</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Plautus,</hi> der, wie in manchem andern Stu&#x0364;k,<lb/>
al&#x017F;o auch hier, &#x017F;ich an keine Regel band, hat ohne<lb/>
Um&#x017F;chweif durch &#x017F;eine Prologen die Anku&#x0364;ndigung<lb/>
gemacht. Die mei&#x017F;ten Dichter aber haben die&#x017F;e<lb/>
Art, weil &#x017F;ie außer der Handlung liegt, nicht ohne<lb/>
Grund verworfen: nur die engli&#x017F;che Bu&#x0364;hne hat<lb/>
die Prologen beybehalten.</p><lb/>
          <p>Die Griechen, &#x017F;o wie die mei&#x017F;ten Neuern, haben<lb/>
den Jnhalt der Handlung durch den Anfang der<lb/>
Handlung &#x017F;elb&#x017F;t anzuku&#x0364;ndigen ge&#x017F;ucht. <hi rendition="#fr">Sophokles</hi><lb/>
i&#x017F;t darin am glu&#x0364;klich&#x017F;ten gewe&#x017F;en; dem <hi rendition="#fr">Euripides</hi><lb/>
aber hat es damit &#x017F;elten geglu&#x0364;kt. Die Sache hat<lb/>
in der That große Schwierigkeit. Denn da natu&#x0364;r-<lb/>
licher Wei&#x017F;e keine der handelnden Per&#x017F;onen vorher<lb/>
&#x017F;ehen kann, was fu&#x0364;r eine Wendung, viel weniger,<lb/>
was fu&#x0364;r einen Ausgang die Sachen nehmen werden,<lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;nnen &#x017F;ie die Handlung auch nicht be&#x017F;timmt<lb/>
anku&#x0364;ndigen. Hier i&#x017F;t &#x017F;ie eine noch zufa&#x0364;llige ku&#x0364;nf-<lb/>
tige Sache, da &#x017F;ie in der epi&#x017F;chen Anku&#x0364;ndigung,<lb/>
als eine &#x017F;chon vergangene Sache er&#x017F;cheint. Es<lb/>
kann al&#x017F;o in Drama weiter nichts angeku&#x0364;ndiget<lb/>
werden, als die Veranla&#x017F;&#x017F;ung und der Anfang der<lb/>
Handlung, ihre Wichtigkeit, neb&#x017F;t einigen dun-<lb/>
keln Vermuthungen ihres Ausganges. Dabey<lb/>
kann jeder die Schwierigkeit der Sache empfinden.<lb/>
Die mei&#x017F;ten Neuern behandeln die Anku&#x0364;ndigung<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chlecht, daß man lange in Verwirrung und Un-<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ank Anl</hi></fw><lb/>
gewißheit u&#x0364;ber die Veranla&#x017F;&#x017F;ung und u&#x0364;ber die Natur<lb/>
der Handlung bleibet.</p><lb/>
          <p>Jm Trauer&#x017F;piel &#x017F;ollte man aus den er&#x017F;ten Reden<lb/>
der Per&#x017F;onen &#x017F;o gleich erkennen, daß man am An-<lb/>
fang einer wichtigen Handlung i&#x017F;t, deren Ausgang<lb/>
zwar ungewiß i&#x017F;t, aber, von welcher Seite er kommen<lb/>
mo&#x0364;ge, merkwu&#x0364;rdig &#x017F;eyn muß. Je genauer die Ver-<lb/>
wiklung der Sachen, die Schwierigkeiten, und Ge-<lb/>
fahren, die der Fortgang der Handlung heran brin-<lb/>
gen wird, durch die Anku&#x0364;ndigung erkennt werden,<lb/>
je gewi&#x017F;&#x017F;er wird die Aufmerk&#x017F;amkeit gereizt. Auch<lb/>
i&#x017F;t es &#x017F;ehr wichtig, daß dem Zu&#x017F;chauer durch die<lb/>
Anku&#x0364;ndigung gleich die Hauptper&#x017F;onen, von einer<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;anten Seite vorge&#x017F;tellt werden.</p><lb/>
          <p>Man kann den Anfang des <hi rendition="#fr">Oedipus in Theben<lb/>
von Sophokles,</hi> als ein vollkommenes Mu&#x017F;ter der<lb/>
Anku&#x0364;ndigung anprei&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Von der Anku&#x0364;ndigung des Jnhalts der Rede,<lb/>
die gleich nach dem Eingange folget, (<hi rendition="#aq">Propo&#x017F;itio</hi>)<lb/>
i&#x017F;t unno&#x0364;thig viel zu &#x017F;agen. Sie hat fu&#x0364;r einen<lb/>
wu&#x0364;rklich beredten Mann wenig Schwierigkeit.<lb/>
Das was dabey zu bedenken i&#x017F;t, be&#x017F;onders, ob man<lb/>
den Schluß der Rede vorher anzeigen, oder ver-<lb/>
bergen &#x017F;oll, entdekt &#x017F;ich einem Mann von gutem<lb/>
Urtheil gar bald. Einiges Nachdenken u&#x0364;ber die<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Anku&#x0364;ndigungen, wie &#x017F;ie vom Demo&#x017F;t-<lb/>
henes oder Cicero behandelt worden, wird wenig<lb/>
Ungewißheit in der Sache la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Nothwendiger i&#x017F;t es vielleicht die&#x017F;es zu erinnern,<lb/>
daß in der Rede ofte die Anku&#x0364;ndigung eines be&#x017F;on-<lb/>
dern Theils der&#x017F;elben, der auf die Abhandlung<lb/>
eines vorher gegangenen Theiles folget, noth-<lb/>
wendig wird. Die&#x017F;es nennt Cicero: <hi rendition="#aq">Propo&#x017F;itio<lb/>
quid &#x017F;is dicturus, et ab eo quod e&#x017F;t dictum, &#x017F;eiun-<lb/>
ctio.</hi> (*) Jn die&#x017F;en be&#x017F;ondern Anku&#x0364;ndigungen<note place="right">(*) <hi rendition="#aq">De O-<lb/>
rat. L. III.</hi></note><lb/>
&#x017F;ind unter den Neuern die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Schrift-<lb/>
&#x017F;teller die be&#x017F;ten Mu&#x017F;ter. Winkelmann hat auch<lb/>
in dem blos dogmati&#x017F;chen Vortrag ver&#x017F;ucht, die<lb/>
alte griechi&#x017F;che Art: <hi rendition="#fr">So viel hievon; &#x2014; nun davon,</hi><lb/>
wieder einzufu&#x0364;hren, welches nicht zu verwerfen i&#x017F;t.<lb/>
Nur fu&#x0364;r fo&#x0364;rmliche Reden i&#x017F;t die&#x017F;e Formel zu kurz.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Anlage.</hi><lb/>
(Scho&#x0364;ne Ku&#x0364;n&#x017F;te.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Dar&#x017F;tellung der we&#x017F;entlich&#x017F;ten Theile eines<lb/>
Werks, wodurch es im ganzen be&#x017F;timmt wird.<lb/>
Jedes gro&#x0364;ßere Werk der Kun&#x017F;t erfodert eine drey-<lb/>
fache Arbeit. Die Anlage, von welcher hier die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Rede</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0067] Ank Ank Anl heit und Einfalt ſind die zwey Eigenſchaften, die Horaz zur Ankuͤndigung fodert. Nec ſic incipies, ut Scriptor cyclicus olim: Fortunam Priami cantabo, et nobile bellum. Quid dignum tanto feret hic promiſſor hiatu? Parturiunt montes: naſcetur ridiculus mus. Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte? „Dic mihi, Muſa, virum, captae poſt tempora Trojae, „Qui mores hominum multorum vidit et urbes. Non fumum ex fulgore, ſed ex ſumo dare lucem. Cogitat. (*) Die dramatiſche Ankuͤndigung hat Schwierig- keiten von mehr, als einer Art. Da der Dichter nicht ſelbſt ſpricht, und es unnatuͤrlich waͤre einer handelnden Perſon die Ankuͤndigung gerade zu in den Mund zu legen, ſo muß ſie durch Umwege ge- ſchehen. Dazu kommt noch, daß man gar bald zu viel von der Sache entdekt, deren Ungewißheit den Zuſchauer in beſtaͤndiger Erwartung erhalten muß. (*) (*) Pars Argumen- ti explica- tur, pars reticetur ad populi expectatio- nem te- nendam. Donatus. Plautus, der, wie in manchem andern Stuͤk, alſo auch hier, ſich an keine Regel band, hat ohne Umſchweif durch ſeine Prologen die Ankuͤndigung gemacht. Die meiſten Dichter aber haben dieſe Art, weil ſie außer der Handlung liegt, nicht ohne Grund verworfen: nur die engliſche Buͤhne hat die Prologen beybehalten. Die Griechen, ſo wie die meiſten Neuern, haben den Jnhalt der Handlung durch den Anfang der Handlung ſelbſt anzukuͤndigen geſucht. Sophokles iſt darin am gluͤklichſten geweſen; dem Euripides aber hat es damit ſelten gegluͤkt. Die Sache hat in der That große Schwierigkeit. Denn da natuͤr- licher Weiſe keine der handelnden Perſonen vorher ſehen kann, was fuͤr eine Wendung, viel weniger, was fuͤr einen Ausgang die Sachen nehmen werden, ſo koͤnnen ſie die Handlung auch nicht beſtimmt ankuͤndigen. Hier iſt ſie eine noch zufaͤllige kuͤnf- tige Sache, da ſie in der epiſchen Ankuͤndigung, als eine ſchon vergangene Sache erſcheint. Es kann alſo in Drama weiter nichts angekuͤndiget werden, als die Veranlaſſung und der Anfang der Handlung, ihre Wichtigkeit, nebſt einigen dun- keln Vermuthungen ihres Ausganges. Dabey kann jeder die Schwierigkeit der Sache empfinden. Die meiſten Neuern behandeln die Ankuͤndigung ſo ſchlecht, daß man lange in Verwirrung und Un- gewißheit uͤber die Veranlaſſung und uͤber die Natur der Handlung bleibet. Jm Trauerſpiel ſollte man aus den erſten Reden der Perſonen ſo gleich erkennen, daß man am An- fang einer wichtigen Handlung iſt, deren Ausgang zwar ungewiß iſt, aber, von welcher Seite er kommen moͤge, merkwuͤrdig ſeyn muß. Je genauer die Ver- wiklung der Sachen, die Schwierigkeiten, und Ge- fahren, die der Fortgang der Handlung heran brin- gen wird, durch die Ankuͤndigung erkennt werden, je gewiſſer wird die Aufmerkſamkeit gereizt. Auch iſt es ſehr wichtig, daß dem Zuſchauer durch die Ankuͤndigung gleich die Hauptperſonen, von einer intereſſanten Seite vorgeſtellt werden. Man kann den Anfang des Oedipus in Theben von Sophokles, als ein vollkommenes Muſter der Ankuͤndigung anpreiſen. Von der Ankuͤndigung des Jnhalts der Rede, die gleich nach dem Eingange folget, (Propoſitio) iſt unnoͤthig viel zu ſagen. Sie hat fuͤr einen wuͤrklich beredten Mann wenig Schwierigkeit. Das was dabey zu bedenken iſt, beſonders, ob man den Schluß der Rede vorher anzeigen, oder ver- bergen ſoll, entdekt ſich einem Mann von gutem Urtheil gar bald. Einiges Nachdenken uͤber die verſchiedenen Ankuͤndigungen, wie ſie vom Demoſt- henes oder Cicero behandelt worden, wird wenig Ungewißheit in der Sache laſſen. Nothwendiger iſt es vielleicht dieſes zu erinnern, daß in der Rede ofte die Ankuͤndigung eines beſon- dern Theils derſelben, der auf die Abhandlung eines vorher gegangenen Theiles folget, noth- wendig wird. Dieſes nennt Cicero: Propoſitio quid ſis dicturus, et ab eo quod eſt dictum, ſeiun- ctio. (*) Jn dieſen beſondern Ankuͤndigungen ſind unter den Neuern die franzoͤſiſchen Schrift- ſteller die beſten Muſter. Winkelmann hat auch in dem blos dogmatiſchen Vortrag verſucht, die alte griechiſche Art: So viel hievon; — nun davon, wieder einzufuͤhren, welches nicht zu verwerfen iſt. Nur fuͤr foͤrmliche Reden iſt dieſe Formel zu kurz. (*) De O- rat. L. III. Anlage. (Schoͤne Kuͤnſte.) Die Darſtellung der weſentlichſten Theile eines Werks, wodurch es im ganzen beſtimmt wird. Jedes groͤßere Werk der Kunſt erfodert eine drey- fache Arbeit. Die Anlage, von welcher hier die Rede

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/67
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/67>, abgerufen am 25.04.2024.