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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Hor
neuen Regierungsform ein Mittel übrig war den
Staat groß und die Bürger glüklich zu sehen, wenn
sie nur selbst es seyn wollten. Ein großer Theil
seiner Gedichte ziehlt dahin ab, sie davon zu über-
zeugen, und sie von dem völligen Verderben zu ret-
ten; sein eigenes Leben gab ihnen das Beyspiel des-
sen, was er von ihnen forderte. Diese große Art
zu denken, mit einem sehr lebhaften poetischen Ge-
nie verbunden, machten ihn zu einem Dichter, der
auf den wahren Zwek der Kunst arbeitete. Diesen
moralischen Schwung kann man, wie ein scharfsin-
mger Engländer sehr richtig angemerkt hat, in allen
Werken dieses Dichters gewahr werden, und der
Verfasser der Episteln blikt selbst in den Oden her-
(*) Der
Verfasser
des Ver-
suchs über
Popens
Genie und
Schriften.
vor. Horaz ist, sagt dieser Kunstrichter (*), vom
ganzen Alterthum der populareste Schriftsteller, weil
er an solchen Bildern reich ist, die aus dem gemei-
nen Leben hergenommen sind, und an solchen An-
merkungen, die die menschlichen Herzen und Ge-
schäfte recht genau treffen. Man kann hinzuthun,
und weil er fast überall den Zwek gehabt hat, nicht
als ein witziger Kopf durch schöne Sachen seine
Leser zu belustigen, sondern als ein das Publicum
übersehender Philosoph, ihnen nützliche Sachen
zu sagen.

Freylich war er auch ein witziger Kopf, der man-
ches geschrieben, um mit seinen Freunden zu lachen.
Man muß ihn aber nicht aus seinen, zum Zeitver-
treib und zum Spaß geschriebenen, kleinen Lieder-
chen, sondern aus seinen größern und ernsthaften
Gedichten beurtheilen. Da sieht man überall einen
Mann, der von dem, was er andern belieben will,
innig durchdrungen ist, der deswegen jeden Gedan-
ken mit der größten Lebhaftigkeit und Stärke sagt.
Man fühlet überall mehr ein warmes, stark em-
pfindendes Herz, und eine herrschende Vernunft, als
eine reiche und lachende Phantasie. Darum wird
er durch alle Zeiten der Lieblingsdichter ernsthafter
und philosophischer Männer bleiben.

Horizont.
(Mahlerey.)

Jn der Natur ist der Horizont die äußerste Linie,
die eine ganz flache Gegend des Erdbodens von der
Luft oder dem Himmel abschneidet; oder das äus-
serste End des ohne Hügel oder Erhöhungen vor uns
liegenden Erdbodens, hinter welchem wir nur Luft,
oder in die Höhe steigende Gegenstände sehen. Eben
[Spaltenumbruch]

Hor
diese Bedeutung hat das Wort auch in gemahlten
Landschaften und andern Gemählden; nur mit dem
Unterschied, daß man sich im Gemählde auch da ei-
nen Horizont vorstellen muß, wo die Aussicht in die
Ferne durch etwas vor uns stehendes gehemmt wird.
Rämlich, wenn wir z. B. in der Thür eines Zim-
mers stehen, und gerade vor uns auf die, dem Ein-
gange gegen überstehende, Wand sehen, so würde
eine an dieser Wand in der Höhe unsers Auges,
waagerecht längst der Wand gezogene Linie den Ho-
rizont bezeichnen. Der Mahler muß in jedem Ge-
mählde sich einen bestimmten Horizont vorstellen.
Denn es muß immer in dem Gemählde, oder in der
Fläche, von welcher das vor uns stehende Gemähld
einen Theil bedekt, irgend ein Punkt seyn, der dem
Auge dessen, der das Gemählde so ansieht, wie der
Mahler den natürlichen Gegenstand, da er ihn ge-
mahlt, angesehen hat, gegenüber liegt, und die durch
diesen Punkt waagerecht gezogene Linie, macht die
Horizontallinie aus. (*)

(*) S.
Gesichts-
punkt.

Alles was im Gemähld über dieser Linie liegt,
wird von dem Auge von unten herauf, was aber
unter ihr liegt, von oben heruntergesehen. Daher
hat die Bestimmung des Horizonts einen Einfluß
auf die Zeichnung eines jeden in dem Gemähld
vorkommenden Gegenstandes, und kein Gemählde,
wenn es auch nur eine einzele Figur vorstellt, kann
völlig richtig gezeichnet werden, wenn der Mahler
nicht immer genaue Rüksicht auf den Horizont des-
selben hat. Wir werden in dem Artikel Perspektiv
das Wichtigste, was in der Zeichnung von dem Ho-
rizont abhängt, anzeigen.

Weil jeder Gegenstand so gemahlt wird, wie wir
ihn aus einem einzigen Gesichtspunkt sehen, der
Gesichtspunkt aber den Horizont bestimmt (*), so(*) S.
Gesichts-
punkt.

muß jedes Gemähld nur einen einzigen Horizont
haben. Wenn man uns z. B. eine Landschaft mahlt,
so muß sie so gezeichnet werden, wie wir sie von ei-
ner einzigen Stelle sehen. Es würde ein seltsames
Gemisch herauskommen, wenn ein Theil so gezeich-
net würde, wie wir ihn von einem Thurm herunter
sehen, ein andrer, so wie er sich zeiget, wenn wir
an der Erde stehen. Darum muß der Mahler in der
Zeichnung vor allen Dingen seinen Horizont fest-
setzen, ihn bey Zeichnung jedes Gegenstandes vor
Augen haben, (*) und gewissen daher entstehenden(*) S.
Perspekti[v].

Regeln folgen, damit alles richtig gezeichnet werde.
Man sieht bisweilen historische Gemählde von be-

rühmten

[Spaltenumbruch]

Hor
neuen Regierungsform ein Mittel uͤbrig war den
Staat groß und die Buͤrger gluͤklich zu ſehen, wenn
ſie nur ſelbſt es ſeyn wollten. Ein großer Theil
ſeiner Gedichte ziehlt dahin ab, ſie davon zu uͤber-
zeugen, und ſie von dem voͤlligen Verderben zu ret-
ten; ſein eigenes Leben gab ihnen das Beyſpiel deſ-
ſen, was er von ihnen forderte. Dieſe große Art
zu denken, mit einem ſehr lebhaften poetiſchen Ge-
nie verbunden, machten ihn zu einem Dichter, der
auf den wahren Zwek der Kunſt arbeitete. Dieſen
moraliſchen Schwung kann man, wie ein ſcharfſin-
mger Englaͤnder ſehr richtig angemerkt hat, in allen
Werken dieſes Dichters gewahr werden, und der
Verfaſſer der Epiſteln blikt ſelbſt in den Oden her-
(*) Der
Verfaſſer
des Ver-
ſuchs uͤber
Popens
Genie und
Schriften.
vor. Horaz iſt, ſagt dieſer Kunſtrichter (*), vom
ganzen Alterthum der populareſte Schriftſteller, weil
er an ſolchen Bildern reich iſt, die aus dem gemei-
nen Leben hergenommen ſind, und an ſolchen An-
merkungen, die die menſchlichen Herzen und Ge-
ſchaͤfte recht genau treffen. Man kann hinzuthun,
und weil er faſt uͤberall den Zwek gehabt hat, nicht
als ein witziger Kopf durch ſchoͤne Sachen ſeine
Leſer zu beluſtigen, ſondern als ein das Publicum
uͤberſehender Philoſoph, ihnen nuͤtzliche Sachen
zu ſagen.

Freylich war er auch ein witziger Kopf, der man-
ches geſchrieben, um mit ſeinen Freunden zu lachen.
Man muß ihn aber nicht aus ſeinen, zum Zeitver-
treib und zum Spaß geſchriebenen, kleinen Lieder-
chen, ſondern aus ſeinen groͤßern und ernſthaften
Gedichten beurtheilen. Da ſieht man uͤberall einen
Mann, der von dem, was er andern belieben will,
innig durchdrungen iſt, der deswegen jeden Gedan-
ken mit der groͤßten Lebhaftigkeit und Staͤrke ſagt.
Man fuͤhlet uͤberall mehr ein warmes, ſtark em-
pfindendes Herz, und eine herrſchende Vernunft, als
eine reiche und lachende Phantaſie. Darum wird
er durch alle Zeiten der Lieblingsdichter ernſthafter
und philoſophiſcher Maͤnner bleiben.

Horizont.
(Mahlerey.)

Jn der Natur iſt der Horizont die aͤußerſte Linie,
die eine ganz flache Gegend des Erdbodens von der
Luft oder dem Himmel abſchneidet; oder das aͤuſ-
ſerſte End des ohne Huͤgel oder Erhoͤhungen vor uns
liegenden Erdbodens, hinter welchem wir nur Luft,
oder in die Hoͤhe ſteigende Gegenſtaͤnde ſehen. Eben
[Spaltenumbruch]

Hor
dieſe Bedeutung hat das Wort auch in gemahlten
Landſchaften und andern Gemaͤhlden; nur mit dem
Unterſchied, daß man ſich im Gemaͤhlde auch da ei-
nen Horizont vorſtellen muß, wo die Ausſicht in die
Ferne durch etwas vor uns ſtehendes gehemmt wird.
Raͤmlich, wenn wir z. B. in der Thuͤr eines Zim-
mers ſtehen, und gerade vor uns auf die, dem Ein-
gange gegen uͤberſtehende, Wand ſehen, ſo wuͤrde
eine an dieſer Wand in der Hoͤhe unſers Auges,
waagerecht laͤngſt der Wand gezogene Linie den Ho-
rizont bezeichnen. Der Mahler muß in jedem Ge-
maͤhlde ſich einen beſtimmten Horizont vorſtellen.
Denn es muß immer in dem Gemaͤhlde, oder in der
Flaͤche, von welcher das vor uns ſtehende Gemaͤhld
einen Theil bedekt, irgend ein Punkt ſeyn, der dem
Auge deſſen, der das Gemaͤhlde ſo anſieht, wie der
Mahler den natuͤrlichen Gegenſtand, da er ihn ge-
mahlt, angeſehen hat, gegenuͤber liegt, und die durch
dieſen Punkt waagerecht gezogene Linie, macht die
Horizontallinie aus. (*)

(*) S.
Geſichts-
punkt.

Alles was im Gemaͤhld uͤber dieſer Linie liegt,
wird von dem Auge von unten herauf, was aber
unter ihr liegt, von oben heruntergeſehen. Daher
hat die Beſtimmung des Horizonts einen Einfluß
auf die Zeichnung eines jeden in dem Gemaͤhld
vorkommenden Gegenſtandes, und kein Gemaͤhlde,
wenn es auch nur eine einzele Figur vorſtellt, kann
voͤllig richtig gezeichnet werden, wenn der Mahler
nicht immer genaue Ruͤkſicht auf den Horizont deſ-
ſelben hat. Wir werden in dem Artikel Perſpektiv
das Wichtigſte, was in der Zeichnung von dem Ho-
rizont abhaͤngt, anzeigen.

Weil jeder Gegenſtand ſo gemahlt wird, wie wir
ihn aus einem einzigen Geſichtspunkt ſehen, der
Geſichtspunkt aber den Horizont beſtimmt (*), ſo(*) S.
Geſichts-
punkt.

muß jedes Gemaͤhld nur einen einzigen Horizont
haben. Wenn man uns z. B. eine Landſchaft mahlt,
ſo muß ſie ſo gezeichnet werden, wie wir ſie von ei-
ner einzigen Stelle ſehen. Es wuͤrde ein ſeltſames
Gemiſch herauskommen, wenn ein Theil ſo gezeich-
net wuͤrde, wie wir ihn von einem Thurm herunter
ſehen, ein andrer, ſo wie er ſich zeiget, wenn wir
an der Erde ſtehen. Darum muß der Mahler in der
Zeichnung vor allen Dingen ſeinen Horizont feſt-
ſetzen, ihn bey Zeichnung jedes Gegenſtandes vor
Augen haben, (*) und gewiſſen daher entſtehenden(*) S.
Perſpekti[v].

Regeln folgen, damit alles richtig gezeichnet werde.
Man ſieht bisweilen hiſtoriſche Gemaͤhlde von be-

ruͤhmten
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[551/0563] Hor Hor neuen Regierungsform ein Mittel uͤbrig war den Staat groß und die Buͤrger gluͤklich zu ſehen, wenn ſie nur ſelbſt es ſeyn wollten. Ein großer Theil ſeiner Gedichte ziehlt dahin ab, ſie davon zu uͤber- zeugen, und ſie von dem voͤlligen Verderben zu ret- ten; ſein eigenes Leben gab ihnen das Beyſpiel deſ- ſen, was er von ihnen forderte. Dieſe große Art zu denken, mit einem ſehr lebhaften poetiſchen Ge- nie verbunden, machten ihn zu einem Dichter, der auf den wahren Zwek der Kunſt arbeitete. Dieſen moraliſchen Schwung kann man, wie ein ſcharfſin- mger Englaͤnder ſehr richtig angemerkt hat, in allen Werken dieſes Dichters gewahr werden, und der Verfaſſer der Epiſteln blikt ſelbſt in den Oden her- vor. Horaz iſt, ſagt dieſer Kunſtrichter (*), vom ganzen Alterthum der populareſte Schriftſteller, weil er an ſolchen Bildern reich iſt, die aus dem gemei- nen Leben hergenommen ſind, und an ſolchen An- merkungen, die die menſchlichen Herzen und Ge- ſchaͤfte recht genau treffen. Man kann hinzuthun, und weil er faſt uͤberall den Zwek gehabt hat, nicht als ein witziger Kopf durch ſchoͤne Sachen ſeine Leſer zu beluſtigen, ſondern als ein das Publicum uͤberſehender Philoſoph, ihnen nuͤtzliche Sachen zu ſagen. (*) Der Verfaſſer des Ver- ſuchs uͤber Popens Genie und Schriften. Freylich war er auch ein witziger Kopf, der man- ches geſchrieben, um mit ſeinen Freunden zu lachen. Man muß ihn aber nicht aus ſeinen, zum Zeitver- treib und zum Spaß geſchriebenen, kleinen Lieder- chen, ſondern aus ſeinen groͤßern und ernſthaften Gedichten beurtheilen. Da ſieht man uͤberall einen Mann, der von dem, was er andern belieben will, innig durchdrungen iſt, der deswegen jeden Gedan- ken mit der groͤßten Lebhaftigkeit und Staͤrke ſagt. Man fuͤhlet uͤberall mehr ein warmes, ſtark em- pfindendes Herz, und eine herrſchende Vernunft, als eine reiche und lachende Phantaſie. Darum wird er durch alle Zeiten der Lieblingsdichter ernſthafter und philoſophiſcher Maͤnner bleiben. Horizont. (Mahlerey.) Jn der Natur iſt der Horizont die aͤußerſte Linie, die eine ganz flache Gegend des Erdbodens von der Luft oder dem Himmel abſchneidet; oder das aͤuſ- ſerſte End des ohne Huͤgel oder Erhoͤhungen vor uns liegenden Erdbodens, hinter welchem wir nur Luft, oder in die Hoͤhe ſteigende Gegenſtaͤnde ſehen. Eben dieſe Bedeutung hat das Wort auch in gemahlten Landſchaften und andern Gemaͤhlden; nur mit dem Unterſchied, daß man ſich im Gemaͤhlde auch da ei- nen Horizont vorſtellen muß, wo die Ausſicht in die Ferne durch etwas vor uns ſtehendes gehemmt wird. Raͤmlich, wenn wir z. B. in der Thuͤr eines Zim- mers ſtehen, und gerade vor uns auf die, dem Ein- gange gegen uͤberſtehende, Wand ſehen, ſo wuͤrde eine an dieſer Wand in der Hoͤhe unſers Auges, waagerecht laͤngſt der Wand gezogene Linie den Ho- rizont bezeichnen. Der Mahler muß in jedem Ge- maͤhlde ſich einen beſtimmten Horizont vorſtellen. Denn es muß immer in dem Gemaͤhlde, oder in der Flaͤche, von welcher das vor uns ſtehende Gemaͤhld einen Theil bedekt, irgend ein Punkt ſeyn, der dem Auge deſſen, der das Gemaͤhlde ſo anſieht, wie der Mahler den natuͤrlichen Gegenſtand, da er ihn ge- mahlt, angeſehen hat, gegenuͤber liegt, und die durch dieſen Punkt waagerecht gezogene Linie, macht die Horizontallinie aus. (*) Alles was im Gemaͤhld uͤber dieſer Linie liegt, wird von dem Auge von unten herauf, was aber unter ihr liegt, von oben heruntergeſehen. Daher hat die Beſtimmung des Horizonts einen Einfluß auf die Zeichnung eines jeden in dem Gemaͤhld vorkommenden Gegenſtandes, und kein Gemaͤhlde, wenn es auch nur eine einzele Figur vorſtellt, kann voͤllig richtig gezeichnet werden, wenn der Mahler nicht immer genaue Ruͤkſicht auf den Horizont deſ- ſelben hat. Wir werden in dem Artikel Perſpektiv das Wichtigſte, was in der Zeichnung von dem Ho- rizont abhaͤngt, anzeigen. Weil jeder Gegenſtand ſo gemahlt wird, wie wir ihn aus einem einzigen Geſichtspunkt ſehen, der Geſichtspunkt aber den Horizont beſtimmt (*), ſo muß jedes Gemaͤhld nur einen einzigen Horizont haben. Wenn man uns z. B. eine Landſchaft mahlt, ſo muß ſie ſo gezeichnet werden, wie wir ſie von ei- ner einzigen Stelle ſehen. Es wuͤrde ein ſeltſames Gemiſch herauskommen, wenn ein Theil ſo gezeich- net wuͤrde, wie wir ihn von einem Thurm herunter ſehen, ein andrer, ſo wie er ſich zeiget, wenn wir an der Erde ſtehen. Darum muß der Mahler in der Zeichnung vor allen Dingen ſeinen Horizont feſt- ſetzen, ihn bey Zeichnung jedes Gegenſtandes vor Augen haben, (*) und gewiſſen daher entſtehenden Regeln folgen, damit alles richtig gezeichnet werde. Man ſieht bisweilen hiſtoriſche Gemaͤhlde von be- ruͤhmten (*) S. Geſichts- punkt. (*) S. Perſpektiv.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/563>, abgerufen am 26.04.2024.