Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Hor -- Seu me tranquilla senectus Noch währenden Unruhen des bürgerlichen Krieges, Man kann aus hundert Stellen seiner Gedichte Seine Lebensart war so, wie sie sich für einen Phi- Nellem enus -- -- portare molestum. Er empfand es, daß er in diesem Stük viel Vortheile -- Commodius quam tu praeclare senator [Spaltenumbruch] Hor Mit einer solchen Sinnesart konnte er freylich auf Ein Mann von dieser Art war dem Augustus Alles dieses breitet ein ziemlich helles Licht über neuen
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Hor — Seu me tranquilla ſenectus Noch waͤhrenden Unruhen des buͤrgerlichen Krieges, Man kann aus hundert Stellen ſeiner Gedichte Seine Lebensart war ſo, wie ſie ſich fuͤr einen Phi- Nellem enus — — portare moleſtum. Er empfand es, daß er in dieſem Stuͤk viel Vortheile — Commodius quam tu praeclare ſenator [Spaltenumbruch] Hor Mit einer ſolchen Sinnesart konnte er freylich auf Ein Mann von dieſer Art war dem Auguſtus Alles dieſes breitet ein ziemlich helles Licht uͤber neuen
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Anfangs that er<lb/> ſehr ſchuͤchtern, und erſt neun Monate nach der er-<lb/> ſten Bekanntſchaft mit dieſem Liebling des Auguſts,<lb/> wurd der Dichter unter die Zahl ſeiner Vertrauten<lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Serm.<lb/> I.</hi> 6.</note>aufgenommen. (*) Dadurch wurd er auch bald dem<lb/> Auguſtus ſelbſt bekannt, der ihn ſehr hoch ſchaͤtzte.</p><lb/> <p>Man kann aus hundert Stellen ſeiner Gedichte<lb/> ſchließen, daß in dem Umgange, den Horaz mit<lb/> Maͤcenas und dem Auguſtus gehabt, die Unterre-<lb/> dungen meiſtentheils die damals ſchon ungemein<lb/> große Verdorbenheit der Sitten und die Thorheiten<lb/> der Roͤmer betroffen haben, und daß dieſes zu man-<lb/> cher Satyre und Ode des Dichters Gelegenheit ge-<lb/> geben. Unter dem Schutz des Regenten konnte er<lb/> ſehr dreiſte ſchreiben; darum wurd er ſehr beißend<lb/> und uͤbertrat auch wol darin die Schranken der buͤr-<lb/> gerlichen Geſetze, deswegen er ſich ſehr viel Feinde<lb/> machte. Weil er aber vor Verfolgung ſicher war,<lb/> ſo erwekte dieſes bey ihm mehr Unwillen, als Furcht.<lb/> Von Zeit zu Zeit that er heftige Ausfaͤlle gegen die<lb/> herrſchenden Thorheiten und Laſter der Roͤmer und<lb/> griff ſo wol einzele Perſonen, als das ganze Pub-<lb/> licum an.</p><lb/> <p>Seine Lebensart war ſo, wie ſie ſich fuͤr einen Phi-<lb/> loſophen ſchiket; er war ohne Ehrgeiz und vergnuͤgt<lb/> daß ihm ſein Stand erlaubte fuͤr ſich, von oͤffentlichen<lb/> Geſchaͤften und vom Hofe entfernt zu leben. Als<lb/> ein wahrer Philoſoph fuͤhlte er das Vergnuͤgen und<lb/> die großen Vortheile des Privatlebens.</p><lb/> <cit> <quote><hi rendition="#aq">Nellem enus — — portare moleſtum.<lb/> Nam mihi continuo major quaerenda ſoret res,<lb/> Atque ſalutandi plures; ducendus et unus<lb/> Et comes alter, uti ne ſolus ruſve peregre —<lb/> Ve exirem; plures calones atque caballi</hi><lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Serm.<lb/> I.</hi> 6.</note><hi rendition="#aq">Paſcendi; ducenda petorrita.</hi> (*)</quote> </cit><lb/> <p>Er empfand es, daß er in dieſem Stuͤk viel Vortheile<lb/> uͤber die Großen hatte.</p><lb/> <cit> <quote>— <hi rendition="#aq">Commodius quam tu praeclare ſenator<lb/> Millibus atque aliis vivo; Quantumque libido eſt<lb/> Incedo ſolus; percontor quanti olus et ſar.</hi></quote> </cit><lb/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Hor</hi> </fw><lb/> <p>Mit einer ſolchen Sinnesart konnte er freylich auf<lb/> die Roͤmer, wie von einer Hoͤhe herunter ſehen,<lb/> und ihnen ihre Thorheiten mit ſo viel Nachdruk<lb/> vorwerfen.</p><lb/> <p>Ein Mann von dieſer Art war dem Auguſtus<lb/> nicht nur zum Umgang und zu philoſophiſchen Er-<lb/> goͤtzlichkeiten wichtig, ſondern er ſah auch, daß er<lb/> ihm zur Ausbreitung ſeines Ruhmes und zur Unter-<lb/> ſtuͤtzung ſeiner Politik große Dienſte leiſten konnte.<lb/> Es geſchah auf ausdruͤkliches Verlangen des Regen-<lb/> ten, daß Horaz ſeine und der Seinigen Siege be-<lb/> ſang. Viele der ſchoͤnſten Oden ſind aller Wahr-<lb/> ſcheinlichkeit nach auf deſſen Angeben gemacht wor-<lb/> den, um den Roͤmern die Ruhe unter ſeiner Regie-<lb/> rung, bisweilen auch, um ſeine Veranſtalltungen<lb/> und Geſetze, beliebt zu machen. Jm Alter ſcheinet<lb/> der Dichter ſich von dem Hofe etwas entfernt zu ha-<lb/> ben, um fuͤr ſich zu leben. Er hielt ſich damals<lb/> meiſtens auf ſeinem ſabiniſchen Landgut, oder in ſei-<lb/> nem tiburtiniſchen Luſthaus auf, lebte als ein Phi-<lb/> loſoph, und kam viel ſeltener an den Hof, als man<lb/> ihn da zu ſehen wuͤnſchte.</p><lb/> <p>Alles dieſes breitet ein ziemlich helles Licht uͤber<lb/> den ſittlichen Charakter dieſes Mannes aus. Er<lb/> hatte Genie genug in der Dunkelheit eines niedrigen<lb/> Standes ſich die Einſichten zu erwerben, und ſich zu<lb/> einer Sinnesart zu bilden, die ihn den erſten Maͤn-<lb/> nern der Republik wichtig machten. Haͤtten die<lb/> Vertheidiger der Freyheit geſiegt, ſo wuͤrde er ohne<lb/> Zweifel ein anſehnlicher Mann, und eine Stuͤtze des<lb/> Staates geworden ſeyn. Nachdem die Bemuͤhungen<lb/> fuͤr die Erhaltung der Freyheit nicht nur voͤllig ver-<lb/> geblich worden, ſondern ſo gar dem Staat ſchaͤd-<lb/> lich wuͤrden geweſen ſeyn; verlohr er die Luſt zu<lb/> Geſchaͤften, und unterwarff ſich dem Schikſal. Er<lb/> wurd von der herrſchenden Parthey geſucht, und<lb/> verbarg ſich nicht vor ihr, wurd aber auch nicht<lb/> ihr Schmeichler. Da er ſelbſt fuͤr den Staat nichts<lb/> mehr thun konnte, wurd er erſt ein bloßer Zuſchauer.<lb/> Seine ſcharfe Beurtheilungskraft und ſein richtiges<lb/> Gefuͤhl zeigten ihm den verdorbenen Charakter ſei-<lb/> ner Mitbuͤrger in einem lebhaften Lichte. Da die<lb/> patriotiſche Tugend nichts mehr helfen konnte, ſuchte<lb/> er die Privattugend zu unterſtuͤtzen. Es erregte<lb/> ſeine Galle, daß die Roͤmer, nachdem ſie die poli-<lb/> tiſche Freyheit unwiederbringlich verlohren hatten,<lb/> ſich noch ſelbſt in die ſittliche Sclaverey der Leiden-<lb/> ſchaften ſtuͤrzten. Er ſah ein, daß auch unter der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">neuen</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [550/0562]
Hor
Hor
— Seu me tranquilla ſenectus
Expectat, ſeu mors atris circumvolat alis;
Dives, inops, Romae, ſeu fors ita juſſerit, exul
Quisquis erit vitae, ſcribam, color. (*)
Noch waͤhrenden Unruhen des buͤrgerlichen Krieges,
erlangte er die Freyheit wieder nach Rom zu kom-
men, kaufte ſich in eine buͤrgerliche Decurie ein,
und ſeine Freunde Virgilius und Varius machten
ihn mit dem Mecaͤnas bekannt. Anfangs that er
ſehr ſchuͤchtern, und erſt neun Monate nach der er-
ſten Bekanntſchaft mit dieſem Liebling des Auguſts,
wurd der Dichter unter die Zahl ſeiner Vertrauten
aufgenommen. (*) Dadurch wurd er auch bald dem
Auguſtus ſelbſt bekannt, der ihn ſehr hoch ſchaͤtzte.
(*) Serm.
I. 6.
Man kann aus hundert Stellen ſeiner Gedichte
ſchließen, daß in dem Umgange, den Horaz mit
Maͤcenas und dem Auguſtus gehabt, die Unterre-
dungen meiſtentheils die damals ſchon ungemein
große Verdorbenheit der Sitten und die Thorheiten
der Roͤmer betroffen haben, und daß dieſes zu man-
cher Satyre und Ode des Dichters Gelegenheit ge-
geben. Unter dem Schutz des Regenten konnte er
ſehr dreiſte ſchreiben; darum wurd er ſehr beißend
und uͤbertrat auch wol darin die Schranken der buͤr-
gerlichen Geſetze, deswegen er ſich ſehr viel Feinde
machte. Weil er aber vor Verfolgung ſicher war,
ſo erwekte dieſes bey ihm mehr Unwillen, als Furcht.
Von Zeit zu Zeit that er heftige Ausfaͤlle gegen die
herrſchenden Thorheiten und Laſter der Roͤmer und
griff ſo wol einzele Perſonen, als das ganze Pub-
licum an.
Seine Lebensart war ſo, wie ſie ſich fuͤr einen Phi-
loſophen ſchiket; er war ohne Ehrgeiz und vergnuͤgt
daß ihm ſein Stand erlaubte fuͤr ſich, von oͤffentlichen
Geſchaͤften und vom Hofe entfernt zu leben. Als
ein wahrer Philoſoph fuͤhlte er das Vergnuͤgen und
die großen Vortheile des Privatlebens.
Nellem enus — — portare moleſtum.
Nam mihi continuo major quaerenda ſoret res,
Atque ſalutandi plures; ducendus et unus
Et comes alter, uti ne ſolus ruſve peregre —
Ve exirem; plures calones atque caballi
Paſcendi; ducenda petorrita. (*)
Er empfand es, daß er in dieſem Stuͤk viel Vortheile
uͤber die Großen hatte.
— Commodius quam tu praeclare ſenator
Millibus atque aliis vivo; Quantumque libido eſt
Incedo ſolus; percontor quanti olus et ſar.
Mit einer ſolchen Sinnesart konnte er freylich auf
die Roͤmer, wie von einer Hoͤhe herunter ſehen,
und ihnen ihre Thorheiten mit ſo viel Nachdruk
vorwerfen.
Ein Mann von dieſer Art war dem Auguſtus
nicht nur zum Umgang und zu philoſophiſchen Er-
goͤtzlichkeiten wichtig, ſondern er ſah auch, daß er
ihm zur Ausbreitung ſeines Ruhmes und zur Unter-
ſtuͤtzung ſeiner Politik große Dienſte leiſten konnte.
Es geſchah auf ausdruͤkliches Verlangen des Regen-
ten, daß Horaz ſeine und der Seinigen Siege be-
ſang. Viele der ſchoͤnſten Oden ſind aller Wahr-
ſcheinlichkeit nach auf deſſen Angeben gemacht wor-
den, um den Roͤmern die Ruhe unter ſeiner Regie-
rung, bisweilen auch, um ſeine Veranſtalltungen
und Geſetze, beliebt zu machen. Jm Alter ſcheinet
der Dichter ſich von dem Hofe etwas entfernt zu ha-
ben, um fuͤr ſich zu leben. Er hielt ſich damals
meiſtens auf ſeinem ſabiniſchen Landgut, oder in ſei-
nem tiburtiniſchen Luſthaus auf, lebte als ein Phi-
loſoph, und kam viel ſeltener an den Hof, als man
ihn da zu ſehen wuͤnſchte.
Alles dieſes breitet ein ziemlich helles Licht uͤber
den ſittlichen Charakter dieſes Mannes aus. Er
hatte Genie genug in der Dunkelheit eines niedrigen
Standes ſich die Einſichten zu erwerben, und ſich zu
einer Sinnesart zu bilden, die ihn den erſten Maͤn-
nern der Republik wichtig machten. Haͤtten die
Vertheidiger der Freyheit geſiegt, ſo wuͤrde er ohne
Zweifel ein anſehnlicher Mann, und eine Stuͤtze des
Staates geworden ſeyn. Nachdem die Bemuͤhungen
fuͤr die Erhaltung der Freyheit nicht nur voͤllig ver-
geblich worden, ſondern ſo gar dem Staat ſchaͤd-
lich wuͤrden geweſen ſeyn; verlohr er die Luſt zu
Geſchaͤften, und unterwarff ſich dem Schikſal. Er
wurd von der herrſchenden Parthey geſucht, und
verbarg ſich nicht vor ihr, wurd aber auch nicht
ihr Schmeichler. Da er ſelbſt fuͤr den Staat nichts
mehr thun konnte, wurd er erſt ein bloßer Zuſchauer.
Seine ſcharfe Beurtheilungskraft und ſein richtiges
Gefuͤhl zeigten ihm den verdorbenen Charakter ſei-
ner Mitbuͤrger in einem lebhaften Lichte. Da die
patriotiſche Tugend nichts mehr helfen konnte, ſuchte
er die Privattugend zu unterſtuͤtzen. Es erregte
ſeine Galle, daß die Roͤmer, nachdem ſie die poli-
tiſche Freyheit unwiederbringlich verlohren hatten,
ſich noch ſelbſt in die ſittliche Sclaverey der Leiden-
ſchaften ſtuͤrzten. Er ſah ein, daß auch unter der
neuen
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