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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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alles genau bezeichnen und auch richtig abbilden
könne. Blos das Studium dessen, was man das
(*) S.
Uebliche.
Uebliche (Costume) (*) nennt, erfodert langen Fleis
und viel erworbene Kenntnis. Je genauer der Mah-
ler von den Sitten und Gebräuchen der Nationen
unterrichtet ist, je leichter wird es ihm seinen Jn-
halt verständlich zu machen. Es giebt aber auch
etwas Nationales in der Bildung der Menschen, und
vielleicht auch in der Stellung und in den Bewegun-
gen. Ein feines Aug unterscheidet gar oft den, ihm
unbekannten, Engländer, Franzosen oder Jtaliäner
unter den Deutschen: und so sieht man in den An-
tiken, wenn man auch auf die Gewänder und andre
Nebensachen gar nicht achtete, andre Gesichter, an-
dre Stellungen und Gebehrden, als die sind, die
man gegenwärtig in der Natur antrift. Die Figu-
ren in den Werken der römischen Künstler unter-
scheiden sich auch in diesen Stüken, von denen, die
man in den griechischen Werken sieht. Dergleichen
Sachen muß der Historienmahler genau bemerkt
haben und in der Zeichnung auszudruken im Stan-
de seyn.

Wenn man sich alles, was zu einem vollkomme-
nen historischen Gemählde gehört, vorstellt, so wird
man sich nicht wundern, daß es so höchst selten ist,
ein untadelhaftes Werk in dieser Art zu sehen.

Holländische Schule.
(Zeichnende Künste.)

Holland und andre zum Staat der vereinigten Nie-
derlande gehörige Provinzen, haben eine beträcht-
liche Anzahl guter Mahler gehabt, die sich durch ei-
nen eigenthümlichen Geschmak und eigene Vorzüge
von allen andern unterscheiden, auch deswegen würk-
lich eine besondere Schule ausmachen. Die Mah-
ler dieser Schule scheinen bey ihrer Arbeit kein an-
deres Gesetz gehabt zu haben, als durch Zeichnung
und Farben, die gemeine Natur so vollkommen,
als möglich, zu erreichen; im übrigen aber, sich um
den Werth, oder die Kraft des Jnhalts nicht zu be-
kümmern. Man hat eine große Anzahl Gemählde
aus dieser Schule, darin die gemeine Natur bis zur
Bewundrung, auch in den geringsten Kleinigkeiten
so kopirt ist, daß man kaum seinen Augen traut:
man glaubet eine Scene aus der Natur, durch ein
verkleinerndes Glas zu sehen, so vollkommen ist
Zeichnung, Perspektiv, Haltung und Farbe in dem
Gemähld erreicht. Wann man einige der besten
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Hol
Werke dieser Schule vor sich hat, so kann man nicht
begreifen, daß es möglich sey, bemeldte Theile
der Kunst höher zu treiben. Man kann also sagen,
daß die holländischen Mahler in dem Mechanischen
den höchsten Gipfel der Kunst erreicht haben.

Diese Schule, die der Herr von Hagedorn mit
Recht die Schule des Wahren nennt, hätte die voll-
kommensten Werke der Kunst aufzuweisen, wenn
diese nur die Absicht hätte, dem Auge dasjenige
vollkommen gemahlt zu zeigen, was man täglich
in der Natur vor sich sieht. Wenn der Endzwek der
Kunst durch diese Täuschung des Auges erreicht würde,
so würde man weder einen Raphael, noch einen
Corregio, noch einen Titian, dem Künstler zum Stu-
diren empfehlen, sondern ihn allein in die holländi-
sche Schule verweisen.

Jn der That ist das, was sie vorzügliches be-
sitzet, ein wichtiger Theil der Kunst; aber nur in so
fern diese auf wichtige Gegenstände angewendet wird.
Es ist zwar ein Vergnügen, Farben auf einer fla-
chen Leinwand so künstlich aufgetragen zu sehen, daß
man sich einbildet, man stehe in einer Kirche, oder
man sehe eine würklich lebendige Blume, oder einen
athmenden Menschen vor sich; weiter aber hat auch
diese bewundrungswürdige Kunst nichts auf sich.
Der Endzwek der schönen Künste, wird dadurch
nicht erreicht (*), sondern diese Werke dienen blos,(*) S.
Künste.

die Liebhaber zu ergötzen. Wenn aber diese Voll-
kommenheit mit dem höhern Werth vereiniget ist,
wenn wichtige Gegenstände so behandelt werden, so
ist alsdenn das Werk vollkommen.

Man muß also den Künstler, der höhere Absichten
hat, als zu ergötzen, oder das Aug zu täuschen, doch in
diese Schule führen. Die herrlichste Erfindung und
der größte sichtbare Gegenstand, den das Genie eines
Mahlers hervorzubringen vermag, muß dennoch,
wenn er im Gemählde die größte Würkung thun soll,
sich so zeigen, als wenn es ein in der Natur vor-
handener Gegenstand wäre (*), folglich ist das Stu-(*) S.
Natur.

dium, wodurch die holländischen Mahler groß
geworden sind, jedem andern Mahler auch zu
empfehlen.

Doch äußert sich dabey eine Bedenklichkeit, wo-
durch die Wichtigkeit dieser Werke für das Studium
der Kunst um ein merkliches verringert wird. Die
schätzbarsten Werke sind ohne Zweifel doch die, welche
zu öffentlichem Gebrauch aufgestellt werden. Diese
müssen ihrer Natur nach groß seyn. Aber kann

das
Erster Theil. Z z z

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Hiſ Hol
alles genau bezeichnen und auch richtig abbilden
koͤnne. Blos das Studium deſſen, was man das
(*) S.
Uebliche.
Uebliche (Coſtume) (*) nennt, erfodert langen Fleis
und viel erworbene Kenntnis. Je genauer der Mah-
ler von den Sitten und Gebraͤuchen der Nationen
unterrichtet iſt, je leichter wird es ihm ſeinen Jn-
halt verſtaͤndlich zu machen. Es giebt aber auch
etwas Nationales in der Bildung der Menſchen, und
vielleicht auch in der Stellung und in den Bewegun-
gen. Ein feines Aug unterſcheidet gar oft den, ihm
unbekannten, Englaͤnder, Franzoſen oder Jtaliaͤner
unter den Deutſchen: und ſo ſieht man in den An-
tiken, wenn man auch auf die Gewaͤnder und andre
Nebenſachen gar nicht achtete, andre Geſichter, an-
dre Stellungen und Gebehrden, als die ſind, die
man gegenwaͤrtig in der Natur antrift. Die Figu-
ren in den Werken der roͤmiſchen Kuͤnſtler unter-
ſcheiden ſich auch in dieſen Stuͤken, von denen, die
man in den griechiſchen Werken ſieht. Dergleichen
Sachen muß der Hiſtorienmahler genau bemerkt
haben und in der Zeichnung auszudruken im Stan-
de ſeyn.

Wenn man ſich alles, was zu einem vollkomme-
nen hiſtoriſchen Gemaͤhlde gehoͤrt, vorſtellt, ſo wird
man ſich nicht wundern, daß es ſo hoͤchſt ſelten iſt,
ein untadelhaftes Werk in dieſer Art zu ſehen.

Hollaͤndiſche Schule.
(Zeichnende Kuͤnſte.)

Holland und andre zum Staat der vereinigten Nie-
derlande gehoͤrige Provinzen, haben eine betraͤcht-
liche Anzahl guter Mahler gehabt, die ſich durch ei-
nen eigenthuͤmlichen Geſchmak und eigene Vorzuͤge
von allen andern unterſcheiden, auch deswegen wuͤrk-
lich eine beſondere Schule ausmachen. Die Mah-
ler dieſer Schule ſcheinen bey ihrer Arbeit kein an-
deres Geſetz gehabt zu haben, als durch Zeichnung
und Farben, die gemeine Natur ſo vollkommen,
als moͤglich, zu erreichen; im uͤbrigen aber, ſich um
den Werth, oder die Kraft des Jnhalts nicht zu be-
kuͤmmern. Man hat eine große Anzahl Gemaͤhlde
aus dieſer Schule, darin die gemeine Natur bis zur
Bewundrung, auch in den geringſten Kleinigkeiten
ſo kopirt iſt, daß man kaum ſeinen Augen traut:
man glaubet eine Scene aus der Natur, durch ein
verkleinerndes Glas zu ſehen, ſo vollkommen iſt
Zeichnung, Perſpektiv, Haltung und Farbe in dem
Gemaͤhld erreicht. Wann man einige der beſten
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Hol
Werke dieſer Schule vor ſich hat, ſo kann man nicht
begreifen, daß es moͤglich ſey, bemeldte Theile
der Kunſt hoͤher zu treiben. Man kann alſo ſagen,
daß die hollaͤndiſchen Mahler in dem Mechaniſchen
den hoͤchſten Gipfel der Kunſt erreicht haben.

Dieſe Schule, die der Herr von Hagedorn mit
Recht die Schule des Wahren nennt, haͤtte die voll-
kommenſten Werke der Kunſt aufzuweiſen, wenn
dieſe nur die Abſicht haͤtte, dem Auge dasjenige
vollkommen gemahlt zu zeigen, was man taͤglich
in der Natur vor ſich ſieht. Wenn der Endzwek der
Kunſt durch dieſe Taͤuſchung des Auges erreicht wuͤrde,
ſo wuͤrde man weder einen Raphael, noch einen
Corregio, noch einen Titian, dem Kuͤnſtler zum Stu-
diren empfehlen, ſondern ihn allein in die hollaͤndi-
ſche Schule verweiſen.

Jn der That iſt das, was ſie vorzuͤgliches be-
ſitzet, ein wichtiger Theil der Kunſt; aber nur in ſo
fern dieſe auf wichtige Gegenſtaͤnde angewendet wird.
Es iſt zwar ein Vergnuͤgen, Farben auf einer fla-
chen Leinwand ſo kuͤnſtlich aufgetragen zu ſehen, daß
man ſich einbildet, man ſtehe in einer Kirche, oder
man ſehe eine wuͤrklich lebendige Blume, oder einen
athmenden Menſchen vor ſich; weiter aber hat auch
dieſe bewundrungswuͤrdige Kunſt nichts auf ſich.
Der Endzwek der ſchoͤnen Kuͤnſte, wird dadurch
nicht erreicht (*), ſondern dieſe Werke dienen blos,(*) S.
Kuͤnſte.

die Liebhaber zu ergoͤtzen. Wenn aber dieſe Voll-
kommenheit mit dem hoͤhern Werth vereiniget iſt,
wenn wichtige Gegenſtaͤnde ſo behandelt werden, ſo
iſt alsdenn das Werk vollkommen.

Man muß alſo den Kuͤnſtler, der hoͤhere Abſichten
hat, als zu ergoͤtzen, oder das Aug zu taͤuſchen, doch in
dieſe Schule fuͤhren. Die herrlichſte Erfindung und
der groͤßte ſichtbare Gegenſtand, den das Genie eines
Mahlers hervorzubringen vermag, muß dennoch,
wenn er im Gemaͤhlde die groͤßte Wuͤrkung thun ſoll,
ſich ſo zeigen, als wenn es ein in der Natur vor-
handener Gegenſtand waͤre (*), folglich iſt das Stu-(*) S.
Natur.

dium, wodurch die hollaͤndiſchen Mahler groß
geworden ſind, jedem andern Mahler auch zu
empfehlen.

Doch aͤußert ſich dabey eine Bedenklichkeit, wo-
durch die Wichtigkeit dieſer Werke fuͤr das Studium
der Kunſt um ein merkliches verringert wird. Die
ſchaͤtzbarſten Werke ſind ohne Zweifel doch die, welche
zu oͤffentlichem Gebrauch aufgeſtellt werden. Dieſe
muͤſſen ihrer Natur nach groß ſeyn. Aber kann

das
Erſter Theil. Z z z
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[545/0557] Hiſ Hol Hol alles genau bezeichnen und auch richtig abbilden koͤnne. Blos das Studium deſſen, was man das Uebliche (Coſtume) (*) nennt, erfodert langen Fleis und viel erworbene Kenntnis. Je genauer der Mah- ler von den Sitten und Gebraͤuchen der Nationen unterrichtet iſt, je leichter wird es ihm ſeinen Jn- halt verſtaͤndlich zu machen. Es giebt aber auch etwas Nationales in der Bildung der Menſchen, und vielleicht auch in der Stellung und in den Bewegun- gen. Ein feines Aug unterſcheidet gar oft den, ihm unbekannten, Englaͤnder, Franzoſen oder Jtaliaͤner unter den Deutſchen: und ſo ſieht man in den An- tiken, wenn man auch auf die Gewaͤnder und andre Nebenſachen gar nicht achtete, andre Geſichter, an- dre Stellungen und Gebehrden, als die ſind, die man gegenwaͤrtig in der Natur antrift. Die Figu- ren in den Werken der roͤmiſchen Kuͤnſtler unter- ſcheiden ſich auch in dieſen Stuͤken, von denen, die man in den griechiſchen Werken ſieht. Dergleichen Sachen muß der Hiſtorienmahler genau bemerkt haben und in der Zeichnung auszudruken im Stan- de ſeyn. (*) S. Uebliche. Wenn man ſich alles, was zu einem vollkomme- nen hiſtoriſchen Gemaͤhlde gehoͤrt, vorſtellt, ſo wird man ſich nicht wundern, daß es ſo hoͤchſt ſelten iſt, ein untadelhaftes Werk in dieſer Art zu ſehen. Hollaͤndiſche Schule. (Zeichnende Kuͤnſte.) Holland und andre zum Staat der vereinigten Nie- derlande gehoͤrige Provinzen, haben eine betraͤcht- liche Anzahl guter Mahler gehabt, die ſich durch ei- nen eigenthuͤmlichen Geſchmak und eigene Vorzuͤge von allen andern unterſcheiden, auch deswegen wuͤrk- lich eine beſondere Schule ausmachen. Die Mah- ler dieſer Schule ſcheinen bey ihrer Arbeit kein an- deres Geſetz gehabt zu haben, als durch Zeichnung und Farben, die gemeine Natur ſo vollkommen, als moͤglich, zu erreichen; im uͤbrigen aber, ſich um den Werth, oder die Kraft des Jnhalts nicht zu be- kuͤmmern. Man hat eine große Anzahl Gemaͤhlde aus dieſer Schule, darin die gemeine Natur bis zur Bewundrung, auch in den geringſten Kleinigkeiten ſo kopirt iſt, daß man kaum ſeinen Augen traut: man glaubet eine Scene aus der Natur, durch ein verkleinerndes Glas zu ſehen, ſo vollkommen iſt Zeichnung, Perſpektiv, Haltung und Farbe in dem Gemaͤhld erreicht. Wann man einige der beſten Werke dieſer Schule vor ſich hat, ſo kann man nicht begreifen, daß es moͤglich ſey, bemeldte Theile der Kunſt hoͤher zu treiben. Man kann alſo ſagen, daß die hollaͤndiſchen Mahler in dem Mechaniſchen den hoͤchſten Gipfel der Kunſt erreicht haben. Dieſe Schule, die der Herr von Hagedorn mit Recht die Schule des Wahren nennt, haͤtte die voll- kommenſten Werke der Kunſt aufzuweiſen, wenn dieſe nur die Abſicht haͤtte, dem Auge dasjenige vollkommen gemahlt zu zeigen, was man taͤglich in der Natur vor ſich ſieht. Wenn der Endzwek der Kunſt durch dieſe Taͤuſchung des Auges erreicht wuͤrde, ſo wuͤrde man weder einen Raphael, noch einen Corregio, noch einen Titian, dem Kuͤnſtler zum Stu- diren empfehlen, ſondern ihn allein in die hollaͤndi- ſche Schule verweiſen. Jn der That iſt das, was ſie vorzuͤgliches be- ſitzet, ein wichtiger Theil der Kunſt; aber nur in ſo fern dieſe auf wichtige Gegenſtaͤnde angewendet wird. Es iſt zwar ein Vergnuͤgen, Farben auf einer fla- chen Leinwand ſo kuͤnſtlich aufgetragen zu ſehen, daß man ſich einbildet, man ſtehe in einer Kirche, oder man ſehe eine wuͤrklich lebendige Blume, oder einen athmenden Menſchen vor ſich; weiter aber hat auch dieſe bewundrungswuͤrdige Kunſt nichts auf ſich. Der Endzwek der ſchoͤnen Kuͤnſte, wird dadurch nicht erreicht (*), ſondern dieſe Werke dienen blos, die Liebhaber zu ergoͤtzen. Wenn aber dieſe Voll- kommenheit mit dem hoͤhern Werth vereiniget iſt, wenn wichtige Gegenſtaͤnde ſo behandelt werden, ſo iſt alsdenn das Werk vollkommen. (*) S. Kuͤnſte. Man muß alſo den Kuͤnſtler, der hoͤhere Abſichten hat, als zu ergoͤtzen, oder das Aug zu taͤuſchen, doch in dieſe Schule fuͤhren. Die herrlichſte Erfindung und der groͤßte ſichtbare Gegenſtand, den das Genie eines Mahlers hervorzubringen vermag, muß dennoch, wenn er im Gemaͤhlde die groͤßte Wuͤrkung thun ſoll, ſich ſo zeigen, als wenn es ein in der Natur vor- handener Gegenſtand waͤre (*), folglich iſt das Stu- dium, wodurch die hollaͤndiſchen Mahler groß geworden ſind, jedem andern Mahler auch zu empfehlen. (*) S. Natur. Doch aͤußert ſich dabey eine Bedenklichkeit, wo- durch die Wichtigkeit dieſer Werke fuͤr das Studium der Kunſt um ein merkliches verringert wird. Die ſchaͤtzbarſten Werke ſind ohne Zweifel doch die, welche zu oͤffentlichem Gebrauch aufgeſtellt werden. Dieſe muͤſſen ihrer Natur nach groß ſeyn. Aber kann das Erſter Theil. Z z z

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/557>, abgerufen am 28.03.2024.