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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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All
zu erwerben sucht, möchten folgende Anmerkungen
von einigem Nutzen seyn.

Bloße Hieroglyphen, die aus Noth gebraucht
werden, lassen sich am leichtesten erfinden. Ein
Wapenschild, eine äußerliche in die Augen fallende
Sache, ist dazu schon hinlänglich. Doch sollten
bloße Anspielungen auf Namen, wie ein Mann zu
(*) S.
Winkel-
mann von
der Allego-
rie S. 99.
wo noch
viel der-
gleichen
mit dem
Namen
der Allego-
rie beehrte
Wortspiele
vorkom-
men.
Pferde, um den Namen Philippus anzuzeigen, (*)
wenn sie gleich in den Antiken häufig vorkommen,
verbannet werden. Dergleichen Bilder konnten
nur zu der Zeit entschuldiget werden, als man noch
nicht schreiben konnte, und sollten auch itzt nicht
gebraucht werden, als da, wo die Schrift oder ein
anderes Zeichen schlechterdings unmöglich ist. Un-
ter die Hieroglyphen, die in der Allegorie gute
Dienste thun, rechnen wir auch solche Zeichen, wel-
che zwar keine natürliche, aber eine in den Gebräu-
chen gegründete Bedeutung haben. So sind Zepter
und Kronen, Könige und Regenten zu bezeichnen,
Widderköpfe und Opferschaalen in den dorischen
Friesen, wodurch Tempel angedeutet werden, Kriegs-
armaturen auf Zeughäuser u. d. gl. Dergleichen
Bilder haben keine Schwürigkeit. Eine gute Be-
kanntschaft mit den Gebräuchen der Völker giebt
sie von selbst an die Hand.

Wahre allegorische Bilder, welche eine Eigen-
schaft der Sache, die sie vorstellen, ausdrüken, sind
schweer zn erfinden. Dazu gehört, daß man die
Begriffe der Sachen, welche vorzustellen sind, deut-
lich entwikle, und in ihrer größten Einfalt sehe, be-
sonders das Eigenthümliche, was die Sache am
gewissesten bezeichnet, deutlich fasse. So hat jede
Tugend außer dem, was sie mit den übrigen ge-
mein hat, etwas Eigenthümliches und Bezeichnen-
des, entweder in ihrem Ursprung oder in ihrer
Würkung; für diese muß der Künstler ein Zeichen
(*) S.
Bild.
finden. Hiezu dienet, was anderswo (*) von Er-
findung der Bilder überhaupt ist angemerkt worden.
Alle dort angeführte Arten der Bilder haben hier
statt.

Einige allegorische Bilder haben die Natur der
Beyspiele, wie Orestes und Pylades, als ein
Bild der Freundschaft; andere der Gleichnisse, wie
ein Schiff mit aufgeblasnen Seegeln, als ein Bild
des glüklichen Fortganges; andere der eigentlichen
Allegorie, wie ein Sieb, das zum Wasserschöpfen
gebraucht wird, als ein Bild einer eiteln Unterneh-
mung. Die Wahl dieser Gattungen der alle-
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All
gorischen Bilder wird durch die besondern Umstände,
darinn man sie braucht, bestimmt. So könnte
zum Exempel in einem Gemählde, da zwey Män-
ner sich über einen vor ihnen stehenden Jüngling
ernstlich unterreden, der Jnhalt ihrer Unterredung
durch die Allegorie des Beyspiels deutlich ausge-
drükt werden. Wenn einer der beyden Männer
auf ein in dem Zimmer hangendes Gemählde deu-
tete, das den Achilles vorstellt, als Ulysses an dem
Hofe des Lykomedes ihn ausforscht. Denn da-
durch würde angedeutet, daß die Unterredung den
natürlichen Beruf des Jünglings zu einer gewissen
Lebensart zum Jnhalt habe. Hingegen drükt ein
einziges allegorisches Bild des Schmetterlings, auf
welchen Sokrates, in ernsten Betrachtungen ver-
tieft, seine Augen heftet, hinlänglich aus, daß er
über die Unsterblichkeit denke.

So muß die Wahl der Bilder allemal durch den
Gebrauch derselben bestimmt werden. Bilder der
eigentlichen Allegorie bekommen ihre Bedeutung
fürnehmlich, wenn sie nicht für sich da stehen, son-
dern geschikt mit andern Gegenständen verbunden
sind. So können Mohnköpfe verschiedene Bedeu-
tungen haben. Jn einen Kranz um die Schläfe ei-
ner ruhenden Person gewunden, bedeuten sie den
Schlaf. Es wäre aber auch leicht, sie in anderer
Verbindung zum Bilde der Fruchtbarkeit zu ma-
chen.

Also gehört es zur Erfindung der Bilder, daß
man ihren Gebrauch genau vor Augen habe. Die-
jenigen scheinen die besten zu seyn, welche als At-
tributa
oder Kennzeichen menschlichen Figuren
beygelegt werden; weil sie auf diese Art mit der
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den, wodurch ihre Bedeutung viel größer und auch
kräftiger wird. So könnte die Eitelkeit, sich an-
dern zur Bewundrung darzustellen, durch das Bild
eines Pfauen wol ausgedrukt werden; aber brauch-
barer wird die Allegorie, wenn man eine weibliche
Figur dazu wählt, an der man die Pfauenfedern
als ein Abzeichen anbringt. Denn dadurch hat
man Gelegenheit, durch den Ausdruk des Charak-
ters, durch Stellung und Handlung die Allegorie
viel bestimmter und nachdrüklicher zu machen, des-
wegen haben die griechischen Künstler so viel allego-
rische Personen erdacht. Ein sehr schönes Beyspiel
ist das oben erwähnte Bild der Nothwendigkeit aus
dem Horaz.

Von

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All
zu erwerben ſucht, moͤchten folgende Anmerkungen
von einigem Nutzen ſeyn.

Bloße Hieroglyphen, die aus Noth gebraucht
werden, laſſen ſich am leichteſten erfinden. Ein
Wapenſchild, eine aͤußerliche in die Augen fallende
Sache, iſt dazu ſchon hinlaͤnglich. Doch ſollten
bloße Anſpielungen auf Namen, wie ein Mann zu
(*) S.
Winkel-
mann von
der Allego-
rie S. 99.
wo noch
viel der-
gleichen
mit dem
Namen
der Allego-
rie beehrte
Wortſpiele
vorkom-
men.
Pferde, um den Namen Philippus anzuzeigen, (*)
wenn ſie gleich in den Antiken haͤufig vorkommen,
verbannet werden. Dergleichen Bilder konnten
nur zu der Zeit entſchuldiget werden, als man noch
nicht ſchreiben konnte, und ſollten auch itzt nicht
gebraucht werden, als da, wo die Schrift oder ein
anderes Zeichen ſchlechterdings unmoͤglich iſt. Un-
ter die Hieroglyphen, die in der Allegorie gute
Dienſte thun, rechnen wir auch ſolche Zeichen, wel-
che zwar keine natuͤrliche, aber eine in den Gebraͤu-
chen gegruͤndete Bedeutung haben. So ſind Zepter
und Kronen, Koͤnige und Regenten zu bezeichnen,
Widderkoͤpfe und Opferſchaalen in den doriſchen
Frieſen, wodurch Tempel angedeutet werden, Kriegs-
armaturen auf Zeughaͤuſer u. d. gl. Dergleichen
Bilder haben keine Schwuͤrigkeit. Eine gute Be-
kanntſchaft mit den Gebraͤuchen der Voͤlker giebt
ſie von ſelbſt an die Hand.

Wahre allegoriſche Bilder, welche eine Eigen-
ſchaft der Sache, die ſie vorſtellen, ausdruͤken, ſind
ſchweer zn erfinden. Dazu gehoͤrt, daß man die
Begriffe der Sachen, welche vorzuſtellen ſind, deut-
lich entwikle, und in ihrer groͤßten Einfalt ſehe, be-
ſonders das Eigenthuͤmliche, was die Sache am
gewiſſeſten bezeichnet, deutlich faſſe. So hat jede
Tugend außer dem, was ſie mit den uͤbrigen ge-
mein hat, etwas Eigenthuͤmliches und Bezeichnen-
des, entweder in ihrem Urſprung oder in ihrer
Wuͤrkung; fuͤr dieſe muß der Kuͤnſtler ein Zeichen
(*) S.
Bild.
finden. Hiezu dienet, was anderswo (*) von Er-
findung der Bilder uͤberhaupt iſt angemerkt worden.
Alle dort angefuͤhrte Arten der Bilder haben hier
ſtatt.

Einige allegoriſche Bilder haben die Natur der
Beyſpiele, wie Oreſtes und Pylades, als ein
Bild der Freundſchaft; andere der Gleichniſſe, wie
ein Schiff mit aufgeblaſnen Seegeln, als ein Bild
des gluͤklichen Fortganges; andere der eigentlichen
Allegorie, wie ein Sieb, das zum Waſſerſchoͤpfen
gebraucht wird, als ein Bild einer eiteln Unterneh-
mung. Die Wahl dieſer Gattungen der alle-
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All
goriſchen Bilder wird durch die beſondern Umſtaͤnde,
darinn man ſie braucht, beſtimmt. So koͤnnte
zum Exempel in einem Gemaͤhlde, da zwey Maͤn-
ner ſich uͤber einen vor ihnen ſtehenden Juͤngling
ernſtlich unterreden, der Jnhalt ihrer Unterredung
durch die Allegorie des Beyſpiels deutlich ausge-
druͤkt werden. Wenn einer der beyden Maͤnner
auf ein in dem Zimmer hangendes Gemaͤhlde deu-
tete, das den Achilles vorſtellt, als Ulyſſes an dem
Hofe des Lykomedes ihn ausforſcht. Denn da-
durch wuͤrde angedeutet, daß die Unterredung den
natuͤrlichen Beruf des Juͤnglings zu einer gewiſſen
Lebensart zum Jnhalt habe. Hingegen druͤkt ein
einziges allegoriſches Bild des Schmetterlings, auf
welchen Sokrates, in ernſten Betrachtungen ver-
tieft, ſeine Augen heftet, hinlaͤnglich aus, daß er
uͤber die Unſterblichkeit denke.

So muß die Wahl der Bilder allemal durch den
Gebrauch derſelben beſtimmt werden. Bilder der
eigentlichen Allegorie bekommen ihre Bedeutung
fuͤrnehmlich, wenn ſie nicht fuͤr ſich da ſtehen, ſon-
dern geſchikt mit andern Gegenſtaͤnden verbunden
ſind. So koͤnnen Mohnkoͤpfe verſchiedene Bedeu-
tungen haben. Jn einen Kranz um die Schlaͤfe ei-
ner ruhenden Perſon gewunden, bedeuten ſie den
Schlaf. Es waͤre aber auch leicht, ſie in anderer
Verbindung zum Bilde der Fruchtbarkeit zu ma-
chen.

Alſo gehoͤrt es zur Erfindung der Bilder, daß
man ihren Gebrauch genau vor Augen habe. Die-
jenigen ſcheinen die beſten zu ſeyn, welche als At-
tributa
oder Kennzeichen menſchlichen Figuren
beygelegt werden; weil ſie auf dieſe Art mit der
Vorſtellung einer Handlung koͤnnen begleitet wer-
den, wodurch ihre Bedeutung viel groͤßer und auch
kraͤftiger wird. So koͤnnte die Eitelkeit, ſich an-
dern zur Bewundrung darzuſtellen, durch das Bild
eines Pfauen wol ausgedrukt werden; aber brauch-
barer wird die Allegorie, wenn man eine weibliche
Figur dazu waͤhlt, an der man die Pfauenfedern
als ein Abzeichen anbringt. Denn dadurch hat
man Gelegenheit, durch den Ausdruk des Charak-
ters, durch Stellung und Handlung die Allegorie
viel beſtimmter und nachdruͤklicher zu machen, des-
wegen haben die griechiſchen Kuͤnſtler ſo viel allego-
riſche Perſonen erdacht. Ein ſehr ſchoͤnes Beyſpiel
iſt das oben erwaͤhnte Bild der Nothwendigkeit aus
dem Horaz.

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[40/0052] All All zu erwerben ſucht, moͤchten folgende Anmerkungen von einigem Nutzen ſeyn. Bloße Hieroglyphen, die aus Noth gebraucht werden, laſſen ſich am leichteſten erfinden. Ein Wapenſchild, eine aͤußerliche in die Augen fallende Sache, iſt dazu ſchon hinlaͤnglich. Doch ſollten bloße Anſpielungen auf Namen, wie ein Mann zu Pferde, um den Namen Philippus anzuzeigen, (*) wenn ſie gleich in den Antiken haͤufig vorkommen, verbannet werden. Dergleichen Bilder konnten nur zu der Zeit entſchuldiget werden, als man noch nicht ſchreiben konnte, und ſollten auch itzt nicht gebraucht werden, als da, wo die Schrift oder ein anderes Zeichen ſchlechterdings unmoͤglich iſt. Un- ter die Hieroglyphen, die in der Allegorie gute Dienſte thun, rechnen wir auch ſolche Zeichen, wel- che zwar keine natuͤrliche, aber eine in den Gebraͤu- chen gegruͤndete Bedeutung haben. So ſind Zepter und Kronen, Koͤnige und Regenten zu bezeichnen, Widderkoͤpfe und Opferſchaalen in den doriſchen Frieſen, wodurch Tempel angedeutet werden, Kriegs- armaturen auf Zeughaͤuſer u. d. gl. Dergleichen Bilder haben keine Schwuͤrigkeit. Eine gute Be- kanntſchaft mit den Gebraͤuchen der Voͤlker giebt ſie von ſelbſt an die Hand. (*) S. Winkel- mann von der Allego- rie S. 99. wo noch viel der- gleichen mit dem Namen der Allego- rie beehrte Wortſpiele vorkom- men. Wahre allegoriſche Bilder, welche eine Eigen- ſchaft der Sache, die ſie vorſtellen, ausdruͤken, ſind ſchweer zn erfinden. Dazu gehoͤrt, daß man die Begriffe der Sachen, welche vorzuſtellen ſind, deut- lich entwikle, und in ihrer groͤßten Einfalt ſehe, be- ſonders das Eigenthuͤmliche, was die Sache am gewiſſeſten bezeichnet, deutlich faſſe. So hat jede Tugend außer dem, was ſie mit den uͤbrigen ge- mein hat, etwas Eigenthuͤmliches und Bezeichnen- des, entweder in ihrem Urſprung oder in ihrer Wuͤrkung; fuͤr dieſe muß der Kuͤnſtler ein Zeichen finden. Hiezu dienet, was anderswo (*) von Er- findung der Bilder uͤberhaupt iſt angemerkt worden. Alle dort angefuͤhrte Arten der Bilder haben hier ſtatt. (*) S. Bild. Einige allegoriſche Bilder haben die Natur der Beyſpiele, wie Oreſtes und Pylades, als ein Bild der Freundſchaft; andere der Gleichniſſe, wie ein Schiff mit aufgeblaſnen Seegeln, als ein Bild des gluͤklichen Fortganges; andere der eigentlichen Allegorie, wie ein Sieb, das zum Waſſerſchoͤpfen gebraucht wird, als ein Bild einer eiteln Unterneh- mung. Die Wahl dieſer Gattungen der alle- goriſchen Bilder wird durch die beſondern Umſtaͤnde, darinn man ſie braucht, beſtimmt. So koͤnnte zum Exempel in einem Gemaͤhlde, da zwey Maͤn- ner ſich uͤber einen vor ihnen ſtehenden Juͤngling ernſtlich unterreden, der Jnhalt ihrer Unterredung durch die Allegorie des Beyſpiels deutlich ausge- druͤkt werden. Wenn einer der beyden Maͤnner auf ein in dem Zimmer hangendes Gemaͤhlde deu- tete, das den Achilles vorſtellt, als Ulyſſes an dem Hofe des Lykomedes ihn ausforſcht. Denn da- durch wuͤrde angedeutet, daß die Unterredung den natuͤrlichen Beruf des Juͤnglings zu einer gewiſſen Lebensart zum Jnhalt habe. Hingegen druͤkt ein einziges allegoriſches Bild des Schmetterlings, auf welchen Sokrates, in ernſten Betrachtungen ver- tieft, ſeine Augen heftet, hinlaͤnglich aus, daß er uͤber die Unſterblichkeit denke. So muß die Wahl der Bilder allemal durch den Gebrauch derſelben beſtimmt werden. Bilder der eigentlichen Allegorie bekommen ihre Bedeutung fuͤrnehmlich, wenn ſie nicht fuͤr ſich da ſtehen, ſon- dern geſchikt mit andern Gegenſtaͤnden verbunden ſind. So koͤnnen Mohnkoͤpfe verſchiedene Bedeu- tungen haben. Jn einen Kranz um die Schlaͤfe ei- ner ruhenden Perſon gewunden, bedeuten ſie den Schlaf. Es waͤre aber auch leicht, ſie in anderer Verbindung zum Bilde der Fruchtbarkeit zu ma- chen. Alſo gehoͤrt es zur Erfindung der Bilder, daß man ihren Gebrauch genau vor Augen habe. Die- jenigen ſcheinen die beſten zu ſeyn, welche als At- tributa oder Kennzeichen menſchlichen Figuren beygelegt werden; weil ſie auf dieſe Art mit der Vorſtellung einer Handlung koͤnnen begleitet wer- den, wodurch ihre Bedeutung viel groͤßer und auch kraͤftiger wird. So koͤnnte die Eitelkeit, ſich an- dern zur Bewundrung darzuſtellen, durch das Bild eines Pfauen wol ausgedrukt werden; aber brauch- barer wird die Allegorie, wenn man eine weibliche Figur dazu waͤhlt, an der man die Pfauenfedern als ein Abzeichen anbringt. Denn dadurch hat man Gelegenheit, durch den Ausdruk des Charak- ters, durch Stellung und Handlung die Allegorie viel beſtimmter und nachdruͤklicher zu machen, des- wegen haben die griechiſchen Kuͤnſtler ſo viel allego- riſche Perſonen erdacht. Ein ſehr ſchoͤnes Beyſpiel iſt das oben erwaͤhnte Bild der Nothwendigkeit aus dem Horaz. Von

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/52>, abgerufen am 26.04.2024.