Von der glüklichen Erfindung einzeler Bilder hängt auch die Erfindung ganzer Vorstellungen ab, sie seyn von der physischen, moralischen oder hi- storischen Gattung. Diese Vorstellungen müssen nothwendig durch handelnde Personen angedeutet werden; denn eine aus bloßen Zeichen zusammenge- setzte Vorstellung, nach Art der hieroglyphischen Schrift auf ägyptischen Denkmälern, verdient den Namen eines allegorischen Gemähldes niemals. Es würde vergeblich seyn, besondere Regeln zu Erfin- dung solcher Gemählde geben zu wollen. Jnzwi- schen kann es doch nüzlich seyn, wenn der Künstler die drey Hauptwege zur Erfindung der Allegorie fleis- sig überdenkt, und sich übet durch dieselben zu alle- gorischen Vorstellungen zu gelangen.
Der erste und leichteste ist der Weg des Beyspiels; da von der Sache, welche man allgemein vor- stellen will, blos besondere Fälle, als Beyspiele vor- gebildet werden, welche, entweder durch den Ort, oder durch gewiße Nebenumstände, leicht eine all- gemeine Bedeutung bekommen können. Ein alter Mahler oder Bildhauer durfte nur in einem Tem- pel der Fortung, den Dionysius in Corinth, den Tyrtäus an der Spitze eines Heeres, den Marius, wie er sich in einem Sumpf verstekt, Belisarius der um Almosen bittet, oder andere, eben so tref- fende, besondere Fälle großer Glüksveränderungen, vorstellen; so war die Allegorie schon da. Der Ort allein verwandelte diese besondere Fälle in allgemei- ne Vorstellungen über die Macht des Glüks, dem nichts zu hoch ist, um niedergedrükt; nichts zu niedrig, um erhöhet zu werden. Eine von den erwähnten Vorstellungen, blos in einem Zimmer gemahlt, macht noch keine Allegorie aus. Doch würde es einem nachdenkenden Künstler nicht schweer werden, sie zur Allegorie zu machen. Ein Tempel der For- tuna, irgendwo in dem Gemählde selbst gut ange- bracht, auch blos allegorische Verzierungen des Rahmens, der das Gemählde einfaßt, wären da- zu hinlänglich.
Der Weg des Gleichnißes, ist schon schweerer. Der Künstler muß erst ein gutes Gleichnis erfin- den, das seinen Gedanken wol ausdrüket, hernach aber durch eine andre Erfindung die Deutung des- selben anzeigen. Ein Gemählde, auf welchem zu se- hen wäre, wie ein Sturmwind eine gewaltige Ei- che niederreißt, hingegen kleinere schlanke Bäume und Sträucher blos etwas niederbeuget, könnte [Spaltenumbruch]
All
als eine bloße Landschaft angesehen werden. Es würde aber zur Allegorie werden, wenn auf demsel- ben Gemählde Personen so vorgestellt würden, daß man deutlich merkte, sie wenden die Vorstellung als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß den Widerwärtigkeiten eine gemäßigte, nachgebende Gemüthsart, und nicht ein stolzer widersetzlicher Sinn, entgegen zu setzen sey. Eine mittelmäßige Erfindungskraft kann durch diesen Weg zu schö- nen allegorischen Gemählden kommen.
Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, ist der schweerste, aber auch, wenn er glüklich betreten wird, der vollkommenste; indem er am weitesten führet. Wer durch diesen Weg die Gewalt und die man- cherley seltsamen Würkungen des Glüks vorstellen wollte; müßte es durch lauter erdichtete Bilder thun, neben denen nichts wahres oder eigentliches stühnde, wie in den beyden vorhergehenden Beyspie- len. Daher werden dergleichen Vorstellungen, reine Allegorien genennt. Das Glük würde z. E. als eine Göttin auf einem Thron sitzen. Man würde ihr solche Attributa geben, wodurch ver- schiedene Züge ihrer Macht so wol, als ihres Ei- gensinnes angedeutet würden. Ein Zauberstab in der Hand, könnte die schnelle und wunderbare Würkungen ihrer Macht ansdrüken. Jhren Thron könnte man schwebend, und von den verschiedenen, in allegorischer Gestallt erscheinenden Winden ge- tragen, vorstellen, um so wol die Schnelligkeit, als die Unbeständigkeit ihrer Wendungen auszudrü- ken. Jn dem Gesicht und in der Stellung könnte Wankelmuth, Eigensinn, Frechheit und Unbesonnen- heit ausgedrükt werden. Wollte man die Vorstel- lung ausführlicher machen, so könnte in verschie- denen Nebenbildern noch viel angezeiget werden. Jn dem Gefolge der Göttin könnten Reichthum und Armuth, Hoheit und Sclaverey, und verschie- dene Bilder dieser Art erscheinen. Vor ihr her könnte die Sicherheit ziehen oder etwas ähnliches, um anzuzeigen, daß das Glük unerwartet kömmt, und verschiedenes von dieser Art.
An dergleichen allegorische Vorstellungen aber muß sich kein Künstler wagen, als der sich getrauet in das Heiligthum der Kunst zu dringen, wo Apel- les und Raphael zu allen Geheimnißen derselben sind eingeweyhet worden. Denn hier gilt für- nehmlich, was Horaz von den Dichtern sagt:
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Erster Theil. F
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All
Von der gluͤklichen Erfindung einzeler Bilder haͤngt auch die Erfindung ganzer Vorſtellungen ab, ſie ſeyn von der phyſiſchen, moraliſchen oder hi- ſtoriſchen Gattung. Dieſe Vorſtellungen muͤſſen nothwendig durch handelnde Perſonen angedeutet werden; denn eine aus bloßen Zeichen zuſammenge- ſetzte Vorſtellung, nach Art der hieroglyphiſchen Schrift auf aͤgyptiſchen Denkmaͤlern, verdient den Namen eines allegoriſchen Gemaͤhldes niemals. Es wuͤrde vergeblich ſeyn, beſondere Regeln zu Erfin- dung ſolcher Gemaͤhlde geben zu wollen. Jnzwi- ſchen kann es doch nuͤzlich ſeyn, wenn der Kuͤnſtler die drey Hauptwege zur Erfindung der Allegorie fleiſ- ſig uͤberdenkt, und ſich uͤbet durch dieſelben zu alle- goriſchen Vorſtellungen zu gelangen.
Der erſte und leichteſte iſt der Weg des Beyſpiels; da von der Sache, welche man allgemein vor- ſtellen will, blos beſondere Faͤlle, als Beyſpiele vor- gebildet werden, welche, entweder durch den Ort, oder durch gewiße Nebenumſtaͤnde, leicht eine all- gemeine Bedeutung bekommen koͤnnen. Ein alter Mahler oder Bildhauer durfte nur in einem Tem- pel der Fortung, den Dionyſius in Corinth, den Tyrtaͤus an der Spitze eines Heeres, den Marius, wie er ſich in einem Sumpf verſtekt, Beliſarius der um Almoſen bittet, oder andere, eben ſo tref- fende, beſondere Faͤlle großer Gluͤksveraͤnderungen, vorſtellen; ſo war die Allegorie ſchon da. Der Ort allein verwandelte dieſe beſondere Faͤlle in allgemei- ne Vorſtellungen uͤber die Macht des Gluͤks, dem nichts zu hoch iſt, um niedergedruͤkt; nichts zu niedrig, um erhoͤhet zu werden. Eine von den erwaͤhnten Vorſtellungen, blos in einem Zimmer gemahlt, macht noch keine Allegorie aus. Doch wuͤrde es einem nachdenkenden Kuͤnſtler nicht ſchweer werden, ſie zur Allegorie zu machen. Ein Tempel der For- tuna, irgendwo in dem Gemaͤhlde ſelbſt gut ange- bracht, auch blos allegoriſche Verzierungen des Rahmens, der das Gemaͤhlde einfaßt, waͤren da- zu hinlaͤnglich.
Der Weg des Gleichnißes, iſt ſchon ſchweerer. Der Kuͤnſtler muß erſt ein gutes Gleichnis erfin- den, das ſeinen Gedanken wol ausdruͤket, hernach aber durch eine andre Erfindung die Deutung deſ- ſelben anzeigen. Ein Gemaͤhlde, auf welchem zu ſe- hen waͤre, wie ein Sturmwind eine gewaltige Ei- che niederreißt, hingegen kleinere ſchlanke Baͤume und Straͤucher blos etwas niederbeuget, koͤnnte [Spaltenumbruch]
All
als eine bloße Landſchaft angeſehen werden. Es wuͤrde aber zur Allegorie werden, wenn auf demſel- ben Gemaͤhlde Perſonen ſo vorgeſtellt wuͤrden, daß man deutlich merkte, ſie wenden die Vorſtellung als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß den Widerwaͤrtigkeiten eine gemaͤßigte, nachgebende Gemuͤthsart, und nicht ein ſtolzer widerſetzlicher Sinn, entgegen zu ſetzen ſey. Eine mittelmaͤßige Erfindungskraft kann durch dieſen Weg zu ſchoͤ- nen allegoriſchen Gemaͤhlden kommen.
Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, iſt der ſchweerſte, aber auch, wenn er gluͤklich betreten wird, der vollkommenſte; indem er am weiteſten fuͤhret. Wer durch dieſen Weg die Gewalt und die man- cherley ſeltſamen Wuͤrkungen des Gluͤks vorſtellen wollte; muͤßte es durch lauter erdichtete Bilder thun, neben denen nichts wahres oder eigentliches ſtuͤhnde, wie in den beyden vorhergehenden Beyſpie- len. Daher werden dergleichen Vorſtellungen, reine Allegorien genennt. Das Gluͤk wuͤrde z. E. als eine Goͤttin auf einem Thron ſitzen. Man wuͤrde ihr ſolche Attributa geben, wodurch ver- ſchiedene Zuͤge ihrer Macht ſo wol, als ihres Ei- genſinnes angedeutet wuͤrden. Ein Zauberſtab in der Hand, koͤnnte die ſchnelle und wunderbare Wuͤrkungen ihrer Macht ansdruͤken. Jhren Thron koͤnnte man ſchwebend, und von den verſchiedenen, in allegoriſcher Geſtallt erſcheinenden Winden ge- tragen, vorſtellen, um ſo wol die Schnelligkeit, als die Unbeſtaͤndigkeit ihrer Wendungen auszudruͤ- ken. Jn dem Geſicht und in der Stellung koͤnnte Wankelmuth, Eigenſinn, Frechheit und Unbeſonnen- heit ausgedruͤkt werden. Wollte man die Vorſtel- lung ausfuͤhrlicher machen, ſo koͤnnte in verſchie- denen Nebenbildern noch viel angezeiget werden. Jn dem Gefolge der Goͤttin koͤnnten Reichthum und Armuth, Hoheit und Sclaverey, und verſchie- dene Bilder dieſer Art erſcheinen. Vor ihr her koͤnnte die Sicherheit ziehen oder etwas aͤhnliches, um anzuzeigen, daß das Gluͤk unerwartet koͤmmt, und verſchiedenes von dieſer Art.
An dergleichen allegoriſche Vorſtellungen aber muß ſich kein Kuͤnſtler wagen, als der ſich getrauet in das Heiligthum der Kunſt zu dringen, wo Apel- les und Raphael zu allen Geheimnißen derſelben ſind eingeweyhet worden. Denn hier gilt fuͤr- nehmlich, was Horaz von den Dichtern ſagt:
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Erſter Theil. F
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Von der gluͤklichen Erfindung einzeler Bilder
haͤngt auch die Erfindung ganzer Vorſtellungen ab,
ſie ſeyn von der phyſiſchen, moraliſchen oder hi-
ſtoriſchen Gattung. Dieſe Vorſtellungen muͤſſen
nothwendig durch handelnde Perſonen angedeutet
werden; denn eine aus bloßen Zeichen zuſammenge-
ſetzte Vorſtellung, nach Art der hieroglyphiſchen
Schrift auf aͤgyptiſchen Denkmaͤlern, verdient den
Namen eines allegoriſchen Gemaͤhldes niemals. Es
wuͤrde vergeblich ſeyn, beſondere Regeln zu Erfin-
dung ſolcher Gemaͤhlde geben zu wollen. Jnzwi-
ſchen kann es doch nuͤzlich ſeyn, wenn der Kuͤnſtler
die drey Hauptwege zur Erfindung der Allegorie fleiſ-
ſig uͤberdenkt, und ſich uͤbet durch dieſelben zu alle-
goriſchen Vorſtellungen zu gelangen.
Der erſte und leichteſte iſt der Weg des Beyſpiels;
da von der Sache, welche man allgemein vor-
ſtellen will, blos beſondere Faͤlle, als Beyſpiele vor-
gebildet werden, welche, entweder durch den Ort,
oder durch gewiße Nebenumſtaͤnde, leicht eine all-
gemeine Bedeutung bekommen koͤnnen. Ein alter
Mahler oder Bildhauer durfte nur in einem Tem-
pel der Fortung, den Dionyſius in Corinth, den
Tyrtaͤus an der Spitze eines Heeres, den Marius,
wie er ſich in einem Sumpf verſtekt, Beliſarius
der um Almoſen bittet, oder andere, eben ſo tref-
fende, beſondere Faͤlle großer Gluͤksveraͤnderungen,
vorſtellen; ſo war die Allegorie ſchon da. Der Ort
allein verwandelte dieſe beſondere Faͤlle in allgemei-
ne Vorſtellungen uͤber die Macht des Gluͤks, dem
nichts zu hoch iſt, um niedergedruͤkt; nichts zu niedrig,
um erhoͤhet zu werden. Eine von den erwaͤhnten
Vorſtellungen, blos in einem Zimmer gemahlt,
macht noch keine Allegorie aus. Doch wuͤrde es
einem nachdenkenden Kuͤnſtler nicht ſchweer werden,
ſie zur Allegorie zu machen. Ein Tempel der For-
tuna, irgendwo in dem Gemaͤhlde ſelbſt gut ange-
bracht, auch blos allegoriſche Verzierungen des
Rahmens, der das Gemaͤhlde einfaßt, waͤren da-
zu hinlaͤnglich.
Der Weg des Gleichnißes, iſt ſchon ſchweerer.
Der Kuͤnſtler muß erſt ein gutes Gleichnis erfin-
den, das ſeinen Gedanken wol ausdruͤket, hernach
aber durch eine andre Erfindung die Deutung deſ-
ſelben anzeigen. Ein Gemaͤhlde, auf welchem zu ſe-
hen waͤre, wie ein Sturmwind eine gewaltige Ei-
che niederreißt, hingegen kleinere ſchlanke Baͤume
und Straͤucher blos etwas niederbeuget, koͤnnte
als eine bloße Landſchaft angeſehen werden. Es
wuͤrde aber zur Allegorie werden, wenn auf demſel-
ben Gemaͤhlde Perſonen ſo vorgeſtellt wuͤrden, daß
man deutlich merkte, ſie wenden die Vorſtellung
als ein Gleichnis auf die allgemeine Lehre an, daß
den Widerwaͤrtigkeiten eine gemaͤßigte, nachgebende
Gemuͤthsart, und nicht ein ſtolzer widerſetzlicher
Sinn, entgegen zu ſetzen ſey. Eine mittelmaͤßige
Erfindungskraft kann durch dieſen Weg zu ſchoͤ-
nen allegoriſchen Gemaͤhlden kommen.
Der dritte Weg, durch bloße Sinnbilder, iſt der
ſchweerſte, aber auch, wenn er gluͤklich betreten wird,
der vollkommenſte; indem er am weiteſten fuͤhret.
Wer durch dieſen Weg die Gewalt und die man-
cherley ſeltſamen Wuͤrkungen des Gluͤks vorſtellen
wollte; muͤßte es durch lauter erdichtete Bilder
thun, neben denen nichts wahres oder eigentliches
ſtuͤhnde, wie in den beyden vorhergehenden Beyſpie-
len. Daher werden dergleichen Vorſtellungen,
reine Allegorien genennt. Das Gluͤk wuͤrde
z. E. als eine Goͤttin auf einem Thron ſitzen. Man
wuͤrde ihr ſolche Attributa geben, wodurch ver-
ſchiedene Zuͤge ihrer Macht ſo wol, als ihres Ei-
genſinnes angedeutet wuͤrden. Ein Zauberſtab in
der Hand, koͤnnte die ſchnelle und wunderbare
Wuͤrkungen ihrer Macht ansdruͤken. Jhren Thron
koͤnnte man ſchwebend, und von den verſchiedenen,
in allegoriſcher Geſtallt erſcheinenden Winden ge-
tragen, vorſtellen, um ſo wol die Schnelligkeit,
als die Unbeſtaͤndigkeit ihrer Wendungen auszudruͤ-
ken. Jn dem Geſicht und in der Stellung koͤnnte
Wankelmuth, Eigenſinn, Frechheit und Unbeſonnen-
heit ausgedruͤkt werden. Wollte man die Vorſtel-
lung ausfuͤhrlicher machen, ſo koͤnnte in verſchie-
denen Nebenbildern noch viel angezeiget werden.
Jn dem Gefolge der Goͤttin koͤnnten Reichthum
und Armuth, Hoheit und Sclaverey, und verſchie-
dene Bilder dieſer Art erſcheinen. Vor ihr her
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und verſchiedenes von dieſer Art.
An dergleichen allegoriſche Vorſtellungen aber
muß ſich kein Kuͤnſtler wagen, als der ſich getrauet
in das Heiligthum der Kunſt zu dringen, wo Apel-
les und Raphael zu allen Geheimnißen derſelben
ſind eingeweyhet worden. Denn hier gilt fuͤr-
nehmlich, was Horaz von den Dichtern ſagt:
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/53>, abgerufen am 15.08.2024.
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