Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch] Geb zeichneten Muscheln, Pflanzen und Jnsekten? Undwarum sollte man, wenn dieses Studium einmal mit Ernst getrieben würde, die dazu gehörige Kunst- sprach und Terminologie nicht eben so gut finden können, als sie für die Naturgeschichte gefunden worden? Dieses würde den Weg bahnen, dem Redner, dem Man kann dem Redner und dem Schauspieler Wenn der Künstler durch genaue Beobachtung Geb überhaupt den allgemeinen Ton der Rede durchseine Gebehrden ausdrüke, und hingegen sich sehr in Acht nehme, dasjenige, was blos für den Verstand und nicht für die Empfindung ist, gleichsam durch mahlende Zeichen auszudrüken. Man muß, sagt Ci- cero, nicht einzele Worte, sondern das, was man im Ganzen empfindet, nicht durch Abzeichnung, sondern durch Andeutung, ausdruken [Spaltenumbruch] (+). Was der große Mann in der angezogenen Stelle demon- strationem verba exprimentem nennt, und hier durch Abzeichnung übersetzt ist, muß von dem Redner sehr sorgfältig vermieden werden. Es kann nichts fro- stiger seyn, als wenn ein Redner jedes Wort mit Zügen und Bewegungen der Hände und der Aerme abbilden, besonders, wenn er bloße Begriffe, die nur den Verstand angehen, wie das Nahe und Ferne, das Hohe und Niedrige und dergleichen Dinge, zeich- nen will. Die Gebehrden follen uns nicht deutliche Begriffe geben, sondern Empfindungen verstärken oder unterhalten. Hiernächst muß der Redner sich auch von dem die (+) Omnes autem hos motus subsequi debet gestus, non hic verba exprimens, scenicus, sed universam rem et seu- [Spaltenumbruch] tentiam, non demonstratione, sed significatione declarans. Cic. in Bruto. L. III. H h h 3
[Spaltenumbruch] Geb zeichneten Muſcheln, Pflanzen und Jnſekten? Undwarum ſollte man, wenn dieſes Studium einmal mit Ernſt getrieben wuͤrde, die dazu gehoͤrige Kunſt- ſprach und Terminologie nicht eben ſo gut finden koͤnnen, als ſie fuͤr die Naturgeſchichte gefunden worden? Dieſes wuͤrde den Weg bahnen, dem Redner, dem Man kann dem Redner und dem Schauſpieler Wenn der Kuͤnſtler durch genaue Beobachtung Geb uͤberhaupt den allgemeinen Ton der Rede durchſeine Gebehrden ausdruͤke, und hingegen ſich ſehr in Acht nehme, dasjenige, was blos fuͤr den Verſtand und nicht fuͤr die Empfindung iſt, gleichſam durch mahlende Zeichen auszudruͤken. Man muß, ſagt Ci- cero, nicht einzele Worte, ſondern das, was man im Ganzen empfindet, nicht durch Abzeichnung, ſondern durch Andeutung, ausdruken [Spaltenumbruch] (†). Was der große Mann in der angezogenen Stelle demon- ſtrationem verba exprimentem nennt, und hier durch Abzeichnung uͤberſetzt iſt, muß von dem Redner ſehr ſorgfaͤltig vermieden werden. Es kann nichts fro- ſtiger ſeyn, als wenn ein Redner jedes Wort mit Zuͤgen und Bewegungen der Haͤnde und der Aerme abbilden, beſonders, wenn er bloße Begriffe, die nur den Verſtand angehen, wie das Nahe und Ferne, das Hohe und Niedrige und dergleichen Dinge, zeich- nen will. Die Gebehrden follen uns nicht deutliche Begriffe geben, ſondern Empfindungen verſtaͤrken oder unterhalten. Hiernaͤchſt muß der Redner ſich auch von dem die (†) Omnes autem hos motus ſubſequi debet geſtus, non hic verba exprimens, ſcenicus, ſed univerſam rem et ſeu- [Spaltenumbruch] tentiam, non demonſtratione, ſed ſignificatione declarans. Cic. in Bruto. L. III. H h h 3
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Demoſthenes hielt es<lb/> fuͤr ſo wichtig, daß er auf Befragen, was in der<lb/> Beredſamkeit das wichtigſte ſey, antwortete: Der<lb/><hi rendition="#fr">Vortrag</hi> (wodurch er Stimm und Gebehrden ver-<lb/> ſtuhnd): und auf die weitere Fragen, was nach dem<lb/> zum zweyten und dritten, als das wichtigſte zu ſu-<lb/> chen ſey, immer dieſelbe Antwort wiederholte. Was<lb/> man an dem Redner ſieht, das wird unmittelbar<lb/> auf dem Grund der Seele empfunden; aber die<lb/> Worte kommen erſt in den Verſtand, und von da<lb/> durch eine Art der Ueberſetzung, wenigſtens durch<lb/> eine zweyte Handlung des Geiſtes, aber verſchwaͤcht,<lb/> an das Herz. Welche Worte ſind vermoͤgend die<lb/> innigſte Sehnſucht eines Verliebten, nach dem Ge-<lb/> genſtand ſeiner Wuͤnſche, ſo auszudruͤken, wie ſeine<lb/> Blicke und ſeine Gebehrden? Einigermaaßen iſt es<lb/> der Sappho in dem bekannten Lied an Phaon gelun-<lb/> gen, dieſes in Worten auszudruͤken: deßwegen auch<lb/><note place="left">(*) <hi rendition="#aq">Lon-<lb/> ginus.</hi></note>ein feiner Kenner (*) dieſe Ode unter die erhaben-<lb/> ſten Werke der Dichtkunſt zaͤhlt.</p><lb/> <p>Wenn der Kuͤnſtler durch genaue Beobachtung<lb/> der in Gebehrden liegenden Kraft, ſich von ihrer<lb/> Wichtigkeit voͤllig uͤberzeuget hat, ſo muß er nun<lb/> das beſondere Studium dieſes Theils der Kunſt vor-<lb/> nehmen. Daruͤber findet er aber bey dem Lehrer der<lb/> Redner, aus angezeigten Urſachen, nichts, als ſehr<lb/> allgemeine Anmerkungen; ſein Genie und ſein Fleiß<lb/> muͤſſen die beſondern Mittel finden. 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Geb
Geb
zeichneten Muſcheln, Pflanzen und Jnſekten? Und
warum ſollte man, wenn dieſes Studium einmal
mit Ernſt getrieben wuͤrde, die dazu gehoͤrige Kunſt-
ſprach und Terminologie nicht eben ſo gut finden
koͤnnen, als ſie fuͤr die Naturgeſchichte gefunden
worden?
Dieſes wuͤrde den Weg bahnen, dem Redner, dem
Schauſpieler und dem Mahler, den wichtigſten Theil
der Kunſt zu erleichtern.
Man kann dem Redner und dem Schauſpieler
nie genug wiederholen und nicht nachdruͤklich genug
ſagen, daß die Gebehrden redend ſeyn muͤſſen, noch
dem Zeichner, daß ſeine Figuren allemal verwerf-
lich ſind, wenn er ihnen nicht redende Stellungen
und Gebehrden geben kann. Demoſthenes hielt es
fuͤr ſo wichtig, daß er auf Befragen, was in der
Beredſamkeit das wichtigſte ſey, antwortete: Der
Vortrag (wodurch er Stimm und Gebehrden ver-
ſtuhnd): und auf die weitere Fragen, was nach dem
zum zweyten und dritten, als das wichtigſte zu ſu-
chen ſey, immer dieſelbe Antwort wiederholte. Was
man an dem Redner ſieht, das wird unmittelbar
auf dem Grund der Seele empfunden; aber die
Worte kommen erſt in den Verſtand, und von da
durch eine Art der Ueberſetzung, wenigſtens durch
eine zweyte Handlung des Geiſtes, aber verſchwaͤcht,
an das Herz. Welche Worte ſind vermoͤgend die
innigſte Sehnſucht eines Verliebten, nach dem Ge-
genſtand ſeiner Wuͤnſche, ſo auszudruͤken, wie ſeine
Blicke und ſeine Gebehrden? Einigermaaßen iſt es
der Sappho in dem bekannten Lied an Phaon gelun-
gen, dieſes in Worten auszudruͤken: deßwegen auch
ein feiner Kenner (*) dieſe Ode unter die erhaben-
ſten Werke der Dichtkunſt zaͤhlt.
(*) Lon-
ginus.
Wenn der Kuͤnſtler durch genaue Beobachtung
der in Gebehrden liegenden Kraft, ſich von ihrer
Wichtigkeit voͤllig uͤberzeuget hat, ſo muß er nun
das beſondere Studium dieſes Theils der Kunſt vor-
nehmen. Daruͤber findet er aber bey dem Lehrer der
Redner, aus angezeigten Urſachen, nichts, als ſehr
allgemeine Anmerkungen; ſein Genie und ſein Fleiß
muͤſſen die beſondern Mittel finden. Eine der wich-
tigſten allgemeinen Anmerkungen iſt dieſe: daß er
uͤberhaupt den allgemeinen Ton der Rede durch
ſeine Gebehrden ausdruͤke, und hingegen ſich ſehr
in Acht nehme, dasjenige, was blos fuͤr den Verſtand
und nicht fuͤr die Empfindung iſt, gleichſam durch
mahlende Zeichen auszudruͤken. Man muß, ſagt Ci-
cero, nicht einzele Worte, ſondern das, was man
im Ganzen empfindet, nicht durch Abzeichnung,
ſondern durch Andeutung, ausdruken
(†). Was
der große Mann in der angezogenen Stelle demon-
ſtrationem verba exprimentem nennt, und hier durch
Abzeichnung uͤberſetzt iſt, muß von dem Redner ſehr
ſorgfaͤltig vermieden werden. Es kann nichts fro-
ſtiger ſeyn, als wenn ein Redner jedes Wort mit
Zuͤgen und Bewegungen der Haͤnde und der Aerme
abbilden, beſonders, wenn er bloße Begriffe, die nur
den Verſtand angehen, wie das Nahe und Ferne,
das Hohe und Niedrige und dergleichen Dinge, zeich-
nen will. Die Gebehrden follen uns nicht deutliche
Begriffe geben, ſondern Empfindungen verſtaͤrken
oder unterhalten.
Hiernaͤchſt muß der Redner ſich auch von dem
Schauſpieler unterſcheiden. Er tritt wol vorberei-
tet auf, hat auf einmal den ganzen Umfang ſeiner
Materie vor ſich, iſt ganz und allein davon durch-
drungen, und behandelt ſie, als ein Mann, der
alles auf das genaueſte uͤberlegt hat. Darum muß
auch Einfoͤrmigkeit, Bedachtſamkeit und gute Faſ-
fung in ſeinen Gebehrden ſeyn. Bey dem Schau-
ſpieler verhaͤlt ſich die Sache ganz anders. Er
nihmt jeden Augenblik die Gebehrden deſſelben Au-
genbliks an; bald redet er, bald hoͤrt er zu. Die
Handlung reißt ihn mit fort, da der Redner ſeines
Vortrages Meiſter ſeyn muß. Der Schauſpieler
ſtellt einen fuͤr alles, was auf der Buͤhne vorgeht,
unvorbereiteten Menſchen vor, der ploͤtzlich, bald
angenehm, bald unangenehm geruͤhrt wird: ſeine
Gebehrden muͤſſen eben die Abwechslungen und die
Vermiſchung des Guten und Boͤſen, ſo wie ſie im
Leben vorkoͤmmt, ausdruͤken. Er muß in einem
Augenblik ſauer oder verdrießlich, und wieder ver-
gnuͤgt ausſehen. Alſo ſind die Gebehrden bey ihm
weit ſchnellern Abwechslungen und weit lebhaftern
Bewegungen unterworfen, als bey dem Redner.
Deßwegen will Cicero auch nicht, daß der Redner
die
(†) Omnes autem hos motus ſubſequi debet geſtus, non
hic verba exprimens, ſcenicus, ſed univerſam rem et ſeu-
tentiam, non demonſtratione, ſed ſignificatione declarans.
Cic. in Bruto. L. III.
H h h 3
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