Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.[Spaltenumbruch]
Ebe Ede Aber die blos mechanische Fassung des Ganzen Aus diesen Anmerkungen kann man den allge- Edel. (Schöne Künste.) Man nennt in allen Gattungen sittlicher Dinge, Demnach besteht das, was den Geschmak und die Ede daß eine Art sich auszudrüken feiner und ausgesuch-ter ist, als eine andre; daß ein Ton der Stimme vor dem andern etwas gefälliges hat; daß einige äus- serliche Manieren vor andern etwas vorzügliches ha- ben: diese Menschen sind von gemeinem, nicht edlen Geschmak. Diejenigen, die alle Empfindungen ohne Ueberlegung und ohne Wahl äussern, die darin we- der Anstand, noch Grade, noch Verhältnis empfin- den, sind Menschen von gemeiner, nicht edler Sin- nesart. Es erhellet hieraus, daß die Betrachtung des Es ist also eine allgemeine und wesentliche Regel, Daß auch Kenner der Kunst von so vielen Ge- beweißt
[Spaltenumbruch]
Ebe Ede Aber die blos mechaniſche Faſſung des Ganzen Aus dieſen Anmerkungen kann man den allge- Edel. (Schoͤne Kuͤnſte.) Man nennt in allen Gattungen ſittlicher Dinge, Demnach beſteht das, was den Geſchmak und die Ede daß eine Art ſich auszudruͤken feiner und ausgeſuch-ter iſt, als eine andre; daß ein Ton der Stimme vor dem andern etwas gefaͤlliges hat; daß einige aͤuſ- ſerliche Manieren vor andern etwas vorzuͤgliches ha- ben: dieſe Menſchen ſind von gemeinem, nicht edlen Geſchmak. Diejenigen, die alle Empfindungen ohne Ueberlegung und ohne Wahl aͤuſſern, die darin we- der Anſtand, noch Grade, noch Verhaͤltnis empfin- den, ſind Menſchen von gemeiner, nicht edler Sin- nesart. Es erhellet hieraus, daß die Betrachtung des Es iſt alſo eine allgemeine und weſentliche Regel, Daß auch Kenner der Kunſt von ſo vielen Ge- beweißt
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0300" n="288"/> <cb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Ebe Ede</hi> </fw><lb/> <p>Aber die blos mechaniſche Faſſung des Ganzen<lb/> iſt zur Erreichung des Ebenmaaſſes nicht hinlaͤnglich;<lb/> man muß dabey auch empfinden, von welcher Na-<lb/> tur und von welcher Wuͤrkung das Werk im Gan-<lb/> zen ſeyn ſoll. Denn nur dadurch kann man fuͤhlen,<lb/> ob jeder Theil ſeine angemeſſene Wuͤrkung im Gan-<lb/> zen thut, und ob jeder in ſeiner beſondern Natur<lb/> mit dem Weſen des Allgemeinen uͤbereinkommet.</p><lb/> <p>Aus dieſen Anmerkungen kann man den allge-<lb/> meinen Schluß ziehen, daß ein ganz anderes Genie<lb/> zu groſſen und weitlaͤuftigen, als zu kleinen Werken<lb/> gehoͤre. Ein Tonſetzer kann einen Menuet oder ein<lb/> Lied fuͤrtreflich ſetzen, und ganz ungeſchikt ſeyn, eine<lb/> Ouverture, oder einen Chor zu machen. Ein Dich-<lb/> ter kann der erſte Odendichter und ein ſehr ſchlechter<lb/> epiſcher oder dramatiſcher Dichter ſeyn; und der<lb/> Baumeiſter, der ein Wohnhaus auf das vollkom-<lb/> menſte angeben kann, muß darum ſich nicht einbil-<lb/> den, Talente genug zu haben, einen Pallaſt anzu-<lb/> geben. Die groſſen Arbeiten in jeder Art ſind nur<lb/> fuͤr die groͤßten Kuͤnſtlergenien.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head>Edel.<lb/> (Schoͤne Kuͤnſte.)</head><lb/> <p><hi rendition="#in">M</hi>an nennt in allen Gattungen ſittlicher Dinge,<lb/> die den Geſchmak betreffen, dasjenige <hi rendition="#fr">edel,</hi> was ſich<lb/> von dem gemeinen ſeiner Art durch einen erhoͤhten<lb/> Geſchmak unterſcheidet. Das Edle im mataphori-<lb/> ſchen Sinn ſcheinet allemal ſich auf etwas ſittliches<lb/> zu beziehen; denn man hoͤrt nie von edlem Verſtand,<lb/> oder von edler Ueberlegung, ſondern von edlem Be-<lb/> tragen, von edlen Geſinnungen ſprechen. Eigent-<lb/> lich liegt alſo das Edle in den Empfindungen, welche<lb/> gemein oder auch unedel ſind, wenn ſie durch keine<lb/> Ueberlegung, durch keinen verfeinerten Geſchmak,<lb/> der das beſſere dem ſchlechtern, das wolſchikliche dem<lb/> weniger ſchiklichen, das wolanſtaͤndige dem weni-<lb/> ger anſtaͤndigen vorzieht, erhoͤht worden.</p><lb/> <p>Demnach beſteht das, was den Geſchmak und die<lb/> Sinnesart edel macht, darin, daß man bey aͤſtheti-<lb/> ſchen und ſittlichen Gegenſtaͤnden das, was feiner,<lb/> ſchoͤner, uͤberlegter, ſchiklicher, mit einem Worte, voll-<lb/> kommener iſt, dem weniger vollkommenen nicht nur<lb/> vorzieht, wenn beyde vorhanden ſind, ſondern das<lb/> Vollkommenere bey Empfindung des Unvollkomme-<lb/> nern ſucht und fuͤhlet. Es giebt Menſchen, de-<lb/> nen in Abſicht auf die erwaͤhnten Arten der Gegen-<lb/> ſtaͤnde faſt alles gleichguͤltig iſt; die nicht empfinden,<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ede</hi></fw><lb/> daß eine Art ſich auszudruͤken feiner und ausgeſuch-<lb/> ter iſt, als eine andre; daß ein Ton der Stimme<lb/> vor dem andern etwas gefaͤlliges hat; daß einige aͤuſ-<lb/> ſerliche Manieren vor andern etwas vorzuͤgliches ha-<lb/> ben: dieſe Menſchen ſind von gemeinem, nicht edlen<lb/> Geſchmak. Diejenigen, die alle Empfindungen ohne<lb/> Ueberlegung und ohne Wahl aͤuſſern, die darin we-<lb/> der Anſtand, noch Grade, noch Verhaͤltnis empfin-<lb/> den, ſind Menſchen von gemeiner, nicht edler Sin-<lb/> nesart.</p><lb/> <p>Es erhellet hieraus, daß die Betrachtung des<lb/> Edlen der Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte weſentlich zu-<lb/> gehoͤre. Denn da ſie unmittelbar auf die Erhoͤhung<lb/> und Verfeinerung der untern Seelenkraͤfte, folglich<lb/> auf die Veredlung derſelben abzielen, ſo muß das<lb/> Edle nothwendig eine Eigenſchaft jedes Gegenſtandes<lb/> der Kunſt ſeyn, das unedle, niedrige oder gemeine<lb/> kann in den ſchoͤnen Kuͤnſten nicht anders, als zum Ge-<lb/> genſatz und zur Erhoͤhung des Edlen gebraucht werden,<lb/> ſo wie der Schatten zur Erhoͤhung des Lichts dienet.</p><lb/> <p>Es iſt alſo eine allgemeine und weſentliche Regel,<lb/> daß in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte alles edel<lb/> ſeyn muͤſſe, auſſer dem Fall, da man zu Erhoͤhung<lb/> des Edlen, mit guter Wahl, dem Unedlen einen<lb/> Platz vergoͤnnet. Jn den Werken des Geſchmaks<lb/> muß alles und jedes von einer Wahl zeugen, durch<lb/> welche der Kuͤnſtler das Vollkommene in jeder Art<lb/> dem Unvollkommenern vorgezogen hat. Was nicht<lb/> deutliche Spuhren dieſer Wahl an ſich hat, iſt in<lb/> Abſicht auf den Geſchmak ein ſchlechtes Werk. Das<lb/> Unedle aber kann da gebraucht werden, wo Spott<lb/> oder Verachtung zu erweken iſt. Dazu hat <hi rendition="#fr">Homer</hi><lb/> ſeinen <hi rendition="#fr">Therſites</hi> und ſo manchen unedlen Menſchen<lb/> unter den Freyern der <hi rendition="#fr">Penelope</hi> gebraucht, und aus<lb/> dieſer Abſicht hat <hi rendition="#fr">Buttler</hi> in ſeinem <hi rendition="#fr">Hudibras</hi> nichts,<lb/> als niedrige und unedle Perſonen und Auftritte<lb/> gewaͤhlt; beydes zeuget von Wahl und Geſchmak.<lb/> Aber wenn <hi rendition="#fr">Paul von Verona,</hi> wenn Rembrand und<lb/> ſo mancher Niederlaͤnder in ernſthaften Vorſtellun-<lb/> gen Perſonen, die nichts veraͤchtliches haben ſollen,<lb/> von niedrigen und unedlen Geſichtsbildungen, Ge-<lb/> behrden, Stellungen und Handlungen einfuͤhren,<lb/> ſo iſt es Mangel der Wahl und der Empfindung<lb/> des Edlen.</p><lb/> <p>Daß auch Kenner der Kunſt von ſo vielen Ge-<lb/> maͤhlden niederlaͤndiſcher Meiſter, darin man das Edle<lb/> ganz vermißt, mit groſſem Lobe ſprechen, daß ſolche<lb/> Stuͤke von Sammlern ſehr hoch gehalten werden,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">beweißt</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [288/0300]
Ebe Ede
Ede
Aber die blos mechaniſche Faſſung des Ganzen
iſt zur Erreichung des Ebenmaaſſes nicht hinlaͤnglich;
man muß dabey auch empfinden, von welcher Na-
tur und von welcher Wuͤrkung das Werk im Gan-
zen ſeyn ſoll. Denn nur dadurch kann man fuͤhlen,
ob jeder Theil ſeine angemeſſene Wuͤrkung im Gan-
zen thut, und ob jeder in ſeiner beſondern Natur
mit dem Weſen des Allgemeinen uͤbereinkommet.
Aus dieſen Anmerkungen kann man den allge-
meinen Schluß ziehen, daß ein ganz anderes Genie
zu groſſen und weitlaͤuftigen, als zu kleinen Werken
gehoͤre. Ein Tonſetzer kann einen Menuet oder ein
Lied fuͤrtreflich ſetzen, und ganz ungeſchikt ſeyn, eine
Ouverture, oder einen Chor zu machen. Ein Dich-
ter kann der erſte Odendichter und ein ſehr ſchlechter
epiſcher oder dramatiſcher Dichter ſeyn; und der
Baumeiſter, der ein Wohnhaus auf das vollkom-
menſte angeben kann, muß darum ſich nicht einbil-
den, Talente genug zu haben, einen Pallaſt anzu-
geben. Die groſſen Arbeiten in jeder Art ſind nur
fuͤr die groͤßten Kuͤnſtlergenien.
Edel.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Man nennt in allen Gattungen ſittlicher Dinge,
die den Geſchmak betreffen, dasjenige edel, was ſich
von dem gemeinen ſeiner Art durch einen erhoͤhten
Geſchmak unterſcheidet. Das Edle im mataphori-
ſchen Sinn ſcheinet allemal ſich auf etwas ſittliches
zu beziehen; denn man hoͤrt nie von edlem Verſtand,
oder von edler Ueberlegung, ſondern von edlem Be-
tragen, von edlen Geſinnungen ſprechen. Eigent-
lich liegt alſo das Edle in den Empfindungen, welche
gemein oder auch unedel ſind, wenn ſie durch keine
Ueberlegung, durch keinen verfeinerten Geſchmak,
der das beſſere dem ſchlechtern, das wolſchikliche dem
weniger ſchiklichen, das wolanſtaͤndige dem weni-
ger anſtaͤndigen vorzieht, erhoͤht worden.
Demnach beſteht das, was den Geſchmak und die
Sinnesart edel macht, darin, daß man bey aͤſtheti-
ſchen und ſittlichen Gegenſtaͤnden das, was feiner,
ſchoͤner, uͤberlegter, ſchiklicher, mit einem Worte, voll-
kommener iſt, dem weniger vollkommenen nicht nur
vorzieht, wenn beyde vorhanden ſind, ſondern das
Vollkommenere bey Empfindung des Unvollkomme-
nern ſucht und fuͤhlet. Es giebt Menſchen, de-
nen in Abſicht auf die erwaͤhnten Arten der Gegen-
ſtaͤnde faſt alles gleichguͤltig iſt; die nicht empfinden,
daß eine Art ſich auszudruͤken feiner und ausgeſuch-
ter iſt, als eine andre; daß ein Ton der Stimme
vor dem andern etwas gefaͤlliges hat; daß einige aͤuſ-
ſerliche Manieren vor andern etwas vorzuͤgliches ha-
ben: dieſe Menſchen ſind von gemeinem, nicht edlen
Geſchmak. Diejenigen, die alle Empfindungen ohne
Ueberlegung und ohne Wahl aͤuſſern, die darin we-
der Anſtand, noch Grade, noch Verhaͤltnis empfin-
den, ſind Menſchen von gemeiner, nicht edler Sin-
nesart.
Es erhellet hieraus, daß die Betrachtung des
Edlen der Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte weſentlich zu-
gehoͤre. Denn da ſie unmittelbar auf die Erhoͤhung
und Verfeinerung der untern Seelenkraͤfte, folglich
auf die Veredlung derſelben abzielen, ſo muß das
Edle nothwendig eine Eigenſchaft jedes Gegenſtandes
der Kunſt ſeyn, das unedle, niedrige oder gemeine
kann in den ſchoͤnen Kuͤnſten nicht anders, als zum Ge-
genſatz und zur Erhoͤhung des Edlen gebraucht werden,
ſo wie der Schatten zur Erhoͤhung des Lichts dienet.
Es iſt alſo eine allgemeine und weſentliche Regel,
daß in den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte alles edel
ſeyn muͤſſe, auſſer dem Fall, da man zu Erhoͤhung
des Edlen, mit guter Wahl, dem Unedlen einen
Platz vergoͤnnet. Jn den Werken des Geſchmaks
muß alles und jedes von einer Wahl zeugen, durch
welche der Kuͤnſtler das Vollkommene in jeder Art
dem Unvollkommenern vorgezogen hat. Was nicht
deutliche Spuhren dieſer Wahl an ſich hat, iſt in
Abſicht auf den Geſchmak ein ſchlechtes Werk. Das
Unedle aber kann da gebraucht werden, wo Spott
oder Verachtung zu erweken iſt. Dazu hat Homer
ſeinen Therſites und ſo manchen unedlen Menſchen
unter den Freyern der Penelope gebraucht, und aus
dieſer Abſicht hat Buttler in ſeinem Hudibras nichts,
als niedrige und unedle Perſonen und Auftritte
gewaͤhlt; beydes zeuget von Wahl und Geſchmak.
Aber wenn Paul von Verona, wenn Rembrand und
ſo mancher Niederlaͤnder in ernſthaften Vorſtellun-
gen Perſonen, die nichts veraͤchtliches haben ſollen,
von niedrigen und unedlen Geſichtsbildungen, Ge-
behrden, Stellungen und Handlungen einfuͤhren,
ſo iſt es Mangel der Wahl und der Empfindung
des Edlen.
Daß auch Kenner der Kunſt von ſo vielen Ge-
maͤhlden niederlaͤndiſcher Meiſter, darin man das Edle
ganz vermißt, mit groſſem Lobe ſprechen, daß ſolche
Stuͤke von Sammlern ſehr hoch gehalten werden,
beweißt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |