Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Bew
gen, daß das Vorgeben falsch ist. Dies ist der
gerade Weg zu beweisen. Liegt in der Sache selbst
nichts, woraus der Beweis könnte geführt wer-
den, so findet sich oft, zu demselben Behuf, etwas
ausser ihr. Man beweißt nämlich, daß die Sache,
wenn sie wahr wäre, diese oder jene Folge hätte
nach sich ziehen müssen, und zeiget, daß dieses
nicht geschehn. Daraus schließt man, daß also
das Vorgeben falsch sey; dies ist ein Umweg. Eben
dieses hat auch in Fällen statt, wo die Beschaffen-
heit einer Sache untersucht wird. Nämlich die Be-
schaffenheit der Sache, welche man erhärten will,
wird entweder aus der Natur der Sache geradezu
erwiesen, oder man erweißt die Richtigkeit einer
andern Sache, und zeiget hernach, daß aus dieser
auch jene nothwendig folge.

Wir müssen aber, um diese Sache näher zu be-
leuchten, die besondern Fälle dieser beyden Haupt-
gattungen der vernunftmäßigen Beweise, betrachten.
Dasjenige, was man beweisen will, läßt sich alle-
mal auf einen einfachen Satz bringen, in welchem
von einer Sache etwas gesagt wird; das ist, nach
den Ausdrüken der Schulen zu reden, wo ein Sub-
jectum
und ein Praedicatum ist. Mithin kann der
Redner sich umsehen, ob die Natur des einen oder
des andern ihm den besten Grund zum Beweis ab-
gebe. Er wird bald sehen, welche von beyden ihn
am sichersten zum Zwek führen. Wir wollen setzen,
der Redner habe unternommen, einen der Verrä-
therey gegen den Staat angeklagten zu vertheidi-
gen; so ist der Satz, den er zu beweisen hat, die-
ser: Dieser Mann hat den Staat nicht verrathen.
Der Beweis soll aus der Natur der Sache genom-
men werden.

Hiebey ist offenbar, daß der Redner entweder den
Begriff des Staats, oder den Begriff des Ver-
raths zum Grunde legen kann. Findet er, daß
die That, wenn sie gegen den Staat unternom-
men wäre, würklich eine Verrätherey wäre, so muß
er suchen zu beweisen, daß sie nicht gegen den Staat,
sondern gegen gewisse Personen unternommen wor-
den. Z. E. gegen einige Glieder der Regierung,
die man nicht mit dem wahren Souverain verwech-
seln muß. Jst aber der Fall so, daß die Handlung
würklich den Staat betrift; so muß der Redner sei-
nen Beweis aus der Natur der Handlung herneh-
men und zeigen, daß sie fälschlich eine Verrätherey
genennt werde.

[Spaltenumbruch]
Bew

Ein nachdenkender Redner kann selten lange im
Zweifel stehen, ob er seinen Beweis aus der Natur
des Subjecti oder des Praedicati hernehmen soll; denn
nach genauer Untersuchung der Sache, wird er bald
finden, aus welchem er die größte Ueberzeugung
bewürken könne. Weiß er zum voraus, auf wel-
ches von beyden der Ankläger hauptsächlich die Klage
gründen wird; so ist seine Wahl ofte dadurch be-
stimmt. Können ihm beyde zu Beweisgründen
dienen, und er ist ungewiß, worauf der Ankläger
hauptsächlich bestehen wird; so kann er einen dop-
pelten Beweis führen, den einen aus der Natur
des Subjecti, den andern von dem Praedicato her-
genommen.

Bey einem aus der Natur der Sache hergenom-
menen Beweis setzt Cicero drey besondere Fälle.
Entweder gründet sich der Beweis auf die ganze Na-
tur und das Wesen der Sache, so daß der Redner
beweisen kann, das Wesen derselben mache sein Vor-
geben nothwendig; oder wenn das Wesen der Sache
nicht kann bestimmt werden, so nimmt man alle
ihre Eigenschaften besonders und zeiget, wie jede
den Satz bestätiget; oder die Hauptsache kommt nur
auf eine einzige Eigenschaft der Sache an, so hält
man sich an dieser allein. Jm ersten Fall ist also
der Beweisgrund, die Sacherklärung; (definitio rei)
im zweyten die Zergliederung der Sache, wodurch
alle ihre Eigenschaften angegeben werden; (partium
enumeratio
) endlich im dritten Fall ist der Beweis-
grund eine Worterklärung, da man aus dem Na-
men der Sache, wodurch ihr eine gewisse Eigenschaft
beygelegt wird, den Beweis herleitet. (ex notatione)
Folgende drey Beyspiele werden diese drey Arten
der Beweisgründe erläutern.

Beweis, der aus der Erklärung der Sache her-
genommen ist. "Wenn die Majestät des Römischen
"Staats in seinem Ansehen und in seiner Würde be-
"steht, so beleidigt der diese Majestät, welcher den
"Feinden des römischen Volks sein Heer überliefert;
"nicht der, welcher denjenigen, der dieses gethan
"hat, dem Volke zur Bestrafung einliefert." Hier
wird der Beweis auf die Erklärung des Begriffs
Majestät gegründet.

Beweis aus Zergliederung der Sache. "Jn
"diesen Umständen waren nur drey Wege möglich.
"Entweder, man mußte dem Befehl des Senats
"gehorchen; oder man mußte eine neue Berathschla-
"gung veranlassen; oder man mußte endlich nach sei-

"nem
X 2

[Spaltenumbruch]

Bew
gen, daß das Vorgeben falſch iſt. Dies iſt der
gerade Weg zu beweiſen. Liegt in der Sache ſelbſt
nichts, woraus der Beweis koͤnnte gefuͤhrt wer-
den, ſo findet ſich oft, zu demſelben Behuf, etwas
auſſer ihr. Man beweißt naͤmlich, daß die Sache,
wenn ſie wahr waͤre, dieſe oder jene Folge haͤtte
nach ſich ziehen muͤſſen, und zeiget, daß dieſes
nicht geſchehn. Daraus ſchließt man, daß alſo
das Vorgeben falſch ſey; dies iſt ein Umweg. Eben
dieſes hat auch in Faͤllen ſtatt, wo die Beſchaffen-
heit einer Sache unterſucht wird. Naͤmlich die Be-
ſchaffenheit der Sache, welche man erhaͤrten will,
wird entweder aus der Natur der Sache geradezu
erwieſen, oder man erweißt die Richtigkeit einer
andern Sache, und zeiget hernach, daß aus dieſer
auch jene nothwendig folge.

Wir muͤſſen aber, um dieſe Sache naͤher zu be-
leuchten, die beſondern Faͤlle dieſer beyden Haupt-
gattungen der vernunftmaͤßigen Beweiſe, betrachten.
Dasjenige, was man beweiſen will, laͤßt ſich alle-
mal auf einen einfachen Satz bringen, in welchem
von einer Sache etwas geſagt wird; das iſt, nach
den Ausdruͤken der Schulen zu reden, wo ein Sub-
jectum
und ein Prædicatum iſt. Mithin kann der
Redner ſich umſehen, ob die Natur des einen oder
des andern ihm den beſten Grund zum Beweis ab-
gebe. Er wird bald ſehen, welche von beyden ihn
am ſicherſten zum Zwek fuͤhren. Wir wollen ſetzen,
der Redner habe unternommen, einen der Verraͤ-
therey gegen den Staat angeklagten zu vertheidi-
gen; ſo iſt der Satz, den er zu beweiſen hat, die-
ſer: Dieſer Mann hat den Staat nicht verrathen.
Der Beweis ſoll aus der Natur der Sache genom-
men werden.

Hiebey iſt offenbar, daß der Redner entweder den
Begriff des Staats, oder den Begriff des Ver-
raths zum Grunde legen kann. Findet er, daß
die That, wenn ſie gegen den Staat unternom-
men waͤre, wuͤrklich eine Verraͤtherey waͤre, ſo muß
er ſuchen zu beweiſen, daß ſie nicht gegen den Staat,
ſondern gegen gewiſſe Perſonen unternommen wor-
den. Z. E. gegen einige Glieder der Regierung,
die man nicht mit dem wahren Souverain verwech-
ſeln muß. Jſt aber der Fall ſo, daß die Handlung
wuͤrklich den Staat betrift; ſo muß der Redner ſei-
nen Beweis aus der Natur der Handlung herneh-
men und zeigen, daß ſie faͤlſchlich eine Verraͤtherey
genennt werde.

[Spaltenumbruch]
Bew

Ein nachdenkender Redner kann ſelten lange im
Zweifel ſtehen, ob er ſeinen Beweis aus der Natur
des Subjecti oder des Prædicati hernehmen ſoll; denn
nach genauer Unterſuchung der Sache, wird er bald
finden, aus welchem er die groͤßte Ueberzeugung
bewuͤrken koͤnne. Weiß er zum voraus, auf wel-
ches von beyden der Anklaͤger hauptſaͤchlich die Klage
gruͤnden wird; ſo iſt ſeine Wahl ofte dadurch be-
ſtimmt. Koͤnnen ihm beyde zu Beweisgruͤnden
dienen, und er iſt ungewiß, worauf der Anklaͤger
hauptſaͤchlich beſtehen wird; ſo kann er einen dop-
pelten Beweis fuͤhren, den einen aus der Natur
des Subjecti, den andern von dem Prædicato her-
genommen.

Bey einem aus der Natur der Sache hergenom-
menen Beweis ſetzt Cicero drey beſondere Faͤlle.
Entweder gruͤndet ſich der Beweis auf die ganze Na-
tur und das Weſen der Sache, ſo daß der Redner
beweiſen kann, das Weſen derſelben mache ſein Vor-
geben nothwendig; oder wenn das Weſen der Sache
nicht kann beſtimmt werden, ſo nimmt man alle
ihre Eigenſchaften beſonders und zeiget, wie jede
den Satz beſtaͤtiget; oder die Hauptſache kommt nur
auf eine einzige Eigenſchaft der Sache an, ſo haͤlt
man ſich an dieſer allein. Jm erſten Fall iſt alſo
der Beweisgrund, die Sacherklaͤrung; (definitio rei)
im zweyten die Zergliederung der Sache, wodurch
alle ihre Eigenſchaften angegeben werden; (partium
enumeratio
) endlich im dritten Fall iſt der Beweis-
grund eine Worterklaͤrung, da man aus dem Na-
men der Sache, wodurch ihr eine gewiſſe Eigenſchaft
beygelegt wird, den Beweis herleitet. (ex notatione)
Folgende drey Beyſpiele werden dieſe drey Arten
der Beweisgruͤnde erlaͤutern.

Beweis, der aus der Erklaͤrung der Sache her-
genommen iſt. „Wenn die Majeſtaͤt des Roͤmiſchen
„Staats in ſeinem Anſehen und in ſeiner Wuͤrde be-
„ſteht, ſo beleidigt der dieſe Majeſtaͤt, welcher den
„Feinden des roͤmiſchen Volks ſein Heer uͤberliefert;
„nicht der, welcher denjenigen, der dieſes gethan
„hat, dem Volke zur Beſtrafung einliefert.‟ Hier
wird der Beweis auf die Erklaͤrung des Begriffs
Majeſtaͤt gegruͤndet.

Beweis aus Zergliederung der Sache. „Jn
„dieſen Umſtaͤnden waren nur drey Wege moͤglich.
„Entweder, man mußte dem Befehl des Senats
„gehorchen; oder man mußte eine neue Berathſchla-
„gung veranlaſſen; oder man mußte endlich nach ſei-

„nem
X 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0175" n="163"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Bew</hi></fw><lb/>
gen, daß das Vorgeben fal&#x017F;ch i&#x017F;t. Dies i&#x017F;t der<lb/>
gerade Weg zu bewei&#x017F;en. Liegt in der Sache &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nichts, woraus der Beweis ko&#x0364;nnte gefu&#x0364;hrt wer-<lb/>
den, &#x017F;o findet &#x017F;ich oft, zu dem&#x017F;elben Behuf, etwas<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er ihr. Man beweißt na&#x0364;mlich, daß die Sache,<lb/>
wenn &#x017F;ie wahr wa&#x0364;re, die&#x017F;e oder jene Folge ha&#x0364;tte<lb/>
nach &#x017F;ich ziehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und zeiget, daß die&#x017F;es<lb/>
nicht ge&#x017F;chehn. Daraus &#x017F;chließt man, daß al&#x017F;o<lb/>
das Vorgeben fal&#x017F;ch &#x017F;ey; dies i&#x017F;t ein Umweg. Eben<lb/>
die&#x017F;es hat auch in Fa&#x0364;llen &#x017F;tatt, wo die Be&#x017F;chaffen-<lb/>
heit einer Sache unter&#x017F;ucht wird. Na&#x0364;mlich die Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit der Sache, welche man erha&#x0364;rten will,<lb/>
wird entweder aus der Natur der Sache geradezu<lb/>
erwie&#x017F;en, oder man erweißt die Richtigkeit einer<lb/>
andern Sache, und zeiget hernach, daß aus die&#x017F;er<lb/>
auch jene nothwendig folge.</p><lb/>
          <p>Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aber, um die&#x017F;e Sache na&#x0364;her zu be-<lb/>
leuchten, die be&#x017F;ondern Fa&#x0364;lle die&#x017F;er beyden Haupt-<lb/>
gattungen der vernunftma&#x0364;ßigen Bewei&#x017F;e, betrachten.<lb/>
Dasjenige, was man bewei&#x017F;en will, la&#x0364;ßt &#x017F;ich alle-<lb/>
mal auf einen einfachen Satz bringen, in welchem<lb/>
von einer Sache etwas ge&#x017F;agt wird; das i&#x017F;t, nach<lb/>
den Ausdru&#x0364;ken der Schulen zu reden, wo ein <hi rendition="#aq">Sub-<lb/>
jectum</hi> und ein <hi rendition="#aq">Prædicatum</hi> i&#x017F;t. Mithin kann der<lb/>
Redner &#x017F;ich um&#x017F;ehen, ob die Natur des einen oder<lb/>
des andern ihm den be&#x017F;ten Grund zum Beweis ab-<lb/>
gebe. Er wird bald &#x017F;ehen, welche von beyden ihn<lb/>
am &#x017F;icher&#x017F;ten zum Zwek fu&#x0364;hren. Wir wollen &#x017F;etzen,<lb/>
der Redner habe unternommen, einen der Verra&#x0364;-<lb/>
therey gegen den Staat angeklagten zu vertheidi-<lb/>
gen; &#x017F;o i&#x017F;t der Satz, den er zu bewei&#x017F;en hat, die-<lb/>
&#x017F;er: Die&#x017F;er Mann hat den Staat nicht verrathen.<lb/>
Der Beweis &#x017F;oll aus der Natur der Sache genom-<lb/>
men werden.</p><lb/>
          <p>Hiebey i&#x017F;t offenbar, daß der Redner entweder den<lb/>
Begriff des Staats, oder den Begriff des Ver-<lb/>
raths zum Grunde legen kann. Findet er, daß<lb/>
die That, wenn &#x017F;ie gegen den Staat unternom-<lb/>
men wa&#x0364;re, wu&#x0364;rklich eine Verra&#x0364;therey wa&#x0364;re, &#x017F;o muß<lb/>
er &#x017F;uchen zu bewei&#x017F;en, daß &#x017F;ie nicht gegen den Staat,<lb/>
&#x017F;ondern gegen gewi&#x017F;&#x017F;e Per&#x017F;onen unternommen wor-<lb/>
den. Z. E. gegen einige Glieder der Regierung,<lb/>
die man nicht mit dem wahren Souverain verwech-<lb/>
&#x017F;eln muß. J&#x017F;t aber der Fall &#x017F;o, daß die Handlung<lb/>
wu&#x0364;rklich den Staat betrift; &#x017F;o muß der Redner &#x017F;ei-<lb/>
nen Beweis aus der Natur der Handlung herneh-<lb/>
men und zeigen, daß &#x017F;ie fa&#x0364;l&#x017F;chlich eine Verra&#x0364;therey<lb/>
genennt werde.</p><lb/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Bew</hi> </fw><lb/>
          <p>Ein nachdenkender Redner kann &#x017F;elten lange im<lb/>
Zweifel &#x017F;tehen, ob er &#x017F;einen Beweis aus der Natur<lb/>
des <hi rendition="#aq">Subjecti</hi> oder des <hi rendition="#aq">Prædicati</hi> hernehmen &#x017F;oll; denn<lb/>
nach genauer Unter&#x017F;uchung der Sache, wird er bald<lb/>
finden, aus welchem er die gro&#x0364;ßte Ueberzeugung<lb/>
bewu&#x0364;rken ko&#x0364;nne. Weiß er zum voraus, auf wel-<lb/>
ches von beyden der Ankla&#x0364;ger haupt&#x017F;a&#x0364;chlich die Klage<lb/>
gru&#x0364;nden wird; &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;eine Wahl ofte dadurch be-<lb/>
&#x017F;timmt. Ko&#x0364;nnen ihm beyde zu Beweisgru&#x0364;nden<lb/>
dienen, und er i&#x017F;t ungewiß, worauf der Ankla&#x0364;ger<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chlich be&#x017F;tehen wird; &#x017F;o kann er einen dop-<lb/>
pelten Beweis fu&#x0364;hren, den einen aus der Natur<lb/>
des <hi rendition="#aq">Subjecti,</hi> den andern von dem <hi rendition="#aq">Prædicato</hi> her-<lb/>
genommen.</p><lb/>
          <p>Bey einem aus der Natur der Sache hergenom-<lb/>
menen Beweis &#x017F;etzt <hi rendition="#fr">Cicero</hi> drey be&#x017F;ondere Fa&#x0364;lle.<lb/>
Entweder gru&#x0364;ndet &#x017F;ich der Beweis auf die ganze Na-<lb/>
tur und das We&#x017F;en der Sache, &#x017F;o daß der Redner<lb/>
bewei&#x017F;en kann, das We&#x017F;en der&#x017F;elben mache &#x017F;ein Vor-<lb/>
geben nothwendig; oder wenn das We&#x017F;en der Sache<lb/>
nicht kann be&#x017F;timmt werden, &#x017F;o nimmt man alle<lb/>
ihre Eigen&#x017F;chaften be&#x017F;onders und zeiget, wie jede<lb/>
den Satz be&#x017F;ta&#x0364;tiget; oder die Haupt&#x017F;ache kommt nur<lb/>
auf eine einzige Eigen&#x017F;chaft der Sache an, &#x017F;o ha&#x0364;lt<lb/>
man &#x017F;ich an die&#x017F;er allein. Jm er&#x017F;ten Fall i&#x017F;t al&#x017F;o<lb/>
der Beweisgrund, die <hi rendition="#fr">Sacherkla&#x0364;rung;</hi> (<hi rendition="#aq">definitio rei</hi>)<lb/>
im zweyten die <hi rendition="#fr">Zergliederung der Sache,</hi> wodurch<lb/>
alle ihre Eigen&#x017F;chaften angegeben werden; (<hi rendition="#aq">partium<lb/>
enumeratio</hi>) endlich im dritten Fall i&#x017F;t der Beweis-<lb/>
grund eine Worterkla&#x0364;rung, da man aus dem Na-<lb/>
men der Sache, wodurch ihr eine gewi&#x017F;&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft<lb/>
beygelegt wird, den Beweis herleitet. (<hi rendition="#aq">ex notatione</hi>)<lb/>
Folgende drey Bey&#x017F;piele werden die&#x017F;e drey Arten<lb/>
der Beweisgru&#x0364;nde erla&#x0364;utern.</p><lb/>
          <p>Beweis, der aus der Erkla&#x0364;rung der Sache her-<lb/>
genommen i&#x017F;t. &#x201E;Wenn die Maje&#x017F;ta&#x0364;t des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;Staats in &#x017F;einem An&#x017F;ehen und in &#x017F;einer Wu&#x0364;rde be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;teht, &#x017F;o beleidigt der die&#x017F;e Maje&#x017F;ta&#x0364;t, welcher den<lb/>
&#x201E;Feinden des ro&#x0364;mi&#x017F;chen Volks &#x017F;ein Heer u&#x0364;berliefert;<lb/>
&#x201E;nicht der, welcher denjenigen, der die&#x017F;es gethan<lb/>
&#x201E;hat, dem Volke zur Be&#x017F;trafung einliefert.&#x201F; Hier<lb/>
wird der Beweis auf die Erkla&#x0364;rung des Begriffs<lb/><hi rendition="#fr">Maje&#x017F;ta&#x0364;t</hi> gegru&#x0364;ndet.</p><lb/>
          <p>Beweis aus Zergliederung der Sache. &#x201E;Jn<lb/>
&#x201E;die&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden waren nur drey Wege mo&#x0364;glich.<lb/>
&#x201E;Entweder, man mußte dem Befehl des Senats<lb/>
&#x201E;gehorchen; oder man mußte eine neue Berath&#x017F;chla-<lb/>
&#x201E;gung veranla&#x017F;&#x017F;en; oder man mußte endlich nach &#x017F;ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;nem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0175] Bew Bew gen, daß das Vorgeben falſch iſt. Dies iſt der gerade Weg zu beweiſen. Liegt in der Sache ſelbſt nichts, woraus der Beweis koͤnnte gefuͤhrt wer- den, ſo findet ſich oft, zu demſelben Behuf, etwas auſſer ihr. Man beweißt naͤmlich, daß die Sache, wenn ſie wahr waͤre, dieſe oder jene Folge haͤtte nach ſich ziehen muͤſſen, und zeiget, daß dieſes nicht geſchehn. Daraus ſchließt man, daß alſo das Vorgeben falſch ſey; dies iſt ein Umweg. Eben dieſes hat auch in Faͤllen ſtatt, wo die Beſchaffen- heit einer Sache unterſucht wird. Naͤmlich die Be- ſchaffenheit der Sache, welche man erhaͤrten will, wird entweder aus der Natur der Sache geradezu erwieſen, oder man erweißt die Richtigkeit einer andern Sache, und zeiget hernach, daß aus dieſer auch jene nothwendig folge. Wir muͤſſen aber, um dieſe Sache naͤher zu be- leuchten, die beſondern Faͤlle dieſer beyden Haupt- gattungen der vernunftmaͤßigen Beweiſe, betrachten. Dasjenige, was man beweiſen will, laͤßt ſich alle- mal auf einen einfachen Satz bringen, in welchem von einer Sache etwas geſagt wird; das iſt, nach den Ausdruͤken der Schulen zu reden, wo ein Sub- jectum und ein Prædicatum iſt. Mithin kann der Redner ſich umſehen, ob die Natur des einen oder des andern ihm den beſten Grund zum Beweis ab- gebe. Er wird bald ſehen, welche von beyden ihn am ſicherſten zum Zwek fuͤhren. Wir wollen ſetzen, der Redner habe unternommen, einen der Verraͤ- therey gegen den Staat angeklagten zu vertheidi- gen; ſo iſt der Satz, den er zu beweiſen hat, die- ſer: Dieſer Mann hat den Staat nicht verrathen. Der Beweis ſoll aus der Natur der Sache genom- men werden. Hiebey iſt offenbar, daß der Redner entweder den Begriff des Staats, oder den Begriff des Ver- raths zum Grunde legen kann. Findet er, daß die That, wenn ſie gegen den Staat unternom- men waͤre, wuͤrklich eine Verraͤtherey waͤre, ſo muß er ſuchen zu beweiſen, daß ſie nicht gegen den Staat, ſondern gegen gewiſſe Perſonen unternommen wor- den. Z. E. gegen einige Glieder der Regierung, die man nicht mit dem wahren Souverain verwech- ſeln muß. Jſt aber der Fall ſo, daß die Handlung wuͤrklich den Staat betrift; ſo muß der Redner ſei- nen Beweis aus der Natur der Handlung herneh- men und zeigen, daß ſie faͤlſchlich eine Verraͤtherey genennt werde. Ein nachdenkender Redner kann ſelten lange im Zweifel ſtehen, ob er ſeinen Beweis aus der Natur des Subjecti oder des Prædicati hernehmen ſoll; denn nach genauer Unterſuchung der Sache, wird er bald finden, aus welchem er die groͤßte Ueberzeugung bewuͤrken koͤnne. Weiß er zum voraus, auf wel- ches von beyden der Anklaͤger hauptſaͤchlich die Klage gruͤnden wird; ſo iſt ſeine Wahl ofte dadurch be- ſtimmt. Koͤnnen ihm beyde zu Beweisgruͤnden dienen, und er iſt ungewiß, worauf der Anklaͤger hauptſaͤchlich beſtehen wird; ſo kann er einen dop- pelten Beweis fuͤhren, den einen aus der Natur des Subjecti, den andern von dem Prædicato her- genommen. Bey einem aus der Natur der Sache hergenom- menen Beweis ſetzt Cicero drey beſondere Faͤlle. Entweder gruͤndet ſich der Beweis auf die ganze Na- tur und das Weſen der Sache, ſo daß der Redner beweiſen kann, das Weſen derſelben mache ſein Vor- geben nothwendig; oder wenn das Weſen der Sache nicht kann beſtimmt werden, ſo nimmt man alle ihre Eigenſchaften beſonders und zeiget, wie jede den Satz beſtaͤtiget; oder die Hauptſache kommt nur auf eine einzige Eigenſchaft der Sache an, ſo haͤlt man ſich an dieſer allein. Jm erſten Fall iſt alſo der Beweisgrund, die Sacherklaͤrung; (definitio rei) im zweyten die Zergliederung der Sache, wodurch alle ihre Eigenſchaften angegeben werden; (partium enumeratio) endlich im dritten Fall iſt der Beweis- grund eine Worterklaͤrung, da man aus dem Na- men der Sache, wodurch ihr eine gewiſſe Eigenſchaft beygelegt wird, den Beweis herleitet. (ex notatione) Folgende drey Beyſpiele werden dieſe drey Arten der Beweisgruͤnde erlaͤutern. Beweis, der aus der Erklaͤrung der Sache her- genommen iſt. „Wenn die Majeſtaͤt des Roͤmiſchen „Staats in ſeinem Anſehen und in ſeiner Wuͤrde be- „ſteht, ſo beleidigt der dieſe Majeſtaͤt, welcher den „Feinden des roͤmiſchen Volks ſein Heer uͤberliefert; „nicht der, welcher denjenigen, der dieſes gethan „hat, dem Volke zur Beſtrafung einliefert.‟ Hier wird der Beweis auf die Erklaͤrung des Begriffs Majeſtaͤt gegruͤndet. Beweis aus Zergliederung der Sache. „Jn „dieſen Umſtaͤnden waren nur drey Wege moͤglich. „Entweder, man mußte dem Befehl des Senats „gehorchen; oder man mußte eine neue Berathſchla- „gung veranlaſſen; oder man mußte endlich nach ſei- „nem X 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/175
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/175>, abgerufen am 23.11.2024.