"nem eigenen Gutdünken handeln. Eine neue Be- "rathschlagung zu veranlassen, hieß sich zu viel her- "ausnehmen; nach Gutdünken zu handeln, wäre "Vermessenheit; also blieb nichts übrig, als dem "Befehl des Senats zu gehorchen."
Beweis aus der Worterklärung. "Wenn der ein "Consul genennt wird, welcher dem Vaterland mit "gutem Rath und mit That beysteht; was hat denn "Opimius anders gethan?"
Kann man auf keinem dieser geraden und kurzen Wege zumBeweis der Sache kommen, weder durch das Subjectum noch durch das Praedicatum des Hauptsatzes, so muß man sich ausser der Sache nach irgend einer Wahrheit umsehen, mit welcher der zu erweisende Satz in einer solchen Verbindung steht, daß er selbst aus jener herzuleiten sey. Hier ist es nun unmöglich, alle einzele Fälle solcher Verbin- dungen herzusetzen. Cicero giebt derer dreyzehen an, und Aristoteles, der jede Frage durch alle Ab- theilungen erschöpfen wollte, zählt über dreyhun- dert. Wir überlassen jedem diese Dinge in den To- picis dieser Lehrer selbst nachzusehen.
Jst der Redner ein Mann, der sich lang in Unter- suchung der Wahrheit geübt hat, so werden ihm ohne künstliche Hülfsmittel die Dinge einfallen, welche mit seiner Hauptfrage in Verbindung stehen; besonders, wenn er sich überhaupt auf die Art, wie wir im Art. Erfindung gezeigt haben, im Erfinden geübt hat. Wir wollen also hier nicht weiter gehen, als daß wir diese Materie mit einem guten Beyspiel erläutern.
Es ist keine Wahrheit, sie gehöre in die Classe der Begebenheiten, oder unter die Erforschungen der Vernunft, die nicht entweder in wesentlichen oder zufälligen Dingen mit andern Wahrheiten in irgend einer Art der Beziehung stehe. Es müssen andre Dinge ihr vorgehen, oder zugleich neben ihr seyn, oder darauf folgen. Eine Begebenheit muß Ver- anlasung, Gelegenheit, Ursachen gehabt haben; sie steht mit der Zeit und andern zugleich vorhande- nen Umständen in Verbindung; sie hat endlich ihre Folgen. So muß auch ein Satz der Vernunft seine Gründe haben, aus denen er begreiflich wird; es müssen andre Wahrheiten zuvor erkannt gewesen seyn, ehe er hat können erkannt werden; er muß gewisse Folgen haben. Jst der Satz unstreitig wahr, so müssen alle die, welche ihm entgegen stehen, falsch seyn; alle die aber, welche er voraussetzt, wahr.
[Spaltenumbruch]
Bew
Wenn also die deutlichen Begriffe von dem Sub- jecto oder Praedicato des Hauptsatzes entweder feh- len, oder nicht ausführlich genug sind, die Sache zu beweisen; oder wenn in einer geschehenen Sache nichts widersprechendes ist, wenn sie nicht kann ge- leugnet werden, um einen Beklagten zu retten; wenn sein Charakter nichts zu seiner Vertheidigung an die Hand giebt, so muß man alsdenn auf alle Dinge acht haben, die mit der Hauptsache in irgend einer Verbindung stehen, oder eine Beziehung auf sie haben.
Wir wollen demnach in einer Frage, die von Vernunftschlüssen abhängt, setzen, man wolle er- weisen, daß eine begangene That nicht gegen die Gesetze streite, und man habe sich vergeblich bemüht, in der Natur der Handlung, und in dem Sinn der Gesetze, etwas zur Entschuldigung zu entdeken, so wird man auf andere Sachen, worauf die Gesetze oder die Handlung sich bezieht, denken müssen. Man beweißt z. E. daß die Handlung einerley ist, mit einer andern bekannten, welche jederman für unschuldig und rechtmäßig gehalten hat. Oder man beweißt aus Beyspielen, daß das Gesetz auf eine gewisse Weise müsse verstanden werden, und zeiget daraus, daß es auf den Fall, wovon geredet wird, nicht gehe. Man kann bisweilen auch aus den of- fenbar schlimmen Folgen, die ein Gesetz haben müßte, wenn es auf gewisse Weise verstanden würde, zeigen, daß es auf den vorhabenden Fall nicht gehe.
Eben so geht es mit Begebenheiten. Man be- weißt, daß der Beklagte damals, als sie geschehen, an einem entlegenen Ort gewesen; daß er unmittel- bar vorher, oder nachher, Sachen gethan, wodurch diejenige, der man ihn beschuldiget, unmöglich, oder höchst unwahrscheinlich wird.
Bewundrung. (Schöne Künste.)
Eine lebhafte Empfindung der Seele, die aus Be- trachtung einer Sache entsteht, welche unsre Er- wartung übertrift. Man wird finden, daß bey der Bewundrung immer ein Bestreben des Geistes ist, die Gründe der Sache, die uns in Verwundrung setzet, zu begreifen. Je verborgener sie sind, desto grösser wird die Bewundrung, und sie kommt auf den höchsten Grad, wenn etwas unsern Begriffen widersprechend scheinendes dabey ist. Wenn man mit Herrn Home zwey Arten dieser Empfindung
unter-
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Bew
„nem eigenen Gutduͤnken handeln. Eine neue Be- „rathſchlagung zu veranlaſſen, hieß ſich zu viel her- „ausnehmen; nach Gutduͤnken zu handeln, waͤre „Vermeſſenheit; alſo blieb nichts uͤbrig, als dem „Befehl des Senats zu gehorchen.‟
Beweis aus der Worterklaͤrung. „Wenn der ein „Conſul genennt wird, welcher dem Vaterland mit „gutem Rath und mit That beyſteht; was hat denn „Opimius anders gethan?‟
Kann man auf keinem dieſer geraden und kurzen Wege zumBeweis der Sache kommen, weder durch das Subjectum noch durch das Prædicatum des Hauptſatzes, ſo muß man ſich auſſer der Sache nach irgend einer Wahrheit umſehen, mit welcher der zu erweiſende Satz in einer ſolchen Verbindung ſteht, daß er ſelbſt aus jener herzuleiten ſey. Hier iſt es nun unmoͤglich, alle einzele Faͤlle ſolcher Verbin- dungen herzuſetzen. Cicero giebt derer dreyzehen an, und Ariſtoteles, der jede Frage durch alle Ab- theilungen erſchoͤpfen wollte, zaͤhlt uͤber dreyhun- dert. Wir uͤberlaſſen jedem dieſe Dinge in den To- picis dieſer Lehrer ſelbſt nachzuſehen.
Jſt der Redner ein Mann, der ſich lang in Unter- ſuchung der Wahrheit geuͤbt hat, ſo werden ihm ohne kuͤnſtliche Huͤlfsmittel die Dinge einfallen, welche mit ſeiner Hauptfrage in Verbindung ſtehen; beſonders, wenn er ſich uͤberhaupt auf die Art, wie wir im Art. Erfindung gezeigt haben, im Erfinden geuͤbt hat. Wir wollen alſo hier nicht weiter gehen, als daß wir dieſe Materie mit einem guten Beyſpiel erlaͤutern.
Es iſt keine Wahrheit, ſie gehoͤre in die Claſſe der Begebenheiten, oder unter die Erforſchungen der Vernunft, die nicht entweder in weſentlichen oder zufaͤlligen Dingen mit andern Wahrheiten in irgend einer Art der Beziehung ſtehe. Es muͤſſen andre Dinge ihr vorgehen, oder zugleich neben ihr ſeyn, oder darauf folgen. Eine Begebenheit muß Ver- anlaſung, Gelegenheit, Urſachen gehabt haben; ſie ſteht mit der Zeit und andern zugleich vorhande- nen Umſtaͤnden in Verbindung; ſie hat endlich ihre Folgen. So muß auch ein Satz der Vernunft ſeine Gruͤnde haben, aus denen er begreiflich wird; es muͤſſen andre Wahrheiten zuvor erkannt geweſen ſeyn, ehe er hat koͤnnen erkannt werden; er muß gewiſſe Folgen haben. Jſt der Satz unſtreitig wahr, ſo muͤſſen alle die, welche ihm entgegen ſtehen, falſch ſeyn; alle die aber, welche er vorausſetzt, wahr.
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Bew
Wenn alſo die deutlichen Begriffe von dem Sub- jecto oder Prædicato des Hauptſatzes entweder feh- len, oder nicht ausfuͤhrlich genug ſind, die Sache zu beweiſen; oder wenn in einer geſchehenen Sache nichts widerſprechendes iſt, wenn ſie nicht kann ge- leugnet werden, um einen Beklagten zu retten; wenn ſein Charakter nichts zu ſeiner Vertheidigung an die Hand giebt, ſo muß man alsdenn auf alle Dinge acht haben, die mit der Hauptſache in irgend einer Verbindung ſtehen, oder eine Beziehung auf ſie haben.
Wir wollen demnach in einer Frage, die von Vernunftſchluͤſſen abhaͤngt, ſetzen, man wolle er- weiſen, daß eine begangene That nicht gegen die Geſetze ſtreite, und man habe ſich vergeblich bemuͤht, in der Natur der Handlung, und in dem Sinn der Geſetze, etwas zur Entſchuldigung zu entdeken, ſo wird man auf andere Sachen, worauf die Geſetze oder die Handlung ſich bezieht, denken muͤſſen. Man beweißt z. E. daß die Handlung einerley iſt, mit einer andern bekannten, welche jederman fuͤr unſchuldig und rechtmaͤßig gehalten hat. Oder man beweißt aus Beyſpielen, daß das Geſetz auf eine gewiſſe Weiſe muͤſſe verſtanden werden, und zeiget daraus, daß es auf den Fall, wovon geredet wird, nicht gehe. Man kann bisweilen auch aus den of- fenbar ſchlimmen Folgen, die ein Geſetz haben muͤßte, wenn es auf gewiſſe Weiſe verſtanden wuͤrde, zeigen, daß es auf den vorhabenden Fall nicht gehe.
Eben ſo geht es mit Begebenheiten. Man be- weißt, daß der Beklagte damals, als ſie geſchehen, an einem entlegenen Ort geweſen; daß er unmittel- bar vorher, oder nachher, Sachen gethan, wodurch diejenige, der man ihn beſchuldiget, unmoͤglich, oder hoͤchſt unwahrſcheinlich wird.
Bewundrung. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Eine lebhafte Empfindung der Seele, die aus Be- trachtung einer Sache entſteht, welche unſre Er- wartung uͤbertrift. Man wird finden, daß bey der Bewundrung immer ein Beſtreben des Geiſtes iſt, die Gruͤnde der Sache, die uns in Verwundrung ſetzet, zu begreifen. Je verborgener ſie ſind, deſto groͤſſer wird die Bewundrung, und ſie kommt auf den hoͤchſten Grad, wenn etwas unſern Begriffen widerſprechend ſcheinendes dabey iſt. Wenn man mit Herrn Home zwey Arten dieſer Empfindung
unter-
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[164/0176]
Bew
Bew
„nem eigenen Gutduͤnken handeln. Eine neue Be-
„rathſchlagung zu veranlaſſen, hieß ſich zu viel her-
„ausnehmen; nach Gutduͤnken zu handeln, waͤre
„Vermeſſenheit; alſo blieb nichts uͤbrig, als dem
„Befehl des Senats zu gehorchen.‟
Beweis aus der Worterklaͤrung. „Wenn der ein
„Conſul genennt wird, welcher dem Vaterland mit
„gutem Rath und mit That beyſteht; was hat denn
„Opimius anders gethan?‟
Kann man auf keinem dieſer geraden und kurzen
Wege zumBeweis der Sache kommen, weder durch
das Subjectum noch durch das Prædicatum des
Hauptſatzes, ſo muß man ſich auſſer der Sache nach
irgend einer Wahrheit umſehen, mit welcher der zu
erweiſende Satz in einer ſolchen Verbindung ſteht,
daß er ſelbſt aus jener herzuleiten ſey. Hier iſt es
nun unmoͤglich, alle einzele Faͤlle ſolcher Verbin-
dungen herzuſetzen. Cicero giebt derer dreyzehen
an, und Ariſtoteles, der jede Frage durch alle Ab-
theilungen erſchoͤpfen wollte, zaͤhlt uͤber dreyhun-
dert. Wir uͤberlaſſen jedem dieſe Dinge in den To-
picis dieſer Lehrer ſelbſt nachzuſehen.
Jſt der Redner ein Mann, der ſich lang in Unter-
ſuchung der Wahrheit geuͤbt hat, ſo werden ihm ohne
kuͤnſtliche Huͤlfsmittel die Dinge einfallen, welche mit
ſeiner Hauptfrage in Verbindung ſtehen; beſonders,
wenn er ſich uͤberhaupt auf die Art, wie wir im
Art. Erfindung gezeigt haben, im Erfinden geuͤbt
hat. Wir wollen alſo hier nicht weiter gehen, als
daß wir dieſe Materie mit einem guten Beyſpiel
erlaͤutern.
Es iſt keine Wahrheit, ſie gehoͤre in die Claſſe der
Begebenheiten, oder unter die Erforſchungen der
Vernunft, die nicht entweder in weſentlichen oder
zufaͤlligen Dingen mit andern Wahrheiten in irgend
einer Art der Beziehung ſtehe. Es muͤſſen andre
Dinge ihr vorgehen, oder zugleich neben ihr ſeyn,
oder darauf folgen. Eine Begebenheit muß Ver-
anlaſung, Gelegenheit, Urſachen gehabt haben;
ſie ſteht mit der Zeit und andern zugleich vorhande-
nen Umſtaͤnden in Verbindung; ſie hat endlich ihre
Folgen. So muß auch ein Satz der Vernunft ſeine
Gruͤnde haben, aus denen er begreiflich wird; es
muͤſſen andre Wahrheiten zuvor erkannt geweſen
ſeyn, ehe er hat koͤnnen erkannt werden; er muß
gewiſſe Folgen haben. Jſt der Satz unſtreitig wahr,
ſo muͤſſen alle die, welche ihm entgegen ſtehen, falſch
ſeyn; alle die aber, welche er vorausſetzt, wahr.
Wenn alſo die deutlichen Begriffe von dem Sub-
jecto oder Prædicato des Hauptſatzes entweder feh-
len, oder nicht ausfuͤhrlich genug ſind, die Sache
zu beweiſen; oder wenn in einer geſchehenen Sache
nichts widerſprechendes iſt, wenn ſie nicht kann ge-
leugnet werden, um einen Beklagten zu retten;
wenn ſein Charakter nichts zu ſeiner Vertheidigung
an die Hand giebt, ſo muß man alsdenn auf alle
Dinge acht haben, die mit der Hauptſache in irgend
einer Verbindung ſtehen, oder eine Beziehung auf
ſie haben.
Wir wollen demnach in einer Frage, die von
Vernunftſchluͤſſen abhaͤngt, ſetzen, man wolle er-
weiſen, daß eine begangene That nicht gegen die
Geſetze ſtreite, und man habe ſich vergeblich bemuͤht,
in der Natur der Handlung, und in dem Sinn der
Geſetze, etwas zur Entſchuldigung zu entdeken, ſo
wird man auf andere Sachen, worauf die Geſetze
oder die Handlung ſich bezieht, denken muͤſſen.
Man beweißt z. E. daß die Handlung einerley iſt,
mit einer andern bekannten, welche jederman fuͤr
unſchuldig und rechtmaͤßig gehalten hat. Oder man
beweißt aus Beyſpielen, daß das Geſetz auf eine
gewiſſe Weiſe muͤſſe verſtanden werden, und zeiget
daraus, daß es auf den Fall, wovon geredet wird,
nicht gehe. Man kann bisweilen auch aus den of-
fenbar ſchlimmen Folgen, die ein Geſetz haben muͤßte,
wenn es auf gewiſſe Weiſe verſtanden wuͤrde, zeigen,
daß es auf den vorhabenden Fall nicht gehe.
Eben ſo geht es mit Begebenheiten. Man be-
weißt, daß der Beklagte damals, als ſie geſchehen,
an einem entlegenen Ort geweſen; daß er unmittel-
bar vorher, oder nachher, Sachen gethan, wodurch
diejenige, der man ihn beſchuldiget, unmoͤglich, oder
hoͤchſt unwahrſcheinlich wird.
Bewundrung.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Eine lebhafte Empfindung der Seele, die aus Be-
trachtung einer Sache entſteht, welche unſre Er-
wartung uͤbertrift. Man wird finden, daß bey der
Bewundrung immer ein Beſtreben des Geiſtes iſt,
die Gruͤnde der Sache, die uns in Verwundrung
ſetzet, zu begreifen. Je verborgener ſie ſind, deſto
groͤſſer wird die Bewundrung, und ſie kommt auf
den hoͤchſten Grad, wenn etwas unſern Begriffen
widerſprechend ſcheinendes dabey iſt. Wenn man
mit Herrn Home zwey Arten dieſer Empfindung
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/176>, abgerufen am 05.08.2024.
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