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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Bes
auf einmal darstellt. Cicero verlanget in dem Be-
schluß einer gerichtlichen Rede drey Dinge die er
enumerationem, indignationem, conquestionem
nennt, oder die kurze Wiederholung der Beweise,
die Vermehrung ihrer Wichtigkeit durch die Verab-
scheuung dessen, was der Gegentheil verlangt, und
die Klage über die Ungerechtigkeit desselben.

Der pathetische Theil, oder die zwey leztern,
durften vor den atheniensischen Gerichten nicht
vorkommen. Die Richter sollten blos unterrich-
tet und nicht gerührt werden. Daher wurden
eigene Herolde bestellt, die den Redner schweigen
hießen, so bald er ins pathetische verfiel. Aus eben
dieser Ursache saßen die Richter des Areopagus im
finstern, weil sie sich durch die klägliche Gebehrden
der Beklagten nicht wollten von der Unpartheylich-
keit abreißen lassen.

Beschreibung.
(Beredsamkeit; Dichtkunst.)

Eine besondere Gattung der Rede, wodurch die Be-
schaffenheit einer Sache umständlich angezeiget wird.
Es kommen so wol in der Beredsamkeit, als in der
Dichtkunst Fälle, Sachen zu beschreiben, vor, wo
die Beschreibungen wichtig sind, und wol überlegt
werden müssen. Daher pflegen die Lehrer der Red-
ner und der Dichter die Beschreibung als eine
zur Kunst gehörige Sache in besondere Betrach-
tung zu nehmen.

Die Beschreibung betrifft entweder die allgemei-
ne Beschaffenheit einer Gattung, oder die beson-
dere Beschaffenheit eines einzelen Dinges an. Jm
erstern Fall vertrit sie die Stelle einer Erklärung,
im andern Fall ist sie ein Gemählde, wodurch wir
die Beschaffenheit einer geschehenen oder würklich
vorhandenen Sache erkennen.

Die erstere Art der Beschreibung kommt in
solchen Reden vor, wo man aus allgemeinen Begrif-
fen beweisen, oder den Zuhörer durch Schlüsse über-
zeugen will. Jeder Beweis über die Beschaffenheit
einer Sache muß nohtwendig aus allgemeinen Be-
griffen hergeleitet werden. Wer von einer Hand-
lung beweisen will, daß sie gerecht oder ungerecht
sey, muß den Beweis aus der Natur der Gerech-
tigkeit hernehmen. Der Philosoph bestimmt die
allgemeine Natur der Sachen durch Erklärungen.
Diese schiken sich selten für den Redner, er giebt sie
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Bes
durch Beschreibungen zu erkennen. Die Erklärung
giebt das Wesen der Sache zu erkennen, die Be-
schreibung aber legt von dem Wesen der Sache
nur so viel an den Tag, als in dem Falle, wo
sie gebraucht wird nöthig ist. Daher sagt Cicero:
Vocabuli sententia, breviter et ad utilitatem causae
accomodate, deseribetur.
Von dieser Art der Be-
schreibung ist in dem Artikel Beweisgründe, ge-
sprochen worden.

Die andre Art der Beschreibung zeiget die Be-
schaffenheit einer vorhandenen oder geschehenen
Sache an. Sie ist ein Gemähld, wodurch etwas,
als gegenwärtig vor Augen gelegt wird. Sie kommt
bey Rednern und Dichtern ofte vor und theilt sich
wieder in zwey Arten, da sie entweder die Beschaf-
fenheit einer auf einmal vorhandenen Sache, z. B.
einer Gegend; oder einer sich nach und nach äußern-
den Sache, z. E. einer Begebenheit, ausdrükt.
Die erstere Art kommt fast in allen Stüken mit
einem Gemähld überein, und bekommt also auch
gar ofte den Namen eines Gemähldes. Bey Ver-
fertigung einer solchen Beschreibung aber stoßen
dem Redner und dem Dichter Schwierigkeiten auf,
die der Mahler nicht hat. Dieser stellt das, was auf
einmal in die Augen fällt, auch auf einmal vor;
jene können es nicht anders, als nach und nach vor-
stellen: zu dem sieht das Auge unzählige Dinge, die
die Rede nicht beschreiben kann, wenn sie nicht
höchst langweilig werden soll. Dabey aber muß
der Redner, so wie der Dichter, sich an die Regeln
halten, die dem Mahler wegen der Anordnung und
Gruppirung seines Gemähldes vorgeschrieben
sind. Eine solche Beschreibung ist allemal eine
sehr schweere Sache und gelingt nur großen Red-
nern und Dichtern. Es ist deswegen denen, die
sich auf die redenden Künste legen, sehr zu rathen,
daß sie sich fleißig in solchen Beschreibungen üben.
Jn Beschreibungen von Personen, ihrem Ansehen,
ihrer Stellung und Haltung kann Homer zum
Muster genommen werden, weil kein Mensch darin
glüklicher ist, als er. Jn Beschreibung der Gegen-
den könnten aus dem Livius vollkommene Muster
angeführt werden; eben so glüklich ist er in Be-
schreibungen von der Lage gewisser Sachen, z. E.
der Stellung zweyer Heere beym Anfang einer
Schlacht. Höchst wichtig und auch überaus schweer
sind die Beschreibungen gewisser Lagen bey Bege-
benheiten, da man verschiedene Personen nach dem

Jnteresse,

[Spaltenumbruch]

Beſ
auf einmal darſtellt. Cicero verlanget in dem Be-
ſchluß einer gerichtlichen Rede drey Dinge die er
enumerationem, indignationem, conqueſtionem
nennt, oder die kurze Wiederholung der Beweiſe,
die Vermehrung ihrer Wichtigkeit durch die Verab-
ſcheuung deſſen, was der Gegentheil verlangt, und
die Klage uͤber die Ungerechtigkeit deſſelben.

Der pathetiſche Theil, oder die zwey leztern,
durften vor den athenienſiſchen Gerichten nicht
vorkommen. Die Richter ſollten blos unterrich-
tet und nicht geruͤhrt werden. Daher wurden
eigene Herolde beſtellt, die den Redner ſchweigen
hießen, ſo bald er ins pathetiſche verfiel. Aus eben
dieſer Urſache ſaßen die Richter des Areopagus im
finſtern, weil ſie ſich durch die klaͤgliche Gebehrden
der Beklagten nicht wollten von der Unpartheylich-
keit abreißen laſſen.

Beſchreibung.
(Beredſamkeit; Dichtkunſt.)

Eine beſondere Gattung der Rede, wodurch die Be-
ſchaffenheit einer Sache umſtaͤndlich angezeiget wird.
Es kommen ſo wol in der Beredſamkeit, als in der
Dichtkunſt Faͤlle, Sachen zu beſchreiben, vor, wo
die Beſchreibungen wichtig ſind, und wol uͤberlegt
werden muͤſſen. Daher pflegen die Lehrer der Red-
ner und der Dichter die Beſchreibung als eine
zur Kunſt gehoͤrige Sache in beſondere Betrach-
tung zu nehmen.

Die Beſchreibung betrifft entweder die allgemei-
ne Beſchaffenheit einer Gattung, oder die beſon-
dere Beſchaffenheit eines einzelen Dinges an. Jm
erſtern Fall vertrit ſie die Stelle einer Erklaͤrung,
im andern Fall iſt ſie ein Gemaͤhlde, wodurch wir
die Beſchaffenheit einer geſchehenen oder wuͤrklich
vorhandenen Sache erkennen.

Die erſtere Art der Beſchreibung kommt in
ſolchen Reden vor, wo man aus allgemeinen Begrif-
fen beweiſen, oder den Zuhoͤrer durch Schluͤſſe uͤber-
zeugen will. Jeder Beweis uͤber die Beſchaffenheit
einer Sache muß nohtwendig aus allgemeinen Be-
griffen hergeleitet werden. Wer von einer Hand-
lung beweiſen will, daß ſie gerecht oder ungerecht
ſey, muß den Beweis aus der Natur der Gerech-
tigkeit hernehmen. Der Philoſoph beſtimmt die
allgemeine Natur der Sachen durch Erklaͤrungen.
Dieſe ſchiken ſich ſelten fuͤr den Redner, er giebt ſie
[Spaltenumbruch]

Beſ
durch Beſchreibungen zu erkennen. Die Erklaͤrung
giebt das Weſen der Sache zu erkennen, die Be-
ſchreibung aber legt von dem Weſen der Sache
nur ſo viel an den Tag, als in dem Falle, wo
ſie gebraucht wird noͤthig iſt. Daher ſagt Cicero:
Vocabuli ſententia, breviter et ad utilitatem cauſae
accomodate, deſeribetur.
Von dieſer Art der Be-
ſchreibung iſt in dem Artikel Beweisgruͤnde, ge-
ſprochen worden.

Die andre Art der Beſchreibung zeiget die Be-
ſchaffenheit einer vorhandenen oder geſchehenen
Sache an. Sie iſt ein Gemaͤhld, wodurch etwas,
als gegenwaͤrtig vor Augen gelegt wird. Sie kommt
bey Rednern und Dichtern ofte vor und theilt ſich
wieder in zwey Arten, da ſie entweder die Beſchaf-
fenheit einer auf einmal vorhandenen Sache, z. B.
einer Gegend; oder einer ſich nach und nach aͤußern-
den Sache, z. E. einer Begebenheit, ausdruͤkt.
Die erſtere Art kommt faſt in allen Stuͤken mit
einem Gemaͤhld uͤberein, und bekommt alſo auch
gar ofte den Namen eines Gemaͤhldes. Bey Ver-
fertigung einer ſolchen Beſchreibung aber ſtoßen
dem Redner und dem Dichter Schwierigkeiten auf,
die der Mahler nicht hat. Dieſer ſtellt das, was auf
einmal in die Augen faͤllt, auch auf einmal vor;
jene koͤnnen es nicht anders, als nach und nach vor-
ſtellen: zu dem ſieht das Auge unzaͤhlige Dinge, die
die Rede nicht beſchreiben kann, wenn ſie nicht
hoͤchſt langweilig werden ſoll. Dabey aber muß
der Redner, ſo wie der Dichter, ſich an die Regeln
halten, die dem Mahler wegen der Anordnung und
Gruppirung ſeines Gemaͤhldes vorgeſchrieben
ſind. Eine ſolche Beſchreibung iſt allemal eine
ſehr ſchweere Sache und gelingt nur großen Red-
nern und Dichtern. Es iſt deswegen denen, die
ſich auf die redenden Kuͤnſte legen, ſehr zu rathen,
daß ſie ſich fleißig in ſolchen Beſchreibungen uͤben.
Jn Beſchreibungen von Perſonen, ihrem Anſehen,
ihrer Stellung und Haltung kann Homer zum
Muſter genommen werden, weil kein Menſch darin
gluͤklicher iſt, als er. Jn Beſchreibung der Gegen-
den koͤnnten aus dem Livius vollkommene Muſter
angefuͤhrt werden; eben ſo gluͤklich iſt er in Be-
ſchreibungen von der Lage gewiſſer Sachen, z. E.
der Stellung zweyer Heere beym Anfang einer
Schlacht. Hoͤchſt wichtig und auch uͤberaus ſchweer
ſind die Beſchreibungen gewiſſer Lagen bey Bege-
benheiten, da man verſchiedene Perſonen nach dem

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[154/0166] Beſ Beſ auf einmal darſtellt. Cicero verlanget in dem Be- ſchluß einer gerichtlichen Rede drey Dinge die er enumerationem, indignationem, conqueſtionem nennt, oder die kurze Wiederholung der Beweiſe, die Vermehrung ihrer Wichtigkeit durch die Verab- ſcheuung deſſen, was der Gegentheil verlangt, und die Klage uͤber die Ungerechtigkeit deſſelben. Der pathetiſche Theil, oder die zwey leztern, durften vor den athenienſiſchen Gerichten nicht vorkommen. Die Richter ſollten blos unterrich- tet und nicht geruͤhrt werden. Daher wurden eigene Herolde beſtellt, die den Redner ſchweigen hießen, ſo bald er ins pathetiſche verfiel. Aus eben dieſer Urſache ſaßen die Richter des Areopagus im finſtern, weil ſie ſich durch die klaͤgliche Gebehrden der Beklagten nicht wollten von der Unpartheylich- keit abreißen laſſen. Beſchreibung. (Beredſamkeit; Dichtkunſt.) Eine beſondere Gattung der Rede, wodurch die Be- ſchaffenheit einer Sache umſtaͤndlich angezeiget wird. Es kommen ſo wol in der Beredſamkeit, als in der Dichtkunſt Faͤlle, Sachen zu beſchreiben, vor, wo die Beſchreibungen wichtig ſind, und wol uͤberlegt werden muͤſſen. Daher pflegen die Lehrer der Red- ner und der Dichter die Beſchreibung als eine zur Kunſt gehoͤrige Sache in beſondere Betrach- tung zu nehmen. Die Beſchreibung betrifft entweder die allgemei- ne Beſchaffenheit einer Gattung, oder die beſon- dere Beſchaffenheit eines einzelen Dinges an. Jm erſtern Fall vertrit ſie die Stelle einer Erklaͤrung, im andern Fall iſt ſie ein Gemaͤhlde, wodurch wir die Beſchaffenheit einer geſchehenen oder wuͤrklich vorhandenen Sache erkennen. Die erſtere Art der Beſchreibung kommt in ſolchen Reden vor, wo man aus allgemeinen Begrif- fen beweiſen, oder den Zuhoͤrer durch Schluͤſſe uͤber- zeugen will. Jeder Beweis uͤber die Beſchaffenheit einer Sache muß nohtwendig aus allgemeinen Be- griffen hergeleitet werden. Wer von einer Hand- lung beweiſen will, daß ſie gerecht oder ungerecht ſey, muß den Beweis aus der Natur der Gerech- tigkeit hernehmen. Der Philoſoph beſtimmt die allgemeine Natur der Sachen durch Erklaͤrungen. Dieſe ſchiken ſich ſelten fuͤr den Redner, er giebt ſie durch Beſchreibungen zu erkennen. Die Erklaͤrung giebt das Weſen der Sache zu erkennen, die Be- ſchreibung aber legt von dem Weſen der Sache nur ſo viel an den Tag, als in dem Falle, wo ſie gebraucht wird noͤthig iſt. Daher ſagt Cicero: Vocabuli ſententia, breviter et ad utilitatem cauſae accomodate, deſeribetur. Von dieſer Art der Be- ſchreibung iſt in dem Artikel Beweisgruͤnde, ge- ſprochen worden. Die andre Art der Beſchreibung zeiget die Be- ſchaffenheit einer vorhandenen oder geſchehenen Sache an. Sie iſt ein Gemaͤhld, wodurch etwas, als gegenwaͤrtig vor Augen gelegt wird. Sie kommt bey Rednern und Dichtern ofte vor und theilt ſich wieder in zwey Arten, da ſie entweder die Beſchaf- fenheit einer auf einmal vorhandenen Sache, z. B. einer Gegend; oder einer ſich nach und nach aͤußern- den Sache, z. E. einer Begebenheit, ausdruͤkt. Die erſtere Art kommt faſt in allen Stuͤken mit einem Gemaͤhld uͤberein, und bekommt alſo auch gar ofte den Namen eines Gemaͤhldes. Bey Ver- fertigung einer ſolchen Beſchreibung aber ſtoßen dem Redner und dem Dichter Schwierigkeiten auf, die der Mahler nicht hat. Dieſer ſtellt das, was auf einmal in die Augen faͤllt, auch auf einmal vor; jene koͤnnen es nicht anders, als nach und nach vor- ſtellen: zu dem ſieht das Auge unzaͤhlige Dinge, die die Rede nicht beſchreiben kann, wenn ſie nicht hoͤchſt langweilig werden ſoll. Dabey aber muß der Redner, ſo wie der Dichter, ſich an die Regeln halten, die dem Mahler wegen der Anordnung und Gruppirung ſeines Gemaͤhldes vorgeſchrieben ſind. Eine ſolche Beſchreibung iſt allemal eine ſehr ſchweere Sache und gelingt nur großen Red- nern und Dichtern. Es iſt deswegen denen, die ſich auf die redenden Kuͤnſte legen, ſehr zu rathen, daß ſie ſich fleißig in ſolchen Beſchreibungen uͤben. Jn Beſchreibungen von Perſonen, ihrem Anſehen, ihrer Stellung und Haltung kann Homer zum Muſter genommen werden, weil kein Menſch darin gluͤklicher iſt, als er. Jn Beſchreibung der Gegen- den koͤnnten aus dem Livius vollkommene Muſter angefuͤhrt werden; eben ſo gluͤklich iſt er in Be- ſchreibungen von der Lage gewiſſer Sachen, z. E. der Stellung zweyer Heere beym Anfang einer Schlacht. Hoͤchſt wichtig und auch uͤberaus ſchweer ſind die Beſchreibungen gewiſſer Lagen bey Bege- benheiten, da man verſchiedene Perſonen nach dem Jntereſſe,

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/166>, abgerufen am 19.04.2024.