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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ber
Zahl, guter Kenner ist; es hatte Geschmak. (+)
Die bekannte Anekdote vom Theophrastus, der we-
gen seines Accents von einem gemeinen Weib ist
getadelt worden, beweißt, daß in Athen der ge-
meinste Mensch ein Ohr und ein Gefühl für die
Schönheiten der Rede gehabt, das in Deutschland
nur die wenigen Kenner haben. Noch verträgt
das deutsche Ohr alles, so wie das deutsche Aug,
wenn es nur nicht gegen eine Nationalmode streitet.
Jn schönen Künsten aber ist noch nichts zur Mode
worden. Jn Athen war eine ungewöhnliche Ge-
behrde des Redners, eine nicht ganz attische Re-
densart, eben so anstößig, als dem deutschen Volk
eine ungewöhnliche Form des Huts wär. [Spaltenumbruch] (++) Sah
das ganze Volk in Athen auf Kleinigkeiten, wie
viel mehr, mußte der Redner in wichtigen Dingen
sorgfältig seyn.

Ein Hauptgrund, warum bey jenen Alten, so
wol alle schönen Künste überhaupt, als die Bered-
samkeit insbesondere, zu einem höhern Grad der
Vollkommenheit gekommen, liegt in der öffentlichen
und feyerlichen Anwendung derselben, wodurch der
Redner die wahre Begeisterung empfindet. Die-
ses fehlt auch in den größten Städten Deutschlands
ganz, da selbst die Feyerlichkeiten der Religion alles
festliche und die Einbildungskraft ergreifende, ver-
lohren haben.

Bey diesen der Beredsamkeit so ungünstigen
Umständen, müssen wir uns begnügen, wenigstens
eine ganz kleine Anzahl Schriftsteller zu haben,
(und diese hat Deutschland, wie wol erst seit kur-
zem) an denen man die zur Beredsamkeit nöthigen
Talente nicht vermißt, und die die Hoffnung unter-
halten, daß diese wichtige Kunst auch unter dem
deutschen Himmel sich in ihrer Stärke zeigen werde,
so bald die Umstände der Nation es zulassen wer-
den.

Beschluß.
(Beredsamkeit.)

Jst in einer Rede eine kurze Zurükführung auf
den Jnhalt, wodurch dasjenige, was weitläuftig
[Spaltenumbruch]

Bes
vorgetragen worden, in eine Hauptvorstellung ver-
einiget wird, durch welche man den Endzwek der Rede
unmittelbar zu erreichen sucht. Von der Nothwen-
digkeit der Zurükführung vieler verbundenen Vor-
stellungen, auf eine einzige, haben wir in einem be-
sondern Artikel gehandelt. Bey einer weitläufti-
gen Rede ist dieselbe am allernöthigsten und erfo-
dert, wegen der Menge der Sachen, die größte
Kunst. Daher Quintilian wol anmerkt, daß hier
mehr, als in irgend einen andern Theil einer Rede,
die ganze Stärke der Beredsamkeit nöthig sey, (*)(*)Athic,
si usquam,
totos elo-
quentiae
aperire
fontes li-
cet. Inst. L.
VI.
gegen
das Ende
des I. Cap.

und Cicero berichtet, daß bey den Gelegenheiten,
wo verschiedene Personen, verschiedene Theile der
Reden verfertiget haben, ihm insgemein der Be-
schluß aufgetragen worden. Der Beschluß muß
so viel möglich ist, das ganze Wesen der Ausfüh-
rung ins kurze fassen: alles, was durch die Rede
stükweise das Gemüth gerührt hat, oder der Ein-
bildungskraft vorgestellt worden, muß darin auf
einmal würken. Die nachdrüklichsten Worte, die
kräftigsten Wendungen, die bündigsten Vorstellun-
gen, müssen dabey angeweudet werden.

Eigentlich ist der Beschluß der Rede, dasjenige,
um dessentwillen die ganze Rede gemacht worden
ist. Diese enthält einen Hauptsatz z. B. Titius ist
des Hochverraths schuldig, weil er dieses oder
jenes gethan hat.
So bald die Sache einer weit-
läuftigen Ausführung bedarf, so wird der Satz nur
nach und nach, oder stükweis bewiesen. Keine
von den besondern Abhandlungen der Rede beweist
ihn ganz, oder hinlänglich. Nur alle besondere
Theile derselben, in eine einzige Hauptvorstellung
gesammelt, machen den Hauptsatz nebst dessen Be-
weis aus. Daher ist klar, daß der Beschluß das
wesentlichste Stük der Rede sey. Ohne ihn ist sie
wie ein Vernunftschluß, dem der Hintersatz fehlt.

Hieraus läßt sich überhaupt abnehmen, wie der
Beschluß jeder Rede müsse beschaffen seyn. Er
muß einer Landcharte gleichen, welche in einem
kleinen Raum, alle die Länder und Oerter, wo-
durch man auf einer langen Reise gekommen ist,
jedes nach seiner Lage und Verbindung, dem Auge

auf
(+) Quorum semper suit prudens sincerumque iudicium,
nihil ut possent, nisi incorruptum audire et elegans;
sagt
Cicero von den Atheniensern. Er setzt hinzu: Eorum re-
ligioni cum serviret Orator nullum verbum insolens -- nul-
lum odiosum ponere audebat. Cic. Orat.
(++) -- ut Aeschini ne Demosthenes quidem videatur
attice dicere -- Itaque se purgans iocatur Demosthenes:
Negat in eo positas esse fortunas Graeciae, huc an illuc ma-
num porrexerit. Ib.
Erster Theil. U

[Spaltenumbruch]

Ber
Zahl, guter Kenner iſt; es hatte Geſchmak. (†)
Die bekannte Anekdote vom Theophraſtus, der we-
gen ſeines Accents von einem gemeinen Weib iſt
getadelt worden, beweißt, daß in Athen der ge-
meinſte Menſch ein Ohr und ein Gefuͤhl fuͤr die
Schoͤnheiten der Rede gehabt, das in Deutſchland
nur die wenigen Kenner haben. Noch vertraͤgt
das deutſche Ohr alles, ſo wie das deutſche Aug,
wenn es nur nicht gegen eine Nationalmode ſtreitet.
Jn ſchoͤnen Kuͤnſten aber iſt noch nichts zur Mode
worden. Jn Athen war eine ungewoͤhnliche Ge-
behrde des Redners, eine nicht ganz attiſche Re-
densart, eben ſo anſtoͤßig, als dem deutſchen Volk
eine ungewoͤhnliche Form des Huts waͤr. [Spaltenumbruch] (††) Sah
das ganze Volk in Athen auf Kleinigkeiten, wie
viel mehr, mußte der Redner in wichtigen Dingen
ſorgfaͤltig ſeyn.

Ein Hauptgrund, warum bey jenen Alten, ſo
wol alle ſchoͤnen Kuͤnſte uͤberhaupt, als die Bered-
ſamkeit insbeſondere, zu einem hoͤhern Grad der
Vollkommenheit gekommen, liegt in der oͤffentlichen
und feyerlichen Anwendung derſelben, wodurch der
Redner die wahre Begeiſterung empfindet. Die-
ſes fehlt auch in den groͤßten Staͤdten Deutſchlands
ganz, da ſelbſt die Feyerlichkeiten der Religion alles
feſtliche und die Einbildungskraft ergreifende, ver-
lohren haben.

Bey dieſen der Beredſamkeit ſo unguͤnſtigen
Umſtaͤnden, muͤſſen wir uns begnuͤgen, wenigſtens
eine ganz kleine Anzahl Schriftſteller zu haben,
(und dieſe hat Deutſchland, wie wol erſt ſeit kur-
zem) an denen man die zur Beredſamkeit noͤthigen
Talente nicht vermißt, und die die Hoffnung unter-
halten, daß dieſe wichtige Kunſt auch unter dem
deutſchen Himmel ſich in ihrer Staͤrke zeigen werde,
ſo bald die Umſtaͤnde der Nation es zulaſſen wer-
den.

Beſchluß.
(Beredſamkeit.)

Jſt in einer Rede eine kurze Zuruͤkfuͤhrung auf
den Jnhalt, wodurch dasjenige, was weitlaͤuftig
[Spaltenumbruch]

Beſ
vorgetragen worden, in eine Hauptvorſtellung ver-
einiget wird, durch welche man den Endzwek der Rede
unmittelbar zu erreichen ſucht. Von der Nothwen-
digkeit der Zuruͤkfuͤhrung vieler verbundenen Vor-
ſtellungen, auf eine einzige, haben wir in einem be-
ſondern Artikel gehandelt. Bey einer weitlaͤufti-
gen Rede iſt dieſelbe am allernoͤthigſten und erfo-
dert, wegen der Menge der Sachen, die groͤßte
Kunſt. Daher Quintilian wol anmerkt, daß hier
mehr, als in irgend einen andern Theil einer Rede,
die ganze Staͤrke der Beredſamkeit noͤthig ſey, (*)(*)Athic,
ſi uſquam,
totos elo-
quentiae
aperire
fontes li-
cet. Inſt. L.
VI.
gegen
das Ende
des I. Cap.

und Cicero berichtet, daß bey den Gelegenheiten,
wo verſchiedene Perſonen, verſchiedene Theile der
Reden verfertiget haben, ihm insgemein der Be-
ſchluß aufgetragen worden. Der Beſchluß muß
ſo viel moͤglich iſt, das ganze Weſen der Ausfuͤh-
rung ins kurze faſſen: alles, was durch die Rede
ſtuͤkweiſe das Gemuͤth geruͤhrt hat, oder der Ein-
bildungskraft vorgeſtellt worden, muß darin auf
einmal wuͤrken. Die nachdruͤklichſten Worte, die
kraͤftigſten Wendungen, die buͤndigſten Vorſtellun-
gen, muͤſſen dabey angeweudet werden.

Eigentlich iſt der Beſchluß der Rede, dasjenige,
um deſſentwillen die ganze Rede gemacht worden
iſt. Dieſe enthaͤlt einen Hauptſatz z. B. Titius iſt
des Hochverraths ſchuldig, weil er dieſes oder
jenes gethan hat.
So bald die Sache einer weit-
laͤuftigen Ausfuͤhrung bedarf, ſo wird der Satz nur
nach und nach, oder ſtuͤkweis bewieſen. Keine
von den beſondern Abhandlungen der Rede beweiſt
ihn ganz, oder hinlaͤnglich. Nur alle beſondere
Theile derſelben, in eine einzige Hauptvorſtellung
geſammelt, machen den Hauptſatz nebſt deſſen Be-
weis aus. Daher iſt klar, daß der Beſchluß das
weſentlichſte Stuͤk der Rede ſey. Ohne ihn iſt ſie
wie ein Vernunftſchluß, dem der Hinterſatz fehlt.

Hieraus laͤßt ſich uͤberhaupt abnehmen, wie der
Beſchluß jeder Rede muͤſſe beſchaffen ſeyn. Er
muß einer Landcharte gleichen, welche in einem
kleinen Raum, alle die Laͤnder und Oerter, wo-
durch man auf einer langen Reiſe gekommen iſt,
jedes nach ſeiner Lage und Verbindung, dem Auge

auf
(†) Quorum ſemper ſuit prudens ſincerumque iudicium,
nihil ut poſſent, niſi incorruptum audire et elegans;
ſagt
Cicero von den Athenienſern. Er ſetzt hinzu: Eorum re-
ligioni cum ſerviret Orator nullum verbum inſolens — nul-
lum odioſum ponere audebat. Cic. Orat.
(††)ut Aeſchini ne Demoſthenes quidem videatur
attice dicere — Itaque ſe purgans iocatur Demoſthenes:
Negat in eo poſitas eſſe fortunas Graeciae, huc an illuc ma-
num porrexerit. Ib.
Erſter Theil. U
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[153/0165] Ber Beſ Zahl, guter Kenner iſt; es hatte Geſchmak. (†) Die bekannte Anekdote vom Theophraſtus, der we- gen ſeines Accents von einem gemeinen Weib iſt getadelt worden, beweißt, daß in Athen der ge- meinſte Menſch ein Ohr und ein Gefuͤhl fuͤr die Schoͤnheiten der Rede gehabt, das in Deutſchland nur die wenigen Kenner haben. Noch vertraͤgt das deutſche Ohr alles, ſo wie das deutſche Aug, wenn es nur nicht gegen eine Nationalmode ſtreitet. Jn ſchoͤnen Kuͤnſten aber iſt noch nichts zur Mode worden. Jn Athen war eine ungewoͤhnliche Ge- behrde des Redners, eine nicht ganz attiſche Re- densart, eben ſo anſtoͤßig, als dem deutſchen Volk eine ungewoͤhnliche Form des Huts waͤr. (††) Sah das ganze Volk in Athen auf Kleinigkeiten, wie viel mehr, mußte der Redner in wichtigen Dingen ſorgfaͤltig ſeyn. Ein Hauptgrund, warum bey jenen Alten, ſo wol alle ſchoͤnen Kuͤnſte uͤberhaupt, als die Bered- ſamkeit insbeſondere, zu einem hoͤhern Grad der Vollkommenheit gekommen, liegt in der oͤffentlichen und feyerlichen Anwendung derſelben, wodurch der Redner die wahre Begeiſterung empfindet. Die- ſes fehlt auch in den groͤßten Staͤdten Deutſchlands ganz, da ſelbſt die Feyerlichkeiten der Religion alles feſtliche und die Einbildungskraft ergreifende, ver- lohren haben. Bey dieſen der Beredſamkeit ſo unguͤnſtigen Umſtaͤnden, muͤſſen wir uns begnuͤgen, wenigſtens eine ganz kleine Anzahl Schriftſteller zu haben, (und dieſe hat Deutſchland, wie wol erſt ſeit kur- zem) an denen man die zur Beredſamkeit noͤthigen Talente nicht vermißt, und die die Hoffnung unter- halten, daß dieſe wichtige Kunſt auch unter dem deutſchen Himmel ſich in ihrer Staͤrke zeigen werde, ſo bald die Umſtaͤnde der Nation es zulaſſen wer- den. Beſchluß. (Beredſamkeit.) Jſt in einer Rede eine kurze Zuruͤkfuͤhrung auf den Jnhalt, wodurch dasjenige, was weitlaͤuftig vorgetragen worden, in eine Hauptvorſtellung ver- einiget wird, durch welche man den Endzwek der Rede unmittelbar zu erreichen ſucht. Von der Nothwen- digkeit der Zuruͤkfuͤhrung vieler verbundenen Vor- ſtellungen, auf eine einzige, haben wir in einem be- ſondern Artikel gehandelt. Bey einer weitlaͤufti- gen Rede iſt dieſelbe am allernoͤthigſten und erfo- dert, wegen der Menge der Sachen, die groͤßte Kunſt. Daher Quintilian wol anmerkt, daß hier mehr, als in irgend einen andern Theil einer Rede, die ganze Staͤrke der Beredſamkeit noͤthig ſey, (*) und Cicero berichtet, daß bey den Gelegenheiten, wo verſchiedene Perſonen, verſchiedene Theile der Reden verfertiget haben, ihm insgemein der Be- ſchluß aufgetragen worden. Der Beſchluß muß ſo viel moͤglich iſt, das ganze Weſen der Ausfuͤh- rung ins kurze faſſen: alles, was durch die Rede ſtuͤkweiſe das Gemuͤth geruͤhrt hat, oder der Ein- bildungskraft vorgeſtellt worden, muß darin auf einmal wuͤrken. Die nachdruͤklichſten Worte, die kraͤftigſten Wendungen, die buͤndigſten Vorſtellun- gen, muͤſſen dabey angeweudet werden. (*)Athic, ſi uſquam, totos elo- quentiae aperire fontes li- cet. Inſt. L. VI. gegen das Ende des I. Cap. Eigentlich iſt der Beſchluß der Rede, dasjenige, um deſſentwillen die ganze Rede gemacht worden iſt. Dieſe enthaͤlt einen Hauptſatz z. B. Titius iſt des Hochverraths ſchuldig, weil er dieſes oder jenes gethan hat. So bald die Sache einer weit- laͤuftigen Ausfuͤhrung bedarf, ſo wird der Satz nur nach und nach, oder ſtuͤkweis bewieſen. Keine von den beſondern Abhandlungen der Rede beweiſt ihn ganz, oder hinlaͤnglich. Nur alle beſondere Theile derſelben, in eine einzige Hauptvorſtellung geſammelt, machen den Hauptſatz nebſt deſſen Be- weis aus. Daher iſt klar, daß der Beſchluß das weſentlichſte Stuͤk der Rede ſey. Ohne ihn iſt ſie wie ein Vernunftſchluß, dem der Hinterſatz fehlt. Hieraus laͤßt ſich uͤberhaupt abnehmen, wie der Beſchluß jeder Rede muͤſſe beſchaffen ſeyn. Er muß einer Landcharte gleichen, welche in einem kleinen Raum, alle die Laͤnder und Oerter, wo- durch man auf einer langen Reiſe gekommen iſt, jedes nach ſeiner Lage und Verbindung, dem Auge auf (†) Quorum ſemper ſuit prudens ſincerumque iudicium, nihil ut poſſent, niſi incorruptum audire et elegans; ſagt Cicero von den Athenienſern. Er ſetzt hinzu: Eorum re- ligioni cum ſerviret Orator nullum verbum inſolens — nul- lum odioſum ponere audebat. Cic. Orat. (††) — ut Aeſchini ne Demoſthenes quidem videatur attice dicere — Itaque ſe purgans iocatur Demoſthenes: Negat in eo poſitas eſſe fortunas Graeciae, huc an illuc ma- num porrexerit. Ib. Erſter Theil. U

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/165>, abgerufen am 23.11.2024.