götzen, und um so viel mehr, je tiefer das Thal und je steiler die Anhöhe daran ist. Eine solche Annehm- lichkeit genießt man auf diesem Wege gar vielfältig. Denn allmählig kommt man an der Seite des Ber- ges höher, und hat nun ziemlich tiefe Abgründe dicht neben sich, doch ohne Gefahr; denn der Weg ist gut gebahnt. Man hat von dieser Höhe die zunächst her- umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß völlig im Gesichte, weil sie ganz kahl sind.
Fürtrefflich wird die Aussicht, wenn man über die Hälfte dieses Berges, der Colle di Braus ge- nennet wird, heraufgekommen ist. Alsdenn hat man die obere Hälfte desselben, über die man noch zu stei- gen hat, völlig im Gesichte. Sie zeiget sich wie ein stei- les Dach, an dem der Weg wohl zwölf- oder gar zwan- zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der sehr stei- len Höhe ungeachtet, gemächlich genug wird; denn man geht immer etliche hundert Schritte mit mäßigem Steigen längst der Seite des Berges: dann wendet man sich um, und steigt eben so in einer der vorigen gerad entgegengesetzten Richtung, und so abwechselnd, bis man ganz herauf gekommen ist. Durch dieses öf- tere Wenden hat man auch eine beständig abwechseln- de Aussicht nach Osten und nach Westen; (denn die Fläche des Berges sieht gegen Mittag;) zwar kommt dieselbe Aussicht immer wieder, aber verändert, weil man jedesmal höher steht.
Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die Aussicht auf diesem Berge, ehe man ihn besteiget, da- durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We- gen desselben von weitem eine Menge Maulthiere mit ihren Treibern sieht, davon wegen der öftern Wen-
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von Nizza nach Deutſchland.
goͤtzen, und um ſo viel mehr, je tiefer das Thal und je ſteiler die Anhoͤhe daran iſt. Eine ſolche Annehm- lichkeit genießt man auf dieſem Wege gar vielfaͤltig. Denn allmaͤhlig kommt man an der Seite des Ber- ges hoͤher, und hat nun ziemlich tiefe Abgruͤnde dicht neben ſich, doch ohne Gefahr; denn der Weg iſt gut gebahnt. Man hat von dieſer Hoͤhe die zunaͤchſt her- umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß voͤllig im Geſichte, weil ſie ganz kahl ſind.
Fuͤrtrefflich wird die Ausſicht, wenn man uͤber die Haͤlfte dieſes Berges, der Colle di Braus ge- nennet wird, heraufgekommen iſt. Alsdenn hat man die obere Haͤlfte deſſelben, uͤber die man noch zu ſtei- gen hat, voͤllig im Geſichte. Sie zeiget ſich wie ein ſtei- les Dach, an dem der Weg wohl zwoͤlf- oder gar zwan- zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der ſehr ſtei- len Hoͤhe ungeachtet, gemaͤchlich genug wird; denn man geht immer etliche hundert Schritte mit maͤßigem Steigen laͤngſt der Seite des Berges: dann wendet man ſich um, und ſteigt eben ſo in einer der vorigen gerad entgegengeſetzten Richtung, und ſo abwechſelnd, bis man ganz herauf gekommen iſt. Durch dieſes oͤf- tere Wenden hat man auch eine beſtaͤndig abwechſeln- de Ausſicht nach Oſten und nach Weſten; (denn die Flaͤche des Berges ſieht gegen Mittag;) zwar kommt dieſelbe Ausſicht immer wieder, aber veraͤndert, weil man jedesmal hoͤher ſteht.
Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die Ausſicht auf dieſem Berge, ehe man ihn beſteiget, da- durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We- gen deſſelben von weitem eine Menge Maulthiere mit ihren Treibern ſieht, davon wegen der oͤftern Wen-
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von Nizza nach Deutſchland.
goͤtzen, und um ſo viel mehr, je tiefer das Thal und
je ſteiler die Anhoͤhe daran iſt. Eine ſolche Annehm-
lichkeit genießt man auf dieſem Wege gar vielfaͤltig.
Denn allmaͤhlig kommt man an der Seite des Ber-
ges hoͤher, und hat nun ziemlich tiefe Abgruͤnde dicht
neben ſich, doch ohne Gefahr; denn der Weg iſt gut
gebahnt. Man hat von dieſer Hoͤhe die zunaͤchſt her-
umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß
voͤllig im Geſichte, weil ſie ganz kahl ſind.
Fuͤrtrefflich wird die Ausſicht, wenn man uͤber
die Haͤlfte dieſes Berges, der Colle di Braus ge-
nennet wird, heraufgekommen iſt. Alsdenn hat man
die obere Haͤlfte deſſelben, uͤber die man noch zu ſtei-
gen hat, voͤllig im Geſichte. Sie zeiget ſich wie ein ſtei-
les Dach, an dem der Weg wohl zwoͤlf- oder gar zwan-
zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der ſehr ſtei-
len Hoͤhe ungeachtet, gemaͤchlich genug wird; denn
man geht immer etliche hundert Schritte mit maͤßigem
Steigen laͤngſt der Seite des Berges: dann wendet
man ſich um, und ſteigt eben ſo in einer der vorigen
gerad entgegengeſetzten Richtung, und ſo abwechſelnd,
bis man ganz herauf gekommen iſt. Durch dieſes oͤf-
tere Wenden hat man auch eine beſtaͤndig abwechſeln-
de Ausſicht nach Oſten und nach Weſten; (denn die
Flaͤche des Berges ſieht gegen Mittag;) zwar kommt
dieſelbe Ausſicht immer wieder, aber veraͤndert, weil
man jedesmal hoͤher ſteht.
Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die
Ausſicht auf dieſem Berge, ehe man ihn beſteiget, da-
durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We-
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/285>, abgerufen am 22.07.2024.
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