Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

von Nizza nach Deutschland.
götzen, und um so viel mehr, je tiefer das Thal und
je steiler die Anhöhe daran ist. Eine solche Annehm-
lichkeit genießt man auf diesem Wege gar vielfältig.
Denn allmählig kommt man an der Seite des Ber-
ges höher, und hat nun ziemlich tiefe Abgründe dicht
neben sich, doch ohne Gefahr; denn der Weg ist gut
gebahnt. Man hat von dieser Höhe die zunächst her-
umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß
völlig im Gesichte, weil sie ganz kahl sind.

Fürtrefflich wird die Aussicht, wenn man über
die Hälfte dieses Berges, der Colle di Braus ge-
nennet wird, heraufgekommen ist. Alsdenn hat man
die obere Hälfte desselben, über die man noch zu stei-
gen hat, völlig im Gesichte. Sie zeiget sich wie ein stei-
les Dach, an dem der Weg wohl zwölf- oder gar zwan-
zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der sehr stei-
len Höhe ungeachtet, gemächlich genug wird; denn
man geht immer etliche hundert Schritte mit mäßigem
Steigen längst der Seite des Berges: dann wendet
man sich um, und steigt eben so in einer der vorigen
gerad entgegengesetzten Richtung, und so abwechselnd,
bis man ganz herauf gekommen ist. Durch dieses öf-
tere Wenden hat man auch eine beständig abwechseln-
de Aussicht nach Osten und nach Westen; (denn die
Fläche des Berges sieht gegen Mittag;) zwar kommt
dieselbe Aussicht immer wieder, aber verändert, weil
man jedesmal höher steht.

Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die
Aussicht auf diesem Berge, ehe man ihn besteiget, da-
durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We-
gen desselben von weitem eine Menge Maulthiere mit
ihren Treibern sieht, davon wegen der öftern Wen-

dun-
R 5

von Nizza nach Deutſchland.
goͤtzen, und um ſo viel mehr, je tiefer das Thal und
je ſteiler die Anhoͤhe daran iſt. Eine ſolche Annehm-
lichkeit genießt man auf dieſem Wege gar vielfaͤltig.
Denn allmaͤhlig kommt man an der Seite des Ber-
ges hoͤher, und hat nun ziemlich tiefe Abgruͤnde dicht
neben ſich, doch ohne Gefahr; denn der Weg iſt gut
gebahnt. Man hat von dieſer Hoͤhe die zunaͤchſt her-
umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß
voͤllig im Geſichte, weil ſie ganz kahl ſind.

Fuͤrtrefflich wird die Ausſicht, wenn man uͤber
die Haͤlfte dieſes Berges, der Colle di Braus ge-
nennet wird, heraufgekommen iſt. Alsdenn hat man
die obere Haͤlfte deſſelben, uͤber die man noch zu ſtei-
gen hat, voͤllig im Geſichte. Sie zeiget ſich wie ein ſtei-
les Dach, an dem der Weg wohl zwoͤlf- oder gar zwan-
zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der ſehr ſtei-
len Hoͤhe ungeachtet, gemaͤchlich genug wird; denn
man geht immer etliche hundert Schritte mit maͤßigem
Steigen laͤngſt der Seite des Berges: dann wendet
man ſich um, und ſteigt eben ſo in einer der vorigen
gerad entgegengeſetzten Richtung, und ſo abwechſelnd,
bis man ganz herauf gekommen iſt. Durch dieſes oͤf-
tere Wenden hat man auch eine beſtaͤndig abwechſeln-
de Ausſicht nach Oſten und nach Weſten; (denn die
Flaͤche des Berges ſieht gegen Mittag;) zwar kommt
dieſelbe Ausſicht immer wieder, aber veraͤndert, weil
man jedesmal hoͤher ſteht.

Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die
Ausſicht auf dieſem Berge, ehe man ihn beſteiget, da-
durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We-
gen deſſelben von weitem eine Menge Maulthiere mit
ihren Treibern ſieht, davon wegen der oͤftern Wen-

dun-
R 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="265"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Nizza nach Deut&#x017F;chland.</hi></fw><lb/>
go&#x0364;tzen, und um &#x017F;o viel mehr, je tiefer das Thal und<lb/>
je &#x017F;teiler die Anho&#x0364;he daran i&#x017F;t. Eine &#x017F;olche Annehm-<lb/>
lichkeit genießt man auf die&#x017F;em Wege gar vielfa&#x0364;ltig.<lb/>
Denn allma&#x0364;hlig kommt man an der Seite des Ber-<lb/>
ges ho&#x0364;her, und hat nun ziemlich tiefe Abgru&#x0364;nde dicht<lb/>
neben &#x017F;ich, doch ohne Gefahr; denn der Weg i&#x017F;t gut<lb/>
gebahnt. Man hat von die&#x017F;er Ho&#x0364;he die zuna&#x0364;ch&#x017F;t her-<lb/>
umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß<lb/>
vo&#x0364;llig im Ge&#x017F;ichte, weil &#x017F;ie ganz kahl &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Fu&#x0364;rtrefflich wird die Aus&#x017F;icht, wenn man u&#x0364;ber<lb/>
die Ha&#x0364;lfte die&#x017F;es Berges, der <hi rendition="#fr">Colle di Braus</hi> ge-<lb/>
nennet wird, heraufgekommen i&#x017F;t. Alsdenn hat man<lb/>
die obere Ha&#x0364;lfte de&#x017F;&#x017F;elben, u&#x0364;ber die man noch zu &#x017F;tei-<lb/>
gen hat, vo&#x0364;llig im Ge&#x017F;ichte. Sie zeiget &#x017F;ich wie ein &#x017F;tei-<lb/>
les Dach, an dem der Weg wohl zwo&#x0364;lf- oder gar zwan-<lb/>
zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der &#x017F;ehr &#x017F;tei-<lb/>
len Ho&#x0364;he ungeachtet, gema&#x0364;chlich genug wird; denn<lb/>
man geht immer etliche hundert Schritte mit ma&#x0364;ßigem<lb/>
Steigen la&#x0364;ng&#x017F;t der Seite des Berges: dann wendet<lb/>
man &#x017F;ich um, und &#x017F;teigt eben &#x017F;o in einer der vorigen<lb/>
gerad entgegenge&#x017F;etzten Richtung, und &#x017F;o abwech&#x017F;elnd,<lb/>
bis man ganz herauf gekommen i&#x017F;t. Durch die&#x017F;es o&#x0364;f-<lb/>
tere Wenden hat man auch eine be&#x017F;ta&#x0364;ndig abwech&#x017F;eln-<lb/>
de Aus&#x017F;icht nach O&#x017F;ten und nach We&#x017F;ten; (denn die<lb/>
Fla&#x0364;che des Berges &#x017F;ieht gegen Mittag;) zwar kommt<lb/>
die&#x017F;elbe Aus&#x017F;icht immer wieder, aber vera&#x0364;ndert, weil<lb/>
man jedesmal ho&#x0364;her &#x017F;teht.</p><lb/>
          <p>Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die<lb/>
Aus&#x017F;icht auf die&#x017F;em Berge, ehe man ihn be&#x017F;teiget, da-<lb/>
durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We-<lb/>
gen de&#x017F;&#x017F;elben von weitem eine Menge Maulthiere mit<lb/>
ihren Treibern &#x017F;ieht, davon wegen der o&#x0364;ftern Wen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 5</fw><fw place="bottom" type="catch">dun-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0285] von Nizza nach Deutſchland. goͤtzen, und um ſo viel mehr, je tiefer das Thal und je ſteiler die Anhoͤhe daran iſt. Eine ſolche Annehm- lichkeit genießt man auf dieſem Wege gar vielfaͤltig. Denn allmaͤhlig kommt man an der Seite des Ber- ges hoͤher, und hat nun ziemlich tiefe Abgruͤnde dicht neben ſich, doch ohne Gefahr; denn der Weg iſt gut gebahnt. Man hat von dieſer Hoͤhe die zunaͤchſt her- umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß voͤllig im Geſichte, weil ſie ganz kahl ſind. Fuͤrtrefflich wird die Ausſicht, wenn man uͤber die Haͤlfte dieſes Berges, der Colle di Braus ge- nennet wird, heraufgekommen iſt. Alsdenn hat man die obere Haͤlfte deſſelben, uͤber die man noch zu ſtei- gen hat, voͤllig im Geſichte. Sie zeiget ſich wie ein ſtei- les Dach, an dem der Weg wohl zwoͤlf- oder gar zwan- zigmal hin- und hergehet, wodurch er, der ſehr ſtei- len Hoͤhe ungeachtet, gemaͤchlich genug wird; denn man geht immer etliche hundert Schritte mit maͤßigem Steigen laͤngſt der Seite des Berges: dann wendet man ſich um, und ſteigt eben ſo in einer der vorigen gerad entgegengeſetzten Richtung, und ſo abwechſelnd, bis man ganz herauf gekommen iſt. Durch dieſes oͤf- tere Wenden hat man auch eine beſtaͤndig abwechſeln- de Ausſicht nach Oſten und nach Weſten; (denn die Flaͤche des Berges ſieht gegen Mittag;) zwar kommt dieſelbe Ausſicht immer wieder, aber veraͤndert, weil man jedesmal hoͤher ſteht. Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die Ausſicht auf dieſem Berge, ehe man ihn beſteiget, da- durch, daß man auf allen hin- und hergehenden We- gen deſſelben von weitem eine Menge Maulthiere mit ihren Treibern ſieht, davon wegen der oͤftern Wen- dun- R 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/285
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/285>, abgerufen am 26.11.2024.