Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.Tagebuch von der Rückreise dungen einige Truppe nach der rechten, andere nachder linken Hand gehen, und immer ein Trupp höher, folglich Menschen und Thiere kleiner, als der andre, so daß es beynahe läßt, als wenn sie einander über die Köpfe wegschritten. Dieses sonderbare Schau- spiel schien mir einigermaßen einem großen Ballet zu gleichen, wozu die unzähligen Schellen, womit die Maulthiere behangen sind, die Musik machten. Es ergötzte mich so sehr, daß ich nur ganz langsam gegen diese Höhe heranrückte, um das Schauspiel desto län- ger zu genießen. Jndem ich selbst diesen Berg her- auf ritt, war es eine neue Annehmlichkeit, einige Zü- ge über meinem Kopfe, andre unter meinen Füssen zu sehen. Jch vergaß darüber die Beschwerlichkeit die- ses Weges, und das Traurige, das sonst dergleichen ganz kahle Berge haben. Denn man findet überaus wenig Grünes darauf. Hier und da einen magern Strauch von Genista, oder eine halbdürre Rosmarin- oder Lavendelstaude, oder eine Euphorbia. Auf eine ähnliche Weise steiget man auf der an- Sobald man den Berg völlig herunter ist, kommt es
Tagebuch von der Ruͤckreiſe dungen einige Truppe nach der rechten, andere nachder linken Hand gehen, und immer ein Trupp hoͤher, folglich Menſchen und Thiere kleiner, als der andre, ſo daß es beynahe laͤßt, als wenn ſie einander uͤber die Koͤpfe wegſchritten. Dieſes ſonderbare Schau- ſpiel ſchien mir einigermaßen einem großen Ballet zu gleichen, wozu die unzaͤhligen Schellen, womit die Maulthiere behangen ſind, die Muſik machten. Es ergoͤtzte mich ſo ſehr, daß ich nur ganz langſam gegen dieſe Hoͤhe heranruͤckte, um das Schauſpiel deſto laͤn- ger zu genießen. Jndem ich ſelbſt dieſen Berg her- auf ritt, war es eine neue Annehmlichkeit, einige Zuͤ- ge uͤber meinem Kopfe, andre unter meinen Fuͤſſen zu ſehen. Jch vergaß daruͤber die Beſchwerlichkeit die- ſes Weges, und das Traurige, das ſonſt dergleichen ganz kahle Berge haben. Denn man findet uͤberaus wenig Gruͤnes darauf. Hier und da einen magern Strauch von Geniſta, oder eine halbduͤrre Rosmarin- oder Lavendelſtaude, oder eine Euphorbia. Auf eine aͤhnliche Weiſe ſteiget man auf der an- Sobald man den Berg voͤllig herunter iſt, kommt es
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Tagebuch von der Ruͤckreiſe
dungen einige Truppe nach der rechten, andere nach
der linken Hand gehen, und immer ein Trupp hoͤher,
folglich Menſchen und Thiere kleiner, als der andre,
ſo daß es beynahe laͤßt, als wenn ſie einander uͤber
die Koͤpfe wegſchritten. Dieſes ſonderbare Schau-
ſpiel ſchien mir einigermaßen einem großen Ballet zu
gleichen, wozu die unzaͤhligen Schellen, womit die
Maulthiere behangen ſind, die Muſik machten. Es
ergoͤtzte mich ſo ſehr, daß ich nur ganz langſam gegen
dieſe Hoͤhe heranruͤckte, um das Schauſpiel deſto laͤn-
ger zu genießen. Jndem ich ſelbſt dieſen Berg her-
auf ritt, war es eine neue Annehmlichkeit, einige Zuͤ-
ge uͤber meinem Kopfe, andre unter meinen Fuͤſſen zu
ſehen. Jch vergaß daruͤber die Beſchwerlichkeit die-
ſes Weges, und das Traurige, das ſonſt dergleichen
ganz kahle Berge haben. Denn man findet uͤberaus
wenig Gruͤnes darauf. Hier und da einen magern
Strauch von Geniſta, oder eine halbduͤrre Rosmarin-
oder Lavendelſtaude, oder eine Euphorbia.
Auf eine aͤhnliche Weiſe ſteiget man auf der an-
dern Seite wieder von der Hoͤhe herunter; doch ſind
hier die Wege ſteiler, folglich zum Herunterreiten viel
beſchwerlicher. Auch da ſieht man den Weg auf eine
Stunde weit vor ſich ſchlaͤngelnd heruntergehen, und
auf demſelben heranſteigende Zuͤge von Maulthieren.
Die Straße war jetzt weit ſtaͤrker als ſonſt mit Maul-
thieren angefuͤllt, weil der Paß uͤber den Colle di
Tenda wegen des ſehr haͤufig gefallenen Schnees ver-
ſperrt geweſen, daher ſich die Zuͤge von drey Tagen
zuſammengefunden hatten.
Sobald man den Berg voͤllig herunter iſt, kommt
man nach Soſpello. Der Ort iſt gering, wie man
es
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