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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von einer nach Nizza
mußte queer über angebautes Land herunter gehen,
mich durch die da angepflanzten Weinreben durcharbei-
ten, und mich oft an Weinreben oder kleinen Bäu-
men festhalten, um auf dem steilen Boden nicht zu
fallen. Auf einmal wurde ich einen Mann gewahr,
der der Eigenthümer dieses Gütchens war. Jch be-
sorgte, er würde unwillig seyn, zwey ihm unbekannte
Menschen anzutreffen, die von einer so ungewöhnli-
chen Seite her in sein Eigenthum eingedrungen wa-
ren, und sich nun mitten durch dasselbe einen Weg
bahnten. Aber höchst angenehm und rührend fand
ich mich überrascht, als ich den Mann mit heiterem
freundlichen Gesicht auf mich zukommen sah, um mir,
wo das Absteigen beschwerlich war, die Hand zu bie-
ten, und mir herunter zu helfen. Jch konnte ihn
wenig verstehen; aber die Zeichen machten seine Spra-
che verständlicher. Er nöthigte mich mit Gutherzig-
keit in seine Hütte, um mir Erfrischung anzubieten.
Weil es eben in der Mittagsstunde war, und ich nach
Hause eilte, so mußte ichs verbitten. Er wandte
sich darauf an meinen Bedienten, und verlangte, daß
dieser wenigstens seinen Wein kosten sollte u. s. w.
Jch gestehe, daß dieses menschenfreundliche Betragen
mich ungemein rührte. Und so fand ich auch die Ei-
genthümer der Küchengärten, in welche ich gar oft,
da ich der Wege unkundig war, herübersteigen muß-
te, um wieder auf einen gebahnten Weg zu kommen.
Jn manchem andern Lande würden die Leute den sehr
unfreundlich empfangen, der so, wie ich hier biswei-
len aus Noth that, in ihre Gärten eingedrungen wä-
re. Aber hier fand ich die Leute überall höflich und
gefällig, und ich habe den vortheilhaftesten Begriff

von

Tagebuch von einer nach Nizza
mußte queer uͤber angebautes Land herunter gehen,
mich durch die da angepflanzten Weinreben durcharbei-
ten, und mich oft an Weinreben oder kleinen Baͤu-
men feſthalten, um auf dem ſteilen Boden nicht zu
fallen. Auf einmal wurde ich einen Mann gewahr,
der der Eigenthuͤmer dieſes Guͤtchens war. Jch be-
ſorgte, er wuͤrde unwillig ſeyn, zwey ihm unbekannte
Menſchen anzutreffen, die von einer ſo ungewoͤhnli-
chen Seite her in ſein Eigenthum eingedrungen wa-
ren, und ſich nun mitten durch daſſelbe einen Weg
bahnten. Aber hoͤchſt angenehm und ruͤhrend fand
ich mich uͤberraſcht, als ich den Mann mit heiterem
freundlichen Geſicht auf mich zukommen ſah, um mir,
wo das Abſteigen beſchwerlich war, die Hand zu bie-
ten, und mir herunter zu helfen. Jch konnte ihn
wenig verſtehen; aber die Zeichen machten ſeine Spra-
che verſtaͤndlicher. Er noͤthigte mich mit Gutherzig-
keit in ſeine Huͤtte, um mir Erfriſchung anzubieten.
Weil es eben in der Mittagsſtunde war, und ich nach
Hauſe eilte, ſo mußte ichs verbitten. Er wandte
ſich darauf an meinen Bedienten, und verlangte, daß
dieſer wenigſtens ſeinen Wein koſten ſollte u. ſ. w.
Jch geſtehe, daß dieſes menſchenfreundliche Betragen
mich ungemein ruͤhrte. Und ſo fand ich auch die Ei-
genthuͤmer der Kuͤchengaͤrten, in welche ich gar oft,
da ich der Wege unkundig war, heruͤberſteigen muß-
te, um wieder auf einen gebahnten Weg zu kommen.
Jn manchem andern Lande wuͤrden die Leute den ſehr
unfreundlich empfangen, der ſo, wie ich hier biswei-
len aus Noth that, in ihre Gaͤrten eingedrungen waͤ-
re. Aber hier fand ich die Leute uͤberall hoͤflich und
gefaͤllig, und ich habe den vortheilhafteſten Begriff

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[132/0152] Tagebuch von einer nach Nizza mußte queer uͤber angebautes Land herunter gehen, mich durch die da angepflanzten Weinreben durcharbei- ten, und mich oft an Weinreben oder kleinen Baͤu- men feſthalten, um auf dem ſteilen Boden nicht zu fallen. Auf einmal wurde ich einen Mann gewahr, der der Eigenthuͤmer dieſes Guͤtchens war. Jch be- ſorgte, er wuͤrde unwillig ſeyn, zwey ihm unbekannte Menſchen anzutreffen, die von einer ſo ungewoͤhnli- chen Seite her in ſein Eigenthum eingedrungen wa- ren, und ſich nun mitten durch daſſelbe einen Weg bahnten. Aber hoͤchſt angenehm und ruͤhrend fand ich mich uͤberraſcht, als ich den Mann mit heiterem freundlichen Geſicht auf mich zukommen ſah, um mir, wo das Abſteigen beſchwerlich war, die Hand zu bie- ten, und mir herunter zu helfen. Jch konnte ihn wenig verſtehen; aber die Zeichen machten ſeine Spra- che verſtaͤndlicher. Er noͤthigte mich mit Gutherzig- keit in ſeine Huͤtte, um mir Erfriſchung anzubieten. Weil es eben in der Mittagsſtunde war, und ich nach Hauſe eilte, ſo mußte ichs verbitten. Er wandte ſich darauf an meinen Bedienten, und verlangte, daß dieſer wenigſtens ſeinen Wein koſten ſollte u. ſ. w. Jch geſtehe, daß dieſes menſchenfreundliche Betragen mich ungemein ruͤhrte. Und ſo fand ich auch die Ei- genthuͤmer der Kuͤchengaͤrten, in welche ich gar oft, da ich der Wege unkundig war, heruͤberſteigen muß- te, um wieder auf einen gebahnten Weg zu kommen. Jn manchem andern Lande wuͤrden die Leute den ſehr unfreundlich empfangen, der ſo, wie ich hier biswei- len aus Noth that, in ihre Gaͤrten eingedrungen waͤ- re. Aber hier fand ich die Leute uͤberall hoͤflich und gefaͤllig, und ich habe den vortheilhafteſten Begriff von

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/152>, abgerufen am 22.11.2024.